Heimkehr nach Wien

Nun sind sie also wieder in Wien, die zwei Gemälde von Hans Canon. Die Familie Askonas aber, die sie in die Emigration egerettet hat, sie hat den Weg zurück nicht mehr geschafft. Eine Begegnung in London - und wie es dazu kam.

Nein, an die Schenkung der zwei Gemälde von Hans Canon an das Wien Museum seien keine Bedingungen geknüpft. „My client is now 92 years of age and she feels the best future home for these paintings would be if they return to Vienna“, so David Wittich, der Wirtschaftsanwalt der Familie Askonas. Die Bilder sollen also zurück nach Wien. Möglichst rasch, möglichst unkompliziert. Zurück nach Wien, von wo sie Rudolf Askonas in letzter Minute ins Ausland retten konnte, bevor die Nazis ihren Raubzug durch jüdische Sammlungen antraten.

Vielleicht wären diese Bilder bereits 1938 im Zuge von Enteignungen als Raubgut in ein Museum gelangt – wie Teile der Sammlung seines Bruders Carl. Dann wären sie heute ein Fall für eine Restitution an die rechtmäßigen Eigentümer. So aber konnten die Bilder mit ins Exil genommen werden und waren für die Vertriebenen mehr als 70 Jahre eine Erinnerung an die Stadt, in der es die Askonas zu Wohlstand und Ansehen gebracht hatten und aus der sie schließlich vertrieben wurden. Jetzt sind „die Canons“ also wieder in Wien, an dem Ort, wo sie laut Sylvia Askonas-Desfours Walderode, der Witwe des letzten Eigentümers, Peter Askonas, auch hingehören.
Das Kunsthistorische Museum sammelt keine Kunst aus dem 19. Jahrhundert, und die Sammlung des Wien Museums weist immerhin gut zwei Dutzend Gemälde von Hans Canon auf. Daher war es naheliegend, dass ein Kollege aus dem Kunsthistorischen Museum das noch vage Angebot einer Schenkung mit Arbeitsfotos an uns weiterleitete. Von der Kuratorin unseres Hauses konnte das „Kinderbildnis“ im Werkverzeichnis von Franz Josef Drewes als ein Porträt der Großnichte von Hans Canon identifiziert werden, es galt als verschollen, der verzeichnenden Ordnung entrissen – wie auch die Menschen, von denen ab 1938 in Österreich jede Spur fehlt. Jetzt sind die Bilder im Wien Museum und geben mit ihrer Provenienz mehr Auskunft über die Geschichte ihrer früheren Eigentümer als über die auf den Porträts Dargestellten.

Die Askonas stammen aus einer alten Teplitzer jüdischen Familie und gründeten in den 1880er-Jahren in Wien die Strumpf- und Handschuhfabrik Heller & Askonas als lokale Niederlassung der alten Teplitzer Firma Moritz Heller & Cie. Wohn- und Firmensitze waren die Zelinkagasse und die Gonzagagasse im ersten Wiener Gemeindebezirk. Der Immobilienbesitz der Großfamilie umfasste aber auch Häuser im vierten, achten und neunten Bezirk. Beim Sammeln von Kunst waren die Askonas eher der Tradition verpflichtet. Auf den Listen der von den Nazis geraubten Kunstwerke finden sich im einschlägigen Standardwerk von Sophie Lillie daher unter anderem Namen wie Waldmüller, Rudolf von Alt oder Danhauser.

Unsicherheit und ein Glas Cognac

Anknüpfungspunkte an die Moderne gab es in der Familie jedoch zur Genüge über die verwandtschaftlichen Beziehungen und Freunde. Georg Gauguschs Nachschlagewerk zu den jüdischen Familiengeschichten der Jahrhundertwende gibt ein beeindruckendes Zeugnis davon, wie sehr die Askonas in die Wirtschafts-, Kunst- und Geistesgeschichte der Metropole involviert waren. Verwandtschaftlich war man mit den Familien des Industriellen Fürth und des Holzhändlers Karplus verbunden, über den Verein der Freunde asiatischer Kunst und Kultur in Wien, in dem Carl Askonas Mitglied war, ergaben sich die Kontakte zu Bloch-Bauer oder Beer-Hofmann. Aus der Schnittmenge von Industrie, Kunst und Gesellschaft entstand ein Netzwerk, das 1938 nicht nur zerschlagen wurde, sondern auch mit der Ermordung zahlreicher Freunde endete.

Die Familie von Rudolf Askonas konnte rechtzeitig die Flucht über Kanada nach Großbritannien antreten. Die Geschichte der Familie endete natürlich nicht mit der Flucht ins Exil. Allerdings war sie nach 1945 nicht mehr die Geschichte des jüdischen Wiener Bürgertums, der Kunstsammler und Mäzene, auf deren Tradition sich die Stadt so gerne beruft, die Familie fasste Fuß in der Welt einer aufgeklärten, weltoffenen britischen Gesellschaft.
Mein Vorschlag, Mrs. Askonas zu besuchen, um ihr persönlich für die Schenkung zu danken, stieß beim Anwalt der Familie fast auf Unverständnis. Das sei nicht notwendig, aber natürlich würde sich die betagte Dame über einen Besuch aus Wien sehr freuen. Und im Nachsatz: „She will definitely prepare some food.“ Der Besuch in Leatherhead, einem idyllischen Vorort von London, im bürgerlichen Haus inmitten des sprichwörtlich gepflegten englischen Rasens beginnt mit einem Glas Cognac, was die Unsicherheit gegenüber der herzlichen Dame löst. Die charmante Fröhlichkeit von Mrs. Askonas ist so überwältigend, dass sich bald ein langes und sehr vertrautes Gespräch entwickelt. Da werden Erinnerungen wach an den Eindruck, den die Otto-Wagner-Kirche auf das Kind gemacht hat, die Ausflüge über den Semmering, die Reisen in den Süden, die Spaziergänge durch die Innenstadt.

Auf dem Tisch liegt die englischsprachige Ausgabe der „Wohllebengasse“ – kein Zufall, entstammt Sylvia Askonas doch selbst der Familie Gallia, deren bewegte Geschichte von Tim Bonyhady erzählt wird. „I am only from the farmer's branch“, versucht Sylvia ihre Abstammung zu relativieren, indem sie klarstellt, dass sie nicht der „berühmten“ Gallia-Familie entstammt, sondern lediglich einem Seitenzweig.

Geschichten aus Wien und über Wien blieben ein bestimmendes Thema, auch wenn im Londoner Vorort das Leben beschaulich britisch seinen Weg nahm. Erst 1981 heirateten Sylvia, Mutter eines Sohnes aus erster Ehe, und der 52-jährige Peter Franz Askonas, der sich schon Jahre zuvor freundschaftlich um die beiden gekümmert hatte. Peter Askonas, der letzte Eigentümer der Gemälde und verstorbener Mann von Sylvia, konvertierte bald nach dem Krieg, während seines Aufenthalts in Kanada, zum Katholizismus, um sich bis zu seinem Tod mit Fragen der katholischen Soziallehre und der Ethik in einer sich globalisierenden Wirtschaftswelt zu beschäftigen. Seine Bücher „Social Inclusion“ sowie „Welfare and Values“ beleuchten die Risken der sich globalisierenden Wirtschaft und deren Auswirkungen auf das Individuum. Immer wieder geht es um Fragen der Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft, insbesondere der neu entstehenden Armut. Nicht die Hingabe an das eigene Schicksal, sondern der Glaube an die Möglichkeit des Einzelnen, gesellschaftliche Verhältnisse zu gestalten, scheinen die Antriebskraft der Askonas zu sein.

Die Geschwister Peter und Liesbeth (Lies) sowie ihre Cousine Brigitte (Ita) haben in London erstaunliche Karrieren gemacht und in ihren jeweiligen Professionen maßgebliche Standards gesetzt. Die Erzählungen von Sylvia schaffen den Eindruck, dass die drei Askonas-Kinder eine fest verschworene Gemeinschaft waren, die kein Schicksalsschlag erschüttern konnte. Die Spuren der Vertreibung haben diese Bande wohl noch enger geschnürt, weil man nur sich selbst Stütze sein konnte. Die drei jungen Menschen blieben jedenfalls bis zu ihrem Tod in enger Beziehung. Man besuchte sich und verbrachte gemeinsame Abende im beschaulichen Haus von Leatherhead.

Peters Schwester, Lies, gründete 1955 eine Konzertagentur und brachte Interpreten wie Sena Jurinac, Hans Hotter und Hermann Prey nach London. Claudio Abbado und Zubin Mehta waren genauso auf der Künstlerliste der Agentur wie die Wiener Philharmoniker, die noch heute bei ihren Gastauftritten in London von Askonas-Holt betreut werden. „Many of them were sitting here“, erzählt Sylvia und zeigt auf das Piano unter einem der Canon-Gemälde, weil die Askonas mit vielen Künstlern befreundet waren und ihr Haus ein Treffpunkt der musikalischen Elite wurde.

Die Liebe zur Musik teilten die Geschwister auch mit Cousine Ita. Sie starb im Jahr 2013 und galt als die führende Immunologin Großbritanniens, war Mitglied der Royal Society und der National Academy of Sciences. Glaubt man den zahlreichen Nachrufen in den britischen Zeitungen, ebnete die Cambridge-Absolventin mit ihren Forschungsergebnissen den Weg für Kollegen und Schüler zum Nobelpreis, eine der wenigen Auszeichnungen, die ihr verwehrt blieb. Das Wirken der Askonas verdeutlicht, was Wien und Österreich durch die Vertreibung an intellektueller und gesellschaftlicher Bedeutung verloren ging.

„David, we are going to Vienna“

Restitution von geraubtem Kulturgut bedeutet nicht nur die Rückgabe von unrechtmäßigem Besitz, sondern entspringt auch dem Wunsch, das geschehene Unrecht einzugestehen, und der Hoffnung der heutigen Generation, Gerechtigkeit herzustellen und sich selbst der Verantwortung aus der Geschichte zu stellen. Wenn die in der Geschichte Beraubten und Vertriebenen nun aus ihrem Eigentum Objekte der Stadt Wien schenken, erscheint das wie die Herstellung eines Zustandes, der in der „Welt von gestern“ als normal angesehen wurde. Die Bilder gehören nach Wien wie auch die Erinnerungen der Menschen, die vor mehr als 70 Jahren Hals über Kopf die vertraute Umgebung verließen – das ist die feste Überzeugung von Sylvia Askonas. Ein Verkauf zugunsten ihres Sohnes war kein Thema.

Nun sind sie also in Wien, die zwei Gemälde von Hans Canon. Die Askonas haben den Weg zurück nicht mehr geschafft. London und Cambridge wurden zu den Orten, an denen das Wirken der damals jungen Leute sich entfalten konnte. Auf dem Weg zum Flughafen berichtet David, der Wirtschaftsanwalt der Familie, dass er in den vergangenen Jahren viele Verlassenschaften für die Askonas abgehandelt hat. Immer wurde auch die Öffentlichkeit mit Zuwendungen bedacht. Britische Universitäten, Museen und andere gemeinnützige Einrichtungen haben Zuwendungen erhalten. Zwei Bilder sind jetzt nach Wien gereist. Das Gefühl der Verhärmung gegenüber der Geburtsstadt gibt es bei Sylvia nicht. Die Einladung, doch selbst möglichst bald nach Wien zu kommen, um die Gemälde hier zu sehen und der Stadt einen Besuch abzustatten, aus der sie und die gesamte Familie ihres Mannes vertrieben wurden, beantwortet die liebenswürdig Rüstige mit Blick auf ihren Anwalt spontan und freudig mit: „David, we are going to Vienna!“ Wir freuen uns auf ihren Besuch.


Christian Kircher, Jahrgang 1964, geboren in Spittal an der Drau, ist Finanzdirektor des Wien Museums.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2014)

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