Kurt Zatloukal: Mit der Forschung der Zeit ein Stück voraus

(c) Furgler
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Der Pathologe Kurt Zatloukal plante von Graz aus die Infrastruktur aller europäischen Biobanken. Das europäische Modell könnte auch die Basis für eine dringend benötigte Forschungsinfrastruktur in Afrika bilden.

„Wer in der Formel 1 nur Konzepte testet, die der Straßenverkehrsordnung entsprechen, wird wenig Innovation hervorbringen.“ Das leuchtet ein. Allerdings sagt das ein Mediziner: Kurt Zatloukal hat in Graz eine der größten Biobanken Europas aufgebaut. Seit 2008 koordiniert er die Planung der Forschungsinfrastruktur der europäischen Biobanken. Zum Wohl der Menschen neue Wege zu gehen, reizt Zatloukal, der als Österreicher des Jahres nominiert ist.
Als er nach Studium und Habilitation an der Grazer Med-Uni 1991 an das Wiener Institut für Molekulare Pathologie ging, war er tief beeindruckt von Hamilton Smiths visionären Ideen: Der Nobelpreisträger verbrachte dort ein Forschungssemester. „Mit seinen Ansätzen zur Computeranaylse von Genen war er seiner Zeit um rund zehn Jahre voraus“, sagt Zatloukal. Er selbst forschte damals an einem gentherapeutischen Impfstoff.

Pathologische Proben gerettet

Nach drei Jahren ging Zatloukal zurück nach Graz, wo ausgerechnet ein großer Abfallcontainer seine weitere Laufbahn prägte: „Darin befanden sich über zehn Jahre alte pathologische Proben, die vernichtet werden sollten.“ Zatloukal verhinderte das und legte damit den Grundstein für eine der wichtigsten Biobanken Europas. „Wir haben früh begonnen, biologische Proben für die Forschung unter qualitätskontrollierten Bedingungen zu sammeln“, sagt er. Dabei gelte es, auch rechtliche und ethische Aspekte zu beachten.

Was genau sammelt man eigentlich in einer Biobank? Körperflüssigkeiten wie Blut, Speichel oder Urin sowie krankes und gesundes Gewebe. Die Daten zu den Proben werden mit Patientendaten verknüpft. Warum ist das wichtig? „Unser heutiges Wissen über Krankheiten stammt aus dem Wissen über Erkrankungen früherer Patienten“, sagt Zatloukal.

Insgesamt sei die Medizin in den vergangenen Jahren stark vom vereinfachenden Ursache-Wirkungs-Prinzip weggegangen. „Für die meisten Krankheiten sind jedoch viele Faktoren entscheidend, genetische und umweltbedingte“, so Zatloukal. Großes Potenzial sieht er in Computersimulationen. Sie könnten komplexe Zusammenhänge aufzeigen, unnötige Risken vermeiden helfen und langfristig eventuell auch Tierversuche ersetzen. Insgesamt sollten Forscher viel enger zusammenarbeiten: Wettbewerbsfähigkeit sei nicht durch Isolation zu erreichen.

Vielfalt gut abbilden

Zur Zusammenarbeit bewegt er auch viele in seiner aktuellen Funktion: Als Planer der europäischen Biobank-Forschungsinfrastruktur. Ziel ist die Vielfalt der Menschen und Krankheiten bestmöglich abzubilden – eine Voraussetzung für die Weiterentwicklung der personalisierten Medizin. „Eine einzelne mediterrane oder skandinavische Regionen zu betrachten greift zu kurz“, sagt Zatloukal.

Vertreten ist er auch in einem Beratungsgremium für die Europäische und die Afrikanische Union. Das Medizinsystem in Afrika steht hier im Fokus: „Afrika braucht eigene Medikamente.“ Die Grundlage soll eine Biobank-Forschungsinfrastruktur nach europäischem Modell bilden. „Das könnte auch Türöffner für politische und wirtschaftliche Entwicklungen sein.“
Seine Verantwortung sieht Zatloukal aber nicht nur in der Medizin: „Wir wollen die Öffentlichkeit als Partner für die Wissenschaft gewinnen. Wissenschaftsskepsis ist die Folge fehlender Information.“ Im Grazer Theatercafé hat er dazu bereits ein „Science Café“ mit Kabarett-Einlagen organisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2014)


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