Von Banden und Kollisionen

Dreiband gilt als Königsdisziplin im Carambol. Die technischen Anforderungen sind hoch beim taschenlosen Billard, das einst Wiens Cafés geprägt hat und nun auch als Hightech-Variante verblüfft.

Schwierig bis unlösbar erscheinen die Spielsituationen auf dem Tisch. Selbst für die weltbesten Akteure dieser ungemein anspruchsvollen Disziplin mit drei Kugeln ist es keine leichte Aufgabe. Genau diese Umstände geben dem Dreibandbillard die spielerische Schärfe. Lange Serien ohne Intervention des Gegners sind hier eher selten. Der schnelle Stoßwechsel und die meist langen Wege des Spielballs machen den Präzisionssport für Zuschauer besonders attraktiv.

So simpel das Regelwerk klingt, so schwierig erweist sich beim Dreiband das Punktesammeln. Der Spielball muss dafür auf dem knapp drei mal eineinhalb Meter großen Tisch beide Objektbälle treffen. Erschwerend dabei: Bevor die gestoßene Kugel den zweiten Objektball touchiert, gilt es zuvor mindestens drei Banden zu berühren.

„Das maximal Schwierige zu schaffen“ war für Andreas Efler der Grund, Dreibandspieler zu werden. Der amtierende österreichische Staatsmeister ist Nummer 28 der Welt und erreichte Anfang November bei der Team-Europameisterschaft in Frankreich mit Spielpartner Jimmy Szivacz Rang drei. Der 44-Jährige spricht von einer gewissen „Demut“, die man im Laufe der Jahre vor der oft zitierten Königsdisziplin im Carambol entwickle. Die technische Herausforderung, den Ball über drei Banden zentimetergenau zu steuern, sei immens. Effet, Höhe und Tiefe des Treffpunkts, Stoßstärke, das Anstellen des Queues – das sind nur ein paar der vielen Parameter, die es zu beachten gilt. Auch aufgrund der vielen Einflussfaktoren hat Carambol, und speziell die Disziplin Dreiband, wenig mit ausgeklügelten Berechnungen zu tun. „Man muss den Stoß fühlen“, sagt Efler, der in der Schweiz aufwuchs und im Basler Billard Club mit dem Carambol begann.

Carambol kann – auch mit Blick auf die aktuelle Weltrangliste – nach wie vor als europäisch dominierte Billarddisziplin bezeichnet werden. In Österreich ist dieses Spiel tief in der Wiener Kaffeehaustradition verwurzelt. Kaffee und Kugeln waren in der Hauptstadt lange unzertrennlich. Das weiß auch Heinrich Weingartner, Cafébesitzer und 15-facher Staatsmeister im Carambol. „Früher hat noch jedes Kaffeehaus einen Billardtisch haben müssen“, sagt der 71-Jährige. Bereits beim Grundriss eines Lokals berücksichtigten damals Kaffeesieder einen Salon für Billard.

Weingartner, der in der Nähe seines Cafés am Neubaugürtel ein Fachgeschäft für Queue und Co., darüber hinaus auch ein Billardmuseum betreibt, ist Vizepräsident des Österreichischen Billardverbandes (BSVÖ) und leistete einst wichtige Entwicklungshilfe im heimischen Billard. Ab den Fünfzigern half Weingartner die durch die Weltkriege eingeschlafene Wiener Billardcafé-Szene wiederzubeleben. Er gründete nicht weniger als 20 Clubs, den ersten 1957 im Café Augarten im jungen Alter von 17 Jahren.

Die Wiener Billard-Melange

Das Café Weingartner nahe dem Westbahnhof ist eines jener Altwiener Kaffeehäuser, in dem der Gast noch in die Blütezeit des Billardcafés, ins späte 19.Jahrhundert, tauchen kann: Das Rauschen der Kaffeemaschine begleitet das Klicken der Spielkugeln, und der längliche Lokalflügel mit drei Caramboltischen und breiter Spiegelwand hat sich seit 1873 kaum verändert. Dass Weingartner, der noch immer täglich trainiert, die Billardtradition am Herzen liegt, ist in seinem Café spürbar. Die Spieltische glänzen, das grüne Filztuch ist fein gesäubert, jedes noch so kleine Utensil hat seinen Stammplatz.

Vom Dreibandbillard ist der Vizepräsident des BSVÖ angetan. Ein Dreibandspieler müsse über große technische Fertigkeiten und große Übersicht verfügen, erklärt Weingartner. Die Erkennung der Winkel und vor allem das Voraussehen der verschiedenen Ballabläufe seien gerade beim Dreiband essenziell. Ob es die Königsdisziplin im Carambol, ja im Billard sei, lässt Weingartner dahingestellt.

Tatsächlich lassen sich die Billardvarianten nur schwer miteinander verknüpfen. Vor allem hinkt ein Vergleich zum Snooker oder Poolbillard, bei dem es in erster Linie darum geht, Kugeln in Taschen zu versenken. In Sachen Popularität und Preisgeld können Carambolturniere nicht mit den hohen Dotierungen bei den, salopp formuliert, Abräumvarianten mithalten. Andreas Efler bekam für das Erreichen des Achtelfinales beim diesjährigen Weltcup-Turnier in Wien gerade einmal 850 Euro. Der Gewinner Frédéric Caudron erhielt einen Siegerscheck im Wert von 5500 Euro. Der Belgier, Weltmeister von 1999, stellte im Oktober in der Wiener Stadthalle einen neuen Weltrekord auf: Caudron spielte über das gesamte Turnier einen Generaldurchschnitt von 2,420 Punkten – schaffte also umgerechnet bei jeder Aufnahme mindestens zwei erfolgreiche Stöße; seine beste Serie spielte er dabei mit 14 Punkten en suite. Unter den Topspielern gilt gemeinhin bereits ein Turnierdurchschnitt nahe der 2,0-Punktemarke als herausragend. Allein dieser statistische Wert vermittelt den hohen Schwierigkeitsgrad im Dreiband.

Hightech-Billard ohne Grenzen

Andreas Eflers längste Serie im Dreiband stoppte nach 23 punktebringenden Stößen ohne Unterbrechung. Der Niederösterreicher hat sich seit seinem 19. Lebensjahr ganz dem Billard verschrieben. Efler lebt von seinem Metier mit dem Queue, weniger von lukrierten Preisgeldern. Abgesehen von bereits erschienenen Lehrbüchern und einer DVD gibt der Dreibandspieler Kurse und Billardunterricht. Besondere Trainingseinheiten bietet Efler seit jüngster Zeit mittels des neuen Videosystems „mywebsport“ an.

Das von dem Tiroler Billardexperten Thomas Riml entwickelte System ermöglicht es, ortsunabhängig und in Echtzeit gegen- oder miteinander Billard zu spielen. Das grenzenlose Hightech-Billard könnte das Carambolspiel und dessen Trainingsmethoden revolutionieren. Bei „mywebsport“ erfasst eine über dem Tisch angebrachte Spezialkamera per Knopfdruck die Lage der Bälle, der Computer rechnet sie in Koordinaten um. Auf dem anderen Tisch projiziert darauf ein Laserkreuz die idente Ballposition auf das Tuch, eine Schablone hilft beim punktgenauen Auflegen. Beide Spieler beobachten einander über einen Flatscreen und kommunizieren per Headset. Das global vernetzende Billardvideosystem eröffnet für Dreibandspieler wie Andreas Efler neue Perspektiven: als Trainer und Spieler. Damit können im traditionsbewussten Billard, das einst die Wiener Kaffeehauskultur prägte, neue Spielwege beschritten werden: online. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.