Buongiorno brigadiere!

„Expedition Europa“: wo der Premier im Laufschritt kommt. Dieses Frühjahr endlich eine italienische Reise. Oft traten große Bewegungen in Italien auf spielerische Weise auf, bevor sie anderswo bitterer Ernst wurden.

Dieses Frühjahr endlich eine italienische Reise. Oft traten große Bewegungen in Italien auf spielerische Weise auf, bevor sie anderswo bitterer Ernst wurden. Dass eine Hochkultur zu einem TV-Reigen tanzender Titten herabsinkt, könnte auch anderen blühen, zum Beispiel. Gewöhnt an slawische Schwermut, erstaunt mich der Frohsinn der Italiener. Ich treffe immer noch auf Italienerinnen, die nach all den Krisenjahren bei der Arbeit singen.

Ich habe das Büchlein „Il royal baby“ dabei, einen Essay über den jungen Premierminister Matteo Renzi. Geschrieben hat ihn Giuliano Ferrara, ein Großintellektueller aus kommunistischem Adel, dann CIA-Agent, Berlusconi-Unterstützer, konservativer Debattierer. Ferrara preist Renzi: „Wollt ihr, dass ein alter und rechtschaffener Berlusconiano-Pop wie ich sichnicht in den Pfadfinder der Vorsehung verliebt?“ Renzi, der „Verschrotter des Systems“, der „Speedy Gonzalez der Politik“, bewegt sich stets rennend, schüttelt auch Hände im Rennen. Er erscheint mir als Beschleunigung der Café-Bar-Kultur: ein zügiger Ristretto im Stehen, ein paar freundliche Worte und abgerauscht mit einem allumarmenden „Ciao“.

Ich schwimme in den Meeren links und rechts des Stiefels; im „Golfo dei Poeti“, wo Lord Byron die Leiche seines ertrunkenen Freundes Shelley verbrannte; im Jesolo der Wiener Hausmeisterinnen; im Duino von Rilkes „Duineser Elegien“. Ich sehe auf den Stränden ein italienisch adaptiertes Hipstertum männlicher Poseure, tätowierte Körper gerade auch von Frauen, schwarze Sonnenbrillen bis tief in die Nacht.

In Pasolinis Heimat

Ich fahre in die Heimat des Filmemachers Pasolini, nach Casarsa della Delizia. Hier erahnte er beim erregten Blick auf die Kniekehlen fußballspielender Jugendlicher seine Homosexualität, hier dichtete er auf Friaulisch: „O cristian Furlanut, plen di veça salut“, „o christliches Friaulerlein, voll alter Gesundheit“. Polizisten in bellissime Uniformen stoppen mich. Ich probiere die Anrede aus einem alten Italienisch-Buch: „Buonasera brigadiere!“ Der Jüngere tippt langwierig meine Daten ein, der Ältere aber plaudert so nett mit mir, wie das sonst nur moldawische Grenzer können. Aufmerksam lauscht er meiner Aufzählung europäischer Separatismen, rätselt über Pasolinis Ermordung: „Lieber lese ich aber über die Weltkriege.“ – „Isonzo?“ – „Ja!“ – „Und Pasolinis Bruder war ein katholischer Partisan, oder?“ – „Ja, und jugoslawische Partisanen haben ihn umgebracht.“

Ich fahre in die Toskana. In Loppiano, dem Zentrum der katholischen Fokolarbewegung, sprach der Premierminister neulich. „Er war als Kind oft da“, erzählt man mir, „er wurde ziemlich gefeiert.“ – „Ist er hier auch so rumgehüpft?“ – „Ja, er ist dynamisch.“ Ich besichtige Renzis Heimatstadt nebenan, steil über dem Arno. Kurz nach zwei liegt Rignano in bleierner Siesta-Schläfrigkeit. An der Ortsausfahrt ereilt mich die nächste Kontrolle. „Buongiorno brigadiere!“ Wieder humanstes Geplauder: „Wollen Sie den Wagen nicht in den Schatten stellen?“ Der Ältere fragt mich: „Wissen Sie, dass der Präsident des Ministerrates von hier ist?“ – „Ja.“ – „SeineEltern wohnen hinter dem Hügel dort.“ – „Haben die ein großes Haus?“ – „Ein bescheidenes.“ Der Jüngere legt meine Papiere auf die Polizeikelle, serviert sie dem Älteren über das Dach des Streifenwagens hinweg: „Gute Reise!“

Aus dem stilistisch funkelnden Essay erfahre ich über den Autor alles. Und über Royal Baby Renzi, dass die Nase seiner Frau „ein Zeugnis der Konstruktionsgabe Gottes ist“. Mehr Inhalt ist nicht, wir müssen uns an die Oberflächen halten. Ferrara erklärt: „Platz für die Jungen und fort mit den Posaunenbläsern: Ich hätte nie gedacht, dass dies ein Programm sein könnte, jedoch es ist's.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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