Noch-Bundeskanzler Kern glaubt an eine künftige schwarz-blaue Bundesregierung. Aus der Verantwortung stehlen will er sich aber nicht. Ex-Vizekanzler Spindelegger warnt indes die ÖVP: "Die SPÖ wird alles versuchen, um Kurz zu verhindern."
Die Sozialdemokratie muss das Kanzleramt aller Voraussicht nach elf Jahren wieder räumen. Zwar dürfte sie auf Platz zwei hinter der ÖVP bleiben, ein erfreuliches Ergebnis aus roter Sicht sieht aber freilich anders aus. Parteichef Christian Kern gibt sich am Morgen nach dem Urnengang dennoch optimistisch. Im Land habe es einen "Rechtsruck" gegeben, es sei Aufgabe der SPÖ hier fortan eine Gegenposition aufbauen, betonte er im Ö1-"Morgenjournal". In welcher Rolle - ob als Juniorpartner der Volkspartei, in der Opposition oder doch an der Spitze von Rot-Blau -, werde sich zeigen.
Allerdings: Nach den Berechnungen der ARGE Wahlen sowie von SORA wird die SPÖ nach der Auszählung der Wahlkarten voraussichtlich die FPÖ noch von Platz zwei verdrängen. Auch die Liste Pilz dürfte noch etwas zulegen. Die Grünen werden trotz prognostiziertem besseren Abschneiden bei den Briefwählern den Einzug aller Voraussicht nach nicht schaffen.
Würde Kern den Vizekanzler unter Sebastian Kurz machen? Ausschließen wollte der 51-Jährige das zumindest nicht. "Wir werden jetzt diskutieren, wie man dieses Wahlergebnis interpretieren muss und dann werden wir die Entscheidungen treffen. Selbstverständlich werden wir uns Gespräche nicht verweigern", sagte er. Man werde sehen, "was das potenzielle Programm ist, das die künftige Regierung umsetzen wird - das ist der einzige Maßstab". Er hege aber "eine gewisse Sorge, dass wir da nicht gleich zusammenkommen werden - das würde schon von beiden Seiten eine ganz erhebliche Kompromissbereitschaft erfordern".
Dass er nun nicht einfach alles hinschmeiße, gründe in seinem Verantwortungsbewusstsein, so Kern weiter: "Wir können uns als staatspolitisch orientierte Partei nicht entziehen." Dass man sich nie aus der Verantwortung gestohlen habe, "liegt in den Genen der SPÖ", meint Kern. Eine rote Regierungsbeteiligung sei dennoch eher unwahrscheinlich, "weil die Überschneidungen im ÖVP- und FPÖ-Programm sind einfach enorm groß". Insofern sei anzunehmen, dass sich Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache "sehr rasch" einig werden.
Machtversessenheit? "Das stimmt einfach nicht"
Mit Machtversessenheit - die er vor 17 Monaten in seiner Antrittsrede als neuer roter Parteiobmann angeprangert hatte - habe sein Verhalten jedenfalls nichts zu tun. "Das stimmt einfach nicht", betont Kern. "Jeder, der meine persönliche Biografie kennt wird doch hoffentlich nicht so verrückt sein, auf die Idee zu kommen, dass ich das zu meinem eigenen, persönlichen Komfort tue - dann hätte ich mich nie in der Politik engagieren dürfen." Er fühle sich den Grundwerten der Sozialdemokratie verpflichtet "und nicht irgendwelchen Jobs und warmen Stuben". Das werde er auch allen klarmachen, verteidigte er einmal mehr das rote (Wahl-)Programm, das auf Kerns "Plan A" fußt.
Zehn Jahre als Politiker hat Christian Kern für sich vorgesehen. Das sagte er bei seinem Einzug ins Bundeskanzleramt im Mai 2016 – und er wiederholte es bis zuletzt. Wie es aussieht werden es deutlich weniger. Nach dem Rückzug von der SPÖ-Spitze wollte er zuerst als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl für die SPÖ kandidieren. Diese Pläne dürfte er jedoch verworfen haben. Am Wahlabend im Oktober 2017 war von ihm noch zu hören: "Ich will Verantwortung übernehmen." Nachdem die SPÖ den ersten Platz räumen musste, stellt sich aber Frage, wie genau diese aussehen soll. Die Presse
Seine ersten offiziellen Schritte am heimischen Polit-Parkett tat Kern im Mai 2016, als er Werner Faymann nicht nur als SPÖ-Bundesparteichef, sondern auch als Bundeskanzler beerbte. Zuvor hatte er sich als Manager bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) einen Namen gemacht, insbesondere, als er während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 die Beförderung Tausender organisierte – und scharfe Kritik an der Bundesregierung geübt hatte. So sagte er damals u.a. in einem "Presse"-Interview: "Wenn die Hilfsorganisationen ähnlich agiert hätten wie manche Behörden, dann hätten wir weit größere Probleme gehabt." APA/ROLAND SCHLAGER
Als Kern letztlich zusagte, die SPÖ zu führen, galt er so manchem Genossen als eine Art Heilsbringer – und das, obwohl er für Positionen eintritt, für die sein Vorgänger wohl mit Rücktrittsaufforderungen überhäuft worden wäre. Stichwort: Studienplatzbeschränkungen oder Arbeitszeitflexibilisierung. Auch, dass er rasch nach seinem Amtsantritt einem Treffen sowie einer öffentlichen Diskussion mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zusagte, gehörte bis dahin nicht unbedingt zum Kanon der österreichischen Sozialdemokratie. GEORG HOCHMUTH / APA / picturede
Zur anfänglichen positiven Stimmung beigetragen hat sicherlich auch das Talent zur Inszenierung des gebürtigen Wieners. So mag sein Ausflug als „Pizzaboy“ im Schnitzelland Österreich manchen ein wenig aufgesetzt gewirkt haben, funktioniert hat die Aktion aber, wie sich an den Zugriffszahlen zum Begleitvideo leicht ablesen lässt. Die Parteilinke erfreute er wiederum mit einer Rede bei der Regenbogen-Parade. APA/HANS PUNZ
Sein "Plan A", der inhaltlich einige rote Zöpfe abschneidet, war so gut getimet (und medienwirksam in der Messehalle Wels vorgestellt), dass Kern der ÖVP in der Folge sogar eine Reform des Regierungsabkommens abtrotzen konnte, freilich mit auffällig vielen tendenziell schwarzen Inhalten. APA/BARBARA GINDL
Im Verlauf des Sommers 2017 wurde der Plan zum offiziellen 209-seitigen Wahlkampfprogramm der SPÖ aufgewertet. Einige Eckpunkte: Für Unternehmen sollen die Lohnnebenkosten um 500 Euro sinken, Löhne bis 1500 Euro sollen steuerfrei sein, Kürzungen der Pensionen soll es nicht geben, dafür verschärfte Steuerregeln für Konzerne, ebenso eingeführt werden soll eine Erbschaftssteuer ab einer Million Euro. Dazu gab es einen provokanten Slogan (am entsprechenden Plakat illustriert mit Kern in Uncle-Sam-Manier): "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht." APA/HANS KLAUS TECHT
Eher ungeschickt agierte Kern dagegen am internationalen Parkett. Zuerst befeuerte er den parteieigenen Widerstand gegen das Handelsabkommen Ceta sogar mit einer Art Urabstimmung, ließ eine Blockade auf EU-Ebene dann aber doch flott sein. Eigenwillig war auch Kerns Blockade der Aufnahme jugendlicher Flüchtlinge, die er europäischen Vorgaben geschuldet ebenfalls rasch aufgeben musste. APA/ROLAND SCHLAGER
Generell gilt Kern als pragmatisch, aber auch als jemand, der gerne die Kontrolle behält. Zugestanden wird ihm von Weggefährten außerdem, dass er zuhören könne. Der gebürtige Simmeringer, der eher so spricht, als wäre er auf Schloss Schönbrunn groß geworden, könne sich auf Gesprächspartner gut einstellen und sei ein versierte Netzwerker, heißt es. Er selbst beschreibt sich als Optimisten, wie zuletzt im Ö3-Sommergespräch: "Ich neige dazu, negative Emotionen nicht vor mir herzutragen, sondern Leute zu motivieren." Und: "Ich bin jemand, der mit seinem Schicksal im Reinen ist." (Bild: Kern mit Ehefrau Eveline Steinberger-Kern am Villacher Kirchtag) APA/GERT EGGENBERGER
Aufgewachsen ist Kern in den 1960er-Jahren in einem eher unpolitischen Haushalt als Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs im Arbeiterbezirk Wien-Simmering, wie der Fußballfan auch in einem eigens produzierten Wahlkampf-Video verriet. "Es gab viel Liebe und wenig Geld", schilderte er darin - private Fotos inklusive. Kern wurde jung Vater und zog seinen ersten Sohn einige Jahr alleine auf. Mittlerweile ist er Vater dreier Söhne und einer Tochter. APA/SPÖ
Bald fand Kern, der einst Schulsprecher an jenem Gymnasium war, das auch Viktor Klima und Thomas Klestil besucht hatten, dann über den VSStÖ zur SPÖ. Dort wurde der studierte Kommunikationswissenschafter und Absolvent eines postgradualen Lehrgangs im Schweizer St. Gallen Büroleiter und Pressereferent für den damaligen Beamten-Staatssekretär und späteren Klubobmann Peter Kostelka. APA/HERBERT NEUBAUER
Pressesprecher sollte aber nicht Kerns Lebensaufgabe werden. Er wechselte in den Verbund als nach Eigendefinition "siebenter Zwerg von links", turnte sich aber von Funktion über Funktion bis hinauf in den Vorstand. Von dort weg engagierte ihn die damalige Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) als ÖBB-Sanierer. Dass er den Job erledigte, dankte ihm seine Mentorin jedoch eher weniger. Die enge Vertraute von Ex-Kanzler Faymann befand 2014 in einem Interview, dass Kern wohl ein "nicht so guter Politiker" wäre. APA/ROLAND SCHLAGER
Privat ist Kern in zweiter Ehe mit der früheren Verbund-Kollegin Eveline Steinberger verheiratet. Er geht zur Jagd, ist begeisterter Läufer, Tennisspieler sowie Mountain-Biker - und bespielt nebenher auch die sozialen Netzwerke Facebook, Twitter und Instagram. Seine fußballerische Leidenschaft ist die Wiener Austria, in deren Kuratorium er auch sitzt – wie auch (FSG-und Austria-Chef) Wolfgang Katzian, (Wiens Ex-Bürgermeister) Michael Häupl und (Pensionisten-Chef) Karl Blecha. APA/HANS KLAUS TECHT
Nach dem Ende seiner Kanzlerschaft fand Kern nicht richtig in seine Oppositionsrolle und geriet auch in einen Richtungsstreit mit dem künftigen burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Außer dem 12-Stunden-Tag war es der SPÖ kaum gelungen Themen zu setzen - in diesem Fall ebenso vergebens. Nach einem Jahr in der Opposition regelte Kern nun also seine Nachfolge an der Parteispitze und scheidet ganz aus der SPÖ aus. APA/ROBERT JAEGER
Zur Person: Christian Kern, geboren am 4. Jänner 1966 in Wien. Vier Kinder aus zwei Ehen. Studierter Kommunikationswissenschaftler. Ab 1991 Assistent des damaligen Staatssekretärs Kostelka, ab 1994 dessen Büroleiter als Klubobmann. 1997 Wechsel in den Verbund, ab 2007 dort Vorstandsmitglied. Ab Juni 2010 Chef der ÖBB sowie ab 2014 Vorsitzender der Gemeinschaft europäischer Bahnen. Seit 17. Mai 2016 Bundeskanzler, seit 25. Juni 2016 SPÖ-Vorsitzender. Seit Herbst 2017 als Oppositionsführer im österreichischen Parlament. APA/EXPA/SEBASTIAN PUCHER
Christian Kern: Der Ex-''Slim-Fit-Kanzler'' hängt die Politik an den Nagel
Die Frage, ob er noch glaube, fest im Chefsattel zu sitzen, nachdem er doch den ersten Platz der SPÖ bei der Nationalratswahl nicht verteidigen konnte, beantwortet Kern mit einem Verweis auf die gestrige rote Wahlfeier. "Die Euphorie ist groß bei uns, ich war selbst überrascht über den Empfang, über die vielen Nachrichten, die ich bekommen habe - das ist ein positives Zeichen." Seiner Ansicht nach sei nun der Zeitpunkt gekommen, die Partei so aufzustellen, "dass wir bei einer nächsten Wahl besser abschneiden können, wieder Erster werden können". Ob das nun ein Köpferollen bedeute? "Da muss man immer vorsichtig sein", so Kern vage.
Pelinka: "Kern ist momentan ungefährdet"
Auch der Politologe Anton Pelinka sieht Kerns Position an der Parteispitze "momentan offenkundig ungefährdet". Immerhin sei es nicht zu einem großen Absturz gekommen, vielmehr sei die SPÖ ungefähr gleich stark geblieben, wie bei der Nationalratswahl 2013, wo sie unter Werner Faymann auf 26,8 Prozent kam. Dennoch sei der deutliche Abstand zu Platz eins - die Volkspartei liegt nach vorläufigem Endergebnis bei 31,36 Prozent - "ein Misserfolg".
Ob Noch-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil an Kerns Stelle treten könnte, sollte sich Schwarz-Rot doch finden lassen? "Wenn die Sozialdemokratie, was unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist, sich mit der Volkspartei einigt, dann könnte das eine Variante sein", beantwortet Pelinka im ORF-Radio die Frage. Bei der "noch unwahrscheinlicheren" Variante von Rot-Blau, "würde die SPÖ den Kanzleranspruch stellen und das könnte nicht Christian Kern sein - das wäre die Variante Doskozil". Nicht auszuschließen, so der Politologe, sei eine Teilung der Verantwortlichkeiten: "Zwischen dem Parteivorsitz und der Spitzenposition, sei es Kanzler oder Vizekanzler in der Regierung."
Spindelegger: "SPÖ wird alles tun, um Kurz zu verhindern"
Der frühere Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP), der einst Kurz als Integrationsstaatssekretär und dann als Außenminister in die Regierung holte, warnt seine Partei unterdessen vor zu viel Siegessicherheit. Der Sprung ins Kanzleramt sei noch keine "g ’mahde Wiesen". Denn: "Die SPÖ wird alles versuchen, um Kurz zu verhindern", so der einstige Finanzminister im "Kurier" vom Montag.
Auch der frühere ÖVP-Vizekanzler Josef Pröll mahnt Kurz: "Er muss ruhig ausloten, wie eine mögliche neue Regierung ausschauen könnte." Spindelegger rät zu "Transparenz". Kurz solle die "Öffentlichkeit immer am Laufenden halten".
Nationalratswahl 2017
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