Piraten und eine Buddel voll Rum

Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten
Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten(c) ORF (Peter Mountain)
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Geschichte. In der Literatur werden Piraten seit Jahrhunderten verklärt. Aber in den Texten stecken auch historische Wahrheiten von Rum, der Totenkopfflagge und dem Piratenkodex.

Der Schauspieler Johnny Depp ist wohl der berühmteste Pirat der Gegenwart – oder vielmehr die Figur, die er in den Filmen „Fluch der Karibik“ verkörpert: Captain Jack Sparrow. Doch Depps Charakter ist nicht frei erfunden. Hinter seiner Figur steckt der berühmteste Pirat des 17.Jahrhunderts: Captain Edward Thatch, genannt Blackbeard. „In einem Buch aus dem frühen 18. Jahrhundert ist Blackbeard erstmals bildlich dargestellt. Demzufolge hatte der Captain lange Dreadlocks und einen brennenden Bart“, sagt Alexandra Ganser, Amerikanistin an der Universität Wien. Dieses Piratenbild regte seither die Populärkultur an, auch Depps Charakter.

Ganser widmet sich im FWF-Projekt „Piraterie, Krise und Legitimität in Atlantisch-Amerikanischen Erzählungen“ ganz dem Piratentum. Sie will in Literatur, Bildern und Sachtexten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert auf den historischen Kern des Seeräubertums stoßen. Ganser weiß, dass auch fiktionale Erzählungen auf historische Wahrheiten zurückgreifen.

Der Rum trinkende Pirat ist etwa nicht völlig aus der Luft gegriffen. Bereits die Texte aus dem 17. Jahrhundert verwiesen immer wieder auf den Alkoholkonsum der Piraten: „Wasser war weit gefährlicher als – zumindest leichte – alkoholische Getränke. Es war schwierig, frisches Wasser zu transportieren, das sich über Monate auf See hielt. Es war einfach nicht sauber“, sagt Ganser. Rum war die gesündere Alternative. „Die Piraten tranken aber nicht den ganzen Tag und machten Party. Sie arbeiteten schwer auf dem Deck, wie jeder andere Seemann auch.“

Johnny Depp taumelt also zu Recht durch die Piratenfilme. Er hisst sogar eine historisch belegte Flagge. Das klassische Bild des Totenkopfs mit den beiden gekreuzten Knochen existierte tatsächlich. Allerdings gab es zahlreiche Abwandlungen und Ergänzungen. Beliebte Piratensymbole, wie die Sanduhr, blutende Herzen, Säbel oder tanzende Skelette, verschwanden später aus populären Flaggen. All das repräsentierte die Vergänglichkeit. Der mögliche frühe Tod war ein ständiger Begleiter der Seeleute und daher auch Teil ihrer Fahnen. Erst die Literatur und die Filme des 20. Jahrhunderts setzten das einheitliche, heute bekannte Bild durch.

Die Karibik war rechtsfreier Raum

Eines ist für Ganser klar: „Eine historischer Wahrheit ist in den Piratenerzählungen fast immer zu finden. Wobei sie natürlich vereinfacht oder überzogen ist.“ Nur der obligatorische Papagei auf der Schulter des Kapitäns ist wohl ein Produkt der romantischen Vorstellung des 19. Jahrhunderts. Er schmückte vor allem die Kinderliteratur. Aber Ganser kennt selbst hier eine Theorie, nach der Papageien als Dolmetscher auf dem Schiff fungierten. Die Crew bestand aus verschiedensprachigen Mitgliedern, weshalb die Papageien sämtliche Sprachen erlernten und für alle übersetzten. „Das ist zwar eine schöne Erklärung, lässt sich historisch aber schwer belegen“, sagt Ganser.

Warum die Piraten in Film- und Literatur hauptsächlich unter der karibischen Sonne kämpfen, lässt sich wieder gut erklären. Sie waren keine Vorläufer moderner Touristen, die ihre Haut freiwillig auf dem Deck ihrer Schiffe gerbten. Die großen spanischen, englischen und französischen Reiche trugen in der Peripherie der Karibik ihre größten Seeschlachten aus. In der Vorstellung der damaligen Zeit waren die Gebiete außerhalb Europas ein rechtsfreier Raum. Die Mächte operierten nach Belieben: Friedensabkommen verloren hier ihre gesetzliche Gültigkeit.

Gerade diese Rechtlosigkeit macht es schwierig, Piraten heute überhaupt als Piraten zu identifizieren. Viele Schiffe waren legal, also mit Kaperbriefen von Regierungen, unterwegs – das machte sie zu Freibeutern für ihre Auftraggeber und zu Piraten für ihre Gegner. Für die Briten galten die amerikanischen Unabhängigkeitskämpfer de facto als Piraten. Sie selbst bezeichneten sich als Freiheitskämpfer. In Literatur und Film kann der Pirat folglich sowohl als Held als auch als räuberischer Mörder dargestellt werden.

Aber Piraten lebten nicht völlig frei und gesetzlos. Viele hielten sich an ihren eigenen Kodex, der oftmals schriftlich aufgezeichnet wurde, also für die damalige Zeit als Rechtsdokument galt. Beinahe jedes Schiff schuf sich damit ein eigenes Mikrorechtssystem: „Dort konnte vieles stehen. Etwa, dass ein Pirat zwei Sklaven für den Rest seines Lebens bekommt, wenn er im Kampf einen Arm verliert. Oder dass er auf dem Schiff bleiben konnte und ein gewisses Gehalt bekam, wenn er ein Auge verlor – daher auch das Bild von der Augenklappe“, sagt Ganser.

Die Piratencrew bestand nicht nur aus weißen Männern, sondern war durchmischt und vielsprachig. Auch schwarze, entflohene Sklaven oder indigene Bevölkerungsgruppen schrubbten die Decks. Sie lehnten sich damit gegen die Kolonialherren auf. Gerade diese Vielfalt erforderte einen Kodex, an den sich alle hielten. Der bunt zusammengewürfelte Haufen auf Jack Sparrows Hollywood-Schiff hat also auch einen historischen Kern.

LEXIKON

Edward Thatch, genannt Blackbeard, war der berühmteste Pirat der Neuzeit. Vermutlich wurde er 1680 in Bristol in England geboren. Er arbeitete zunächst als Matrose auf Schiffen, die während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) von Jamaika aus in See stachen und Schiffe kaperten. 1717 wurde er selbst zum Kapitän und innerhalb eines Jahres zu einem der erfolgreichsten Piraten. Der drogen- und alkoholabhängige Thatch wurde 1718 von der britischen Marine gejagt, gefunden und enthauptet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2015)

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