175 Jahre „Die Presse“

Beim Schmäh gibt es keine Obergrenze

Martin Moder in seiner Wohnung in Mödling
Martin Moder in seiner Wohnung in Mödling Valerie Voithofer
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Der Vermittler. Martin Moder ist ein Meister seiner Kunst. Der Molekularbiologe bringt Wissenschaft unter die Leute – leicht verständlich und auf den Punkt gebracht. Das liebste Mittel seiner Wahl: der Humor.

Die Presse: Sie präsentieren sich in einem Ihrer aktuellsten YouTube-Videos mit einer riesigen Spritzpistole, die Sie wie ein Maschinengewehr halten, neben einem Roboter mit rot leuchtenden Augen vor apokalyptisch anmutendem Hintergrund. So zeigen Sie u. a. satirisch, wie der Negativismus in Medien die Viralität von Nachrichten fördert. Wie sehr muss es die Wissenschaft heute selbst krachen lassen, wenn sie medial wahrgenommen werden will?

Martin Moder: Das ist situationsabhängig. Wenn zum Beispiel eine Pandemie ist, muss man auf die wissenschaftlichen Inhalte nicht sonderlich aufmerksam machen, weil eh jeder davon betroffen ist und sich informieren möchte. Aber es ist dann oft schwierig, die Forschung gut einzuschätzen, wenn man sich nur anlassbezogen damit befasst und nicht am Laufenden bleibt. Gerade die Pandemie war ein schönes Beispiel: Es hat für viele so gewirkt, als würde da ein Virus kommen und man würde – schnell, schnell – eine gänzlich neue Art von Impfstoff erfinden und zulassen. In Wirklichkeit hat man schon Jahrzehnte daran geforscht und er war kurz vor der Fertigstellung. Wenn man das im Hinterkopf gehabt hätte, wäre wahrscheinlich auch weniger Skepsis da gewesen.

Ist die Inszenierung in der Wissenschaft heute – ähnlich wie in der Politik – mitunter wichtiger als das Ereignis selbst?

Das würde ich so nicht sagen. Es kommt immer darauf an, wen man erreichen möchte. Man möchte in der Wissenschaftskommunikation gerne sagen: „Wissenschaft ist interessant und für jeden da.“ Das soll auch so sein und das ist auch richtig. Aber im Endeffekt ist es trotzdem so, dass es sehr kompliziert ist und dass es sehr trocken und sehr weit weg von einer Anwendung sein kann. Man kann nicht automatisch das Interesse aller Leute erwarten, die ja alle sehr beschäftigt sind. Und da kann man verschiedene Tricks anwenden – einer ist, dass man es vielleicht mit Humor versucht. Das kann heißen, dass man mit einer Spritzpistole neben einem Terminator steht. Das muss aber nicht sein. Es gibt ja verschiedene Arten, wie man Wissenschaft gut kommunizieren kann. Und jede oder jeder soll die wählen, die ihr oder ihm am besten liegt.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Humor als Türöffner zu nutzen?

Die seriöse Antwort wäre, dass es Untersuchungen gibt, die zeigen, dass man damit mehr Aufmerksamkeit und mehr Leute erreicht. Das ist gerade in einer Zeit, wo es wichtig ist, dass die gute Information schnell verbreitet wird, eine sinnvolle Herangehensweise. Die weniger seriöse Antwort ist: Es macht mir einfach mehr Spaß. Ich habe lange genug auf der Uni und auf Konferenzen Vorträge halten müssen. Das ist auch interessant – aber man hat einfach eine bessere Zeit, wenn man sich erlauben kann, Witze hereinzunehmen, die einem gerade einfallen.

Kann Forschung nicht auch mit guten Nachrichten punkten?

Grundsätzlich schon. Aber nicht jedes Forschungsergebnis ist zwangsläufig immer eine gute Nachricht. Oft ist es einfach eine interessante Nachricht. Wenn ich sage, ich habe jetzt eine neue Phosphorilierungsstelle (Übertragung von Phosphat- oder Pyrophosphat-Gruppen auf ein Zielmolekül, Anm.) an diesem Protein entdeckt, und vielleicht hat das einmal irgendeine Implikation in einer Krankheit, wird das nicht unbedingt als positive Nachricht wahrgenommen. Das Problem ist: In der Grundlagenforschung hat man nicht immer den Bezug zur großen Rettung oder zur großen Verbesserung, die es bringt. Man forscht auch an Dingen, weil sie interessant sind. Und bei einem Hundertstel davon stellt sich dann vielleicht fünf Jahre später heraus, dass man damit etwas total Wichtiges machen kann. Die gute Nachricht ist nicht immer das, was am Schluss steht. Meist ist es so: „Wir haben das gefunden und das ist sehr spannend. Und vielleicht können wir einmal etwas damit machen.“

War es rund um 1848 – das Gründungsjahr der „Presse“ – leichter, mit spektakulären Erkenntnissen durchzudringen als heute, wo sie sich in einer größeren Nachrichtenflut behaupten müssen?

Persönlich habe ich wenig Erinnerung an die Zeit damals (schmunzelt). Aber ich gehe schon auch davon aus, dass es in einer Zeit, wo es nur wenige etablierte Medien gab, leichter war, in dem Kontext am Laufenden zu bleiben als heute, wo es quasi eine unendliche Quelle an mehr oder weniger guten Nachrichten- oder Kommunikationskanälen gibt. Und wo vor allem die Leute nicht die gleichen Kanäle konsumieren. Das hat natürlich große Vorteile, aber es hat natürlich auch den Nachteil, dass es sehr schwierig ist, dass Leute auf einen gemeinsamen Nenner kommen, weil die Nachrichten, die sie sehen, in gänzlich andere Richtungen zeigen.

Waren früher die Ergebnisse spektakulärer als die Vermittlung und ist es jetzt mitunter umgekehrt?

Das glaube ich nicht. Ich glaube eher, wenn wir heute zurückblicken, schauen wir halt: Was waren die Top-Ten-Ereignisse in den vergangenen 50 Jahren? Und natürlich ist da Arges dabei. Und heute schauen wir eher: Was waren die Top-Ten-Ereignisse dieser Woche? Und sind schockiert, wenn die nicht genau so spektakulär sind. Ich glaube, es ist unfassbar spektakulär, was wir können. Alleine, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit während einer Pandemie eine Schutzimpfung entwickelt und damit Millionen Leben gerettet haben, das muss einem bewusst sein. Das ist ein historisches Ereignis. Und das setzt den Standard für zukünftige Katastrophen. Und es ist etwas, das wahrscheinlich in 175 Jahren in der „Presse“, wenn es um Geschichte geht, genannt werden wird.

Sie sind mir das erste Mal 2014 in Graz als Fruchtfliege verkleidet begegnet, als Sie als Wiener bei der Steiermark-Ausscheidung für den Science Slam mitmachen sollten. Sie waren dabei, haben gewonnen, sind österreichischer Meister und Europameister geworden. Heute schreiben Sie Bücher, drehen unter dem Titel „MEGA (Make Europe gscheit again)“ YouTube-Videos und sind Mitglied der Science Busters, vermitteln also Wissenschaft auf ganz unterschiedlichen Kanälen. Wie kam‘s, dass Sie diesen Weg eingeschlagen haben?

Ich habe neben meinem Studium in einem Mitmachlabor gearbeitet, dem Vienna Open Lab. Da kommen Schulklassen und man bringt ihnen Genetik bei. Sie können etwa ihre eigene Erbinformation untersuchen. Da habe ich einige Jahre lang Kurse gehalten und gemerkt, dass es etwas sehr Befriedigendes ist, wenn man jemandem etwas erklärt, das einen selbst sehr interessiert und merkt: Den fasziniert das jetzt auch.

Andere werden dafür Lehrer.

Ja – und Hut ab vor jedem, der das macht. Aber ich glaube, ich habe den angenehmeren Job, weil ich habe die völlige Freiheit, was den Lehrplan angeht. Ich kann eigentlich immer das machen, was ich persönlich am interessantesten finde und habe niemanden im Klassenzimmer sitzen, der vielleicht störend sein könnte. Und ich habe auf jeden Fall den einfacheren Job. Als ich den PhD begonnen habe, und keine Zeit mehr für das Mitmachlabor hatte, habe ich gemerkt, dass es mir gefehlt hat, Leuten zu erklären, was gerade in der Wissenschaft alles Lässiges abgeht. Und da habe ich begonnen, nebenbei mit den Science Busters ein paar Shows zu spielen. Und als der PhD vorbei war, musste ich mich entscheiden: Wenn ich eines von beidem gescheit machen möchte, kann ich nicht beides machen.

Tut es Ihnen manchmal leid, nicht in der Wissenschaft geblieben zu sein?

Es war eine schwere Entscheidung und ich vermisse es schon, jeden Tag in ein Labor zu gehen und dort mit vielen gescheiten Forscherinnen und Forschern an einem Projekt zu arbeiten. Allerdings gab und gibt es dort genug Leute, die gerne bereit waren, meine Arbeit weiterzuführen – und die sind um nichts weniger kompetent. Wissenschaftskommunikation in Österreich hingegen war zu dem Zeitpunkt echt nicht an dem Punkt, wo sie sein sollte – auch im Vergleich zu anderen Ländern. Da dachte ich mir, das ist vielleicht die sinnvollere Nische für mich.

Wie viel Schmäh verträgt die Wissenschaftsvermittlung?

Ich glaube nicht, dass es eine Obergrenze gibt. Das Einzige, was wichtig ist, ist: Ist das, was man sagt, noch richtig? Der wahre Grenzgang ist nicht Humor versus Tiefe, sondern: Wie weit kann ich vereinfachen, sodass es noch nicht falsch ist? Das ist ein Balanceakt. Gerade wenn man aus der Forschung kommt, fällt es einem irrsinnig schwer, Information wegzulassen, weil man sich denkt: Das ist gutes Hintergrundwissen. Aber in Wirklichkeit scheitert es oft daran, dass man so weit ausholt und so viele Umwege nimmt beim Erklären, dass sich selten jemand die Zeit und die Energie und die Aufmerksamkeit nehmen möchte, so lange zuzuhören.

Abschließend noch ein Blick nach vorne. Wie muss sich die mediale Vermittlung von Wissenschaft künftig entwickeln, um durchzudringen?

Eine der allergrößten Herausforderungen wird sein, wie man es schafft, dass sich die schlechte Information nicht besser verbreitet als die gute Information. Die schlechte Information erzählt oft eine sehr gute Geschichte – oder sie macht Angst. Und Angst und Empörung verbreiten sich im Internet besonders gut. Da einen Weg zu finden, ohne nennenswert Dinge zu löschen und zu „übermoderieren“ und trotzdem die gute Information in den Vordergrund zu rücken, das ist die große Herausforderung.

Martin Moder

ist promovierter Molekularbiologe und Wissenschaftskommunikator. Er schreibt Bücher, dreht YouTube-Videos und ist Mitglied der „Science Busters“.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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