Das Ende des amerikanischen Traums

USA. Sinkende Hauspreise und ein schwächelnder Aktienmarkt setzen den amerikanischen Mittelstand unter Druck. Nur mit immer neuen Schulden kann man sich den Wohlstand leisten.

Washington. Auf den ersten Blick geht es dem amerikanischen Mittelstand gut. Wohnt die österreichische Musterfamilie in der Mietwohnung, hat die amerikanische ein eigenes Haus. Statt eines Sparbuchs gibt es Aktien, statt der Jahreskarte für die Verkehrsbetriebe ein zweites Auto. Doch schaut man hinter die Fassade, dann steht die Mittelschicht auf wackligen Beinen. „Am Ende des Monats bleibt nichts übrig“, gibt John Miller offen über seine Finanzsituation zu.

Er und seine Frau Kathie sind typischer US-Mittelstand mit einem Haus in einem Vorort von Washington, zwei Autos, zwei Kindern, zwei Hunden. Doch die Familie fährt nicht auf Urlaub und geht nicht in Restaurants, denn dafür fehlt schlicht das Geld. „Die Kosten fressen uns auf“, sagt John.

Wie ihm geht es immer mehr US-Bürgern, die ihr Leben mit Kreditkarten und dem theoretischen Wert ihres Hauses finanzieren. In Zeiten des boomenden Immobilienmarkts nahm man sich immer neue Hypotheken auf das Eigenheim auf, um damit Autos, neue Plasma-TVs und Urlaube zu finanzieren. Jetzt sinken die Hauspreise, und plötzlich schulden die Besitzer den Banken mehr Geld, als das Haus tatsächlich wert ist.

Wie knapp an der Pleite die amerikanische Gesellschaft lebt, zeigt die Statistik. Im Durchschnitt hat jede US-Familie 9000 Dollar Schulden – nicht eingerechnet die Kredite für Haus- oder Wohnungskauf. Im Jahr 2006 betrug die Sparquote minus ein Prozent (in Österreich liegt sie bei mehr als neun Prozent). Zuletzt gab es in Zeiten der großen Depression in den 30er-Jahren ähnliche Zahlen. Der Sorge vor einer Rezession will Fed-Chef Ben Bernanke nun mit einer „aggressiven“ Senkung der Leitzinsen begegnen, wie er in der Nacht auf Freitag ankündigte.

Nur noch Milliardäre

Der amerikanische Traum, wonach es jeder vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann, wenn er nur hart genug arbeitet, ist in den vergangenen Jahren massiv unter Druck geraten. Die Mittelklasse in den USA, der etwa 47 Prozent der Bevölkerung zugerechnet werden (die zwischen 29.000 und 99.000 Dollar pro Jahr verdienen), schrumpft. Die Kluft zwischen jenen, die etwas haben, und jenen, die sehr viel haben, wird immer größer.

Der Lohn eines durchschnittlichen Angestellten stieg seit 2001 inflationsbereinigt um gerade einmal ein Prozent. Von 1998 bis 2001 betrug die Steigerung noch 9,5 Prozent. Dafür werden die Reichen immer reicher: Seit 1982 erhöhte sich das Einkommen amerikanischer Firmenchefs um 186 Prozent. Im Schnitt verdient ein CEO heute 286-mal mehr als ein durchschnittlicher Arbeiter. In den 70er-Jahren betrug der Unterschied noch 34 Einkommen.

Um wie viel reicher die Spitze geworden ist, zeigt ein Blick in die „Forbes“-Liste der 400 US-Bürger mit dem größten Vermögen: 2006 waren erstmals alle aufgelisteten Personen Milliardäre. Der reichste Amerikaner aus dem Jahr 1982, der Schiffstycoon Daniel Ludwig, käme mit seinem damaligen Vermögen heute selbst inflationsbereinigt nicht einmal mehr unter die Top-60.

Während die durchschnittlichen Gehälter also nur marginal gestiegen sind, gab es bei den Kosten eine regelrechte Explosion. Für eine vierjährige Universitätsausbildung muss man jetzt mindestens 40.000 Dollar veranschlagen – an einer öffentlichen Uni. Privatuniversitäten sind für den Mittelstand ohnehin kaum zu finanzieren: 180.000 Dollar und mehr verlangen die Elite-Unis für vier Jahre Ausbildung, immerhin inklusive Unterbringung und Essen. Die Yale-Universität in Connecticut hat auf die Entwicklung reagiert und erhöht im neuen Studienjahr die Zahl der Stipendien um 37 Prozent.

Aktien machen Sorgen

Auch die Entwicklung des Aktienmarkts setzt den Mittelstand unter Druck. Zwar konnte man sich vor wenigen Monaten noch über einen neuen Dow-Jones-Rekord von 14.000 Punkten freuen. Doch seither ging es bergab. Und Aktien sind für US-Bürger die Finanzgrundlage für die Ausbildung der Kinder und die Pensionsvorsorge.

Im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf wird der „Kampf gegen die Mittelklasse“, wie es beispielsweise der Demokrat John Edwards bezeichnet, immer mehr zum bestimmenden Thema. „Ich kämpfe so lange“, meinte Edwards jüngst bei einer Parteiveranstaltung im Bundesstaat New Hampshire, „bis der amerikanische Traum wieder hergestellt ist.“

AUF EINEN BLICK

Die Finanzkrise macht dem amerikanischen Mittelstand schwer zu schaffen. Jahrelang wurde der Wohlstand mit der Kreditkarte und immer neuen Hypotheken auf das Eigenheim finanziert.

Die Immobilienkrise führt nun aber zu sinkenden Hauspreisen, viele Hausbesitzer können ihren Kredit nicht mehr zurückzahlen. Während die Löhne nur mäßig steigen, explodieren die Kosten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2008)

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