World of Warcraft: Zurück in Azeroth, auf nach Northrend!

World of Warcraft: Wrath of the Lich King
World of Warcraft: Wrath of the Lich King(c) REUTERS (Alywin Chew)
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Dieser Tage hat Activision Blizzard die zweite Erweiterung seines Mehrspieler-Abenteuers „World of Warcraft“ herausgebracht. Bereits elf Millionen Menschen bevölkern dessen Online-Welten.

Azeroth also. Eine Welt des Krieges, die einen Paradigmenwechsel erlebt, vergleichbar am ehesten mit der Entdeckung Amerikas. Neue Grenzen werden zu erforschen, neues Land wird zu besiedeln sein – und die Weltwirtschaft wird nach einem Zustrom neuer Güter und Rohstoffe nie mehr dieselbe sein. Eine neue Welt also – und zwar komplett virtuell.

Dieser Tage hat der amerikanische Computerspiele-Produzent Activision Blizzard die zweite Erweiterung zu seinem Online-Flaggschiff World of Warcraft veröffentlicht: Wrath of the Lich King (auf dem deutschsprachigen Markt mit gutem Grund nicht übersetzt) heißt das Set, das die Abenteuerwelt Azeroth um einen neuen, vierten Kontinent, die arktische Landschaft von Northrend, erweitert.

Elf Millionen Avatare kämpfen miteinander

World of Warcraft ist ein Phänomen. Anders lässt sich der Erfolg des Online-Rollenspiels nicht beschreiben: Elf Millionen Menschen auf der ganzen Welt haben nicht nur das Spiel gekauft, sondern zahlen Monat für Monat eine Benutzungsgebühr – hierzulande bis zu 13 Euro –, um an einem kollektiven Abenteuer teilnehmen zu können. Jeder Spieler erschafft sich eine Figur, den sogenannten Avatar, als Angehörigen eines der unterschiedlichen Völker der Fantasiewelt Azeroth: Zwerge und Orks, Menschen und Elfen, Untote und Trolle sowie viele andere stehen einander in der mittelalterlich-fantastischen Welt gegenüber. Über die Server des Betreibers sind die Spieler miteinander verbunden, können in der grafisch opulent gestalteten Welt gegeneinander kämpfen oder aber – und darauf ist World of Warcraft besonders ausgelegt – gemeinsam auf die Jagd nach intriganten Drachen, feurigen Dämonen oder bösen Magiern gehen.

Jede Figur bringt dabei ihre eigenen Fähigkeiten in den Schlachtzug ein, wenn bis zu 40 Spieler gemeinsam auf Abenteuersuche gehen – Kämpfer, die böse Monster in Schach zu halten versuchen, indem sie, durch dicke Rüstungen und Schilde geschützt, deren Zorn auf sich ziehen und damit die schwächlichen Magier schützen, die aus der Ferne Flüche und Verwünschungen auf die Gegner schleudern. Diebe und Waldläufer schleichen inzwischen über die Schlachtfelder, immer auf der Suche nach einer taktisch vorteilhaften Stellung, während wohlwollende Priester den Verwundeten lindernden Segen spenden.

Die Magie der Zahlen

Für viele Spieler liegt die Motivation, Tag für Tag in fantastische Welten einzutauchen, darin, die Herausforderung der Koordination der großen Gruppe zu bewältigen: „Jeder Spieler muss seinen Platz in der Gruppe kennen, sich mit den anderen abstimmen“, erklärt Konstantin Mitgutsch vom Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien, der sich intensiv mit Computerspielen auseinandergesetzt hat. „Faszinierend ist vor allem, dass sich in dieser Fantasiewelt ähnliche Hierarchien wie im realen Leben herausbilden.“ Einer der Spieler übernehme im „Teamspeak“, einem Online-Kanal, über den sich die Mitglieder einer Gruppe wie über Funk unterhalten können, die Führung, und die anderen ordneten sich unter.

Andererseits gibt es einen Faktor, der World of Warcraft besonders attraktiv macht und sich von der Realität massiv unterscheidet: die Berechenbarkeit der Ereignisse auf Azeroth. Wie auch immer die Spieler interagieren, alles – von der Stärke, mit der ein Krieger zuschlagen kann, bis zu den Effekten, die die unterschiedlichen Figuren auslösen – ist in klaren Zahlen festgehalten, die von eifrigen Fans auf einschlägigen Webseiten festgehalten worden sind. Dadurch bleiben allzu große Überraschungen aus, das Spielerlebnis lässt sich im Sinne von „Wenn ich A tue, passiert B“ genauestens kontrollieren – im Gegensatz zum realen Leben der Spieler.

Objekt der Wissenschaft

Die sind übrigens weniger unter Jugendlichen zu suchen, wo man die Mehrheit der elf Millionen Einwohner Azeroths – so viele wie etwa Griechenland – vielleicht vermuten würde. „Der Durchschnittsspieler ist etwa 30 Jahre alt“, sagt Mitgutsch – und 20 Prozent davon seien Frauen. Das sind allerdings vor allem Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien zu World of Warcraft, denn der Produzent Blizzard pflegt eine sehr restriktive Informationspolitik bezüglich seiner Benutzerdaten: Obwohl die alles vom Alter der Spieler bis zur durchschnittlichen Spieldauer wissen müssten, gebe der Konzern kaum Daten weiter, erklärt der Erziehungswissenschaftler. Dabei gäbe es genug Interessenten.

Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich mit Aspekten von World of Warcraft: Von der Reaktion der Spieler auf unvorhersehbare Ereignisse – etwa eine vom Entwickler eingebaute „Seuche“ unter den Figuren – bis zum Problem der Inflation in einer gesteuerten Marktwirtschaft mit potenziell unendlich viel neuem Geld – die Spieler bekommen für jedes erschlagene Monster einige Silberlinge – reicht die Palette der Traktate zu Blizzards Wunderwelt.

Traumlandschaften? Formeln!

Die Mehrheit der Spieler sieht World of Warcraft aber als den (bisherigen) Zenit der MMORPG-Kultur: Das sind jene „Massive Multiplayer Online Roleplaying Games“, die Tausenden über das Internet verbundenen Spielern ein gemeinsames Erlebnis verschaffen wollen. Mit dem ursprünglichen Konzept des Rollenspiels, sich nur anhand eines losen Regelwerks möglichst frei in einer Fantasiewelt zu bewegen, haben diese freilich nur mehr am Rande zu tun: Noch immer ist die Lust, in die Haut einer anderen Figur zu schlüpfen, eine starke Motivation für die Spieler. Zunehmend verlegt sich das aber auf eine nüchtern-technische Ebene: Viele Spieler achten gar nicht mehr auf die grafische Darstellung, sondern blicken über eigens aus dem Netz geladene Monitorprogramme direkt in die Zahlenwelt dahinter, auf die Formeln, die Kämpfe und Handwerk der Spielfiguren beherrschen.

Das Konzept der Online-Rollenspiele hat World of Warcraft, veröffentlicht 2004, nicht erfunden: Im September 1997 ging Ultima Online ins Netz, schon davor gab es zahlreiche textbasierte Gemeinschaftsabenteuer, die Multi-User-Dungeons, kurz MUDs. Vor und nach dem enormen Erfolg der Warcraft-Welt erschienen zahlreiche Konkurrenzprodukte mit ähnlichen Situationen – kaum eines kam über die Marke von einer Million Spieler hinaus.

Warum das so ist, erklärt eine Spielkritik der renommierten Spieletesterplattform GameSpot: „Die Konkurrenz mit World of Warcraft zu vergleichen ist wie ein High-School-Team einer professionellen Sportmannschaft gegenüberzustellen.“ World of Warcraft ist einfach gut gemacht: Ob man auf dem Rücken eines Greifen über verschneite Berggipfel fliegt, mit Mitstreitern den mit Fallen und Feinden gespickten Hort des Drachen Onyxia stürmt, zusieht, wie Löwen Zebras durch endlose Steppenlandschaften jagen, oder die zahllosen Anspielungen auf andere popkulturelle Massenphänomene zu finden versucht, es wird klar, dass Blizzard in Azeroth mit viel Liebe zum Detail einen virtuellen Abenteuerspielplatz geschaffen hat. Und der wird jetzt, mit seiner Erweiterung, noch einmal größer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2008)

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