Russland: Nukleare Zeitbomben im Eismeer

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Der sowjetische Atommüll in der Arktis droht eine nukleare Katastrophe hervorzurufen. Als tickende Zeitbombe gilt vor allem das Atom-U-Boot K-27. Und er behindert die Öl- und Gasförderung.

Moskau. Je näher die Erschließung der reichen Rohstoffvorkommen in Russlands arktischen Gebieten rückt, umso mehr kehrt die verdrängte Gefahr einer nuklearen Katastrophe auf dem dortigen Meeresboden ins Bewusstsein zurück: Am meisten Ängste rufen derzeit zwei sowjetische Atom-U-Boote hervor, die in den Kabeljau-Fanggebieten nahe der Insel Novaja Semlja verrotten – umgeben von 19 Schiffen bzw. 17.000 Containern mit radioaktiven Abfällen und anderen Arten von radioaktivem Müll.

Als tickende Zeitbombe gilt vor allem das Atom-U-Boot K-27, das die Sowjetführung nach einem Störfall, bei dem neun Seeleute tödlich verstrahlt worden sind, 1981 heimlich in eine Tiefe von 33 Metern versenkt hat. Der kaputte Reaktor des 110 Meter langen Bootes mit hoch angereichertem Kernbrennstoff könnte außer Kontrolle geraten und das arktische Meer verstrahlen, berichtete der deutsche TV-Sender ARD Dienstagabend unter Berufung auf ein internes Papier des russischen Umweltministeriums. In dem Papier aus dem Vorjahr werde dem Kreml empfohlen, die K-27 und das zweite U-Boot (K-159), das auf Bildern große Löcher im Rumpf aufweist, „bis spätestens 2014“ zu bergen.

Laut ARD sind die kritischen Passagen im Abschlussbericht des Staatsrats nicht mehr enthalten. Stattdessen ist nur von „potenziellen Gefahren“ die Rede. So auch im vorläufigen Bericht einer russisch-norwegischen Expertenrunde, die konstatiert hat, dass seit der letzten Expedition das Strahlenniveau nicht gestiegen sei.

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Es tritt längst Strahlung aus

In jedem Fall aber trete bereits längst Strahlung aus, obwohl die K-27 zur Sicherung mit Bitumen und Beton ausgefüllt worden ist. Russland und Norwegen müssten Möglichkeiten einer sicheren Bergung der K-27 festlegen, um einer unvorhergesehen Kettenreaktion zuvorzukommen, die in einer Extremsituation eintreten könnte, meint Per Strand von Norwegens Strahlenschutzbehörde.

Kreml-Chef Wladimir Putin hat wiederholt die Reinigung der Arktis von atomarem Müll angekündigt. Wie Russlands führende Internetzeitung gazeta.ru unter Berufung auf einen Katastrophenschutzbeamten berichtet, werde das derzeit erwogen.

Das hat offenbar nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Gründe. Russlands staatliche Öl- und Gaskonzerne, Rosneft und Gazprom, stehen in den Startlöchern, um die ersten Lagerstätten in der besagten Gegend zu erschließen. Bis 2015 wollen die beiden Konzerne dafür etwa 12,5 Mrd. Euro in die Hand nehmen. Rosneft hat den US-Konzern Exxon Mobil als Juniorpartner im Boot, um drei Lagerstätten in der Karasee östlich von Novaja Semlja zu erschließen.

Diese Lagerstätten könnten den Weltölbedarf für gut ein Jahr beziehungsweise den Weltgasbedarf sogar für zweieinhalb Jahre decken. Da sich aber ein Teil des Atommülls in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer der Lagerstätten befindet, müssen zuerst die Reinigungsarbeiten beginnen.

Umstrittene Förderung

Die Konzerne sagen zumindest die Einhaltung internationaler ökologischer Standards zu. Als Muster dient die Verlegung der Ostsee-Pipeline Nordstream, die von den Ostsee-Anrainern nur unter der Auflage gewährt wurde, dass das Betreiberkonsortium den Meeresboden von alten Minen und chemischen Waffen reinigt. Die Reinigung der Arktis ist ein ungleich teureres Unterfangen, weshalb auch der russische Staat in die Bresche springen dürfte.

Womit freilich eine andere Gefahr noch nicht abgewendet ist. Vor allem Ölförderung – in geringerem Ausmaß auch die Gasförderung – sei in einer ökologisch derart sensiblen Region wie der Arktis, in der ein Fünftel der weltweiten Öl- und Gasreserven lagern, ohnehin zu riskant, warnte gestern Christophe de Margerie, Chef des französischen Konzerns Total. Er betreibt selbst einige Förderprojekte in der Arktis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2012)

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