Economist-Insider

Keiner kümmert sich noch um irgendwas

Über die Wirtschaft, die von der Politik arg vernachlässigt wird.

Einen wunderschönen guten Morgen!

Heute geht es um Vernachlässigung. Heißt: Ich möchte mich gleich einmal bei Ihnen entschuldigen, ich habe Sie newslettermäßig ziemlich vernachlässigt. Aber dafür gibt es natürlich einen Grund, und ich komme jetzt sicher nicht mit den allseits beliebten Ausreden: Teuerung, Fachkräftemangel, Energiekosten und überhaupt. Ich habe schlicht und einfach viele Diskussionsveranstaltungen moderiert – und da habe ich blöderweise den Anspruch, inhaltlich gut vorbereitet zu sein.

Wobei, wenn ich ganz ehrlich bin: Viele dieser Diskussionen waren dann thematisch so etwas wie ein Selbstläufer, weil es um die politisch vernachlässigte Wirtschaft ging. Die hat deshalb ganz offensichtlich enormen Redebedarf. Führungskräften braucht man mittlerweile nicht einmal kluge, detailreiche Fragen zu stellen – ein floskelhaftes „Wie geht’s?“ reicht. Die einhellige Antwort ist eher nicht so erbaulich. Und es stellt sich heraus, dass die eingangs erwähnten „Ausreden“ alles andere als an den Haaren herbeigezogen sind.

Da kommen dann Beschwerden über den Mangel an Arbeitskräften, die hohe Belastung mit Steuern und Abgaben, die absolut ausbaufähige schulische Bildung, die Inflexibilität beim Zuverdienst von Pensionisten, die mangelhafte Kinderbetreuung. Allesamt keine wirklich neuen Erkenntnisse, aber in wirtschaftlich fordernden Zeiten schoppt sich das halt. Und all diese Faktoren ergeben einen recht ungünstigen Mix: Die steuerliche Belastung von Arbeit ist so hoch, dass viele die finanziell und freizeittechnisch kommodere Teilzeit bevorzugen. Auch etliche Unternehmen, übrigens, die unter enormen Lohnnebenkosten ächzen.

Noch einmal: Nichts Neues, aber wirtschaftspolitisch ist da halt in den vergangenen Jahren nichts weitergegangen. Womit wir bei einer weiteren beliebten Ausrede wären: Der Koalitionspartner legt sich halt, leider, leider, quer. Wie wird das erst angesichts einer drohenden Dreier-Koalition werden? Zumal sich die Rezession hartnäckig hält.

So viel zu den hausgemachten Problemen, dazu kommen die EU-gemachten, in Brüssel kann man das auch recht gut. Mögen Wirtschaftsmächte reihum ihre Technologien feiern, wir in Europa haben genug mit Regulierungen zu tun. Verbote, Gebote, Vorschriften. Das schafft natürlich auch Arbeitsplätze, aber ob die zukunftsweisend sind?

Aber wenigstens werden am morgigen Sonntag EU-Wahlen abgehalten. In Österreich liegen dazu die Themen seit Wochen glasklar auf dem Tisch: Was kümmert uns der schön langsam erodierende europäische Wirtschaftsstandort, das „He said, she said“ einer jungen Kandidatin und eines ungemein geltungsbedürftigen Aktivisten-Ehepaares ist eh viel spannender. Trotzdem: Diese Banalisierung der (Wirtschafts-)Politik wird schön langsam unerträglich. Da sind nicht wenige in der Politik von allen guten Geistern verlassen, sie vernachlässigen jedenfalls ihren Job, für den sie gar nicht so schlecht bezahlt werden.

Ein großer wirtschaftspolitischer Mahner ist, wie Sie sicherlich schon mitbekommen haben, Hannes Androsch. Der einstige SP-Finanzminister ist schon lange Unternehmer und gefällt sich ausgesprochen gut in der Rolle des wirtschaftspolitischen Elder Statesman. Und vielen Zeitungen gefällt diese seine Rolle auch recht gut, was ich nie so wirklich verstanden habe, aber vermutlich liegt es an meinem engen Horizont. Auf Androschs Website (androsch.com) finden sich jedenfalls alle seine Interviews und Gastkommentare, Jahr für Jahr gebündelt, und wenn ich richtig gezählt habe, dann waren es allein heuer 15 an der Zahl, in Tages- und Wochenzeitungen sowie in einem Monatsmagazin.

Ich vermute, dass meine dieswöchige Recherche nicht auf seiner Website verewigt werden wird. Denn ich beschreibe die Ereignisse rund um die Doch-nicht-Kapitalerhöhung beim steirischen Leiterplattenkonzern AT&S, den Androsch vor fast 30 Jahren mit zwei Kompagnons übernommen und zu einem Technologieführer hochgepusht hat. Androsch ist immer noch AT&S-Großaktionär und hat nun den Einstieg der Staatsholding Öbag verhindert, der immerhin viel Geld, aber eine Verwässerung seiner Anteile gebracht hätte. Ob Androschs Njet aus wirtschaftlichen oder persönlichen, machtpolitischen Gründen erfolgt ist – das ist noch nicht eindeutig zu beantworten. Aber ich habe da einige Puzzlestücke zusammengetragen.

Eigentlich könnte ich auch eine eigene Hannes-Androsch-Website basteln. Über die Jahre habe ich viel über ihn geschrieben – als er Berater von Kanzler Werner Faymann wurde, als er sich mit diesem überwarf, als es Troubles mit seinen Salinen gab. Jetzt ist AT&S dazugekommen.

Vernachlässigt fühlt er sich von mir wenigstens nicht.

Schönes Wochenende!

Hanna Kordik
hanna.kordik@diepresse.com

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