Sechs Frauen und sechs Männer sollen bis zum Neuwahltermin im Herbst die Geschicke des Landes leiten. Bundespräsident Van der Bellen gibt ihnen dabei drei Dinge zu bedenken.
Exakt eine Woche nachdem der Nationalrat - erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik - der österreichischen Bundesregierung das Misstrauen ausgesprochen hat, hat das Land eine neue Führung bekommen: Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Montag die Übergangsregierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein in der Wiener Hofburg angelobt.
Van der Bellen zeigte sich überzeugt, dass das neue Kabinett, das inklusive der Regierungschefin aus zwölf Mitgliedern besteht, „bis nach den Wahlen zum Nationalrat im Amt sein wird“. Überdies betonte das Staatsoberhaupt, dass es sich um die bisher weiblichste Regierung handelt, denn es finden sich neben der Kanzlerin in den Reihen der neuen Minister fünf Frauen und sechs Männer. „Es freut mich - ich mache keinen Hehl daraus“, sagte Van der Bellen, dass erstmals eine Frau an der Regierungsspitze steht und „Frauen und Männer in gleichem Maße in dieser Regierung sind“. Künftig könne „niemand mehr sagen: 'Es geht leider nicht'.“
Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Bundespräsident Alexander Van der Bellen während der Angelobung der neuen BundesregierungAPA/ROLAND SCHLAGER
Er gehe davon aus, meinte Van der Bellen, dass die neue Regierung „unser Land politisch, diplomatisch und sympathisch vertreten wird - innenpolitisch und außenpolitisch“. Die Ministerinnen und Minister würden die Republik als „selbstbewusstes Land im Herzen Europas“ präsentieren: „Wir werden das schon schaffen, in guter österreichischer Manier.“
„Ich nenne es das typisch Österreichische“
Einmal mehr kam der Bundespräsident sodann auf die Ereignisse der vergangenen Wochen zu sprechen - beginnend beim 17. Mai und dem an diesem Tag publik gewordenen „Ibiza-Video“, in dem sich Heinz-Christian Strache im Sommer 2017 mit einer vermeintlichen Investorin über Staatsaufträge für millionenschwere Spenden unterhielt, und damit seinen Rücktritt, das Ende von Türkis-Blau, den ersten erfolgreichen Misstrauensantrag gegen eine Regierung in der Zweiten Republik und vorgezogene Neuwahlen im Herbst nach sich gezogen hat.
„Wir sollten uns vielleicht merken: In der Politik weiß man oft nicht, was am nächsten Tag kommt“, fasste Van der Bellen zusammen. Um nicht die Orientierung zu verlieren, brauche es daher zum einen die Bundesverfassung, die sich in den vergangenen Tagen mehr als bewährt hätte, da sie „für eigentlich alle Eventualitäten grundlegende demokratische Spielregeln“ beinhalte. Zum anderen brauche es drei weitere Dinge: „Ich nenne es das typisch Österreichische“, so Van der Bellen - und zählte auf: Zuversicht („Na, des mach' ma schon, des kriegen wir schon hin“), Mut („Mutig in die neuen Zeiten“) und das Gespräch („Beim Reden kuman die Leut' zam'“).
Habemus Regierung - wieder einmal. Brigitte Bierlein, erste Kanzlerin Österreichs und bisherige Präsidentin des Verfassungsgerichtshof, hat ihr Kabinett zusammengestellt, mit dem sie das Land bis zu den Neuwahlen im September regieren wird. REUTERS
Der frühere Präsident des Verwaltungsgerichtshofs ist neuer Justizminister und Vizekanzler. Jabloner war von 1998 bis 2003 auch Vorsitzender der Historikerkommission, er gilt als SPÖ-nahe. APA/ROLAND SCHLAGER
Der Leiter der Europaabteilung im Außenressort ist neuer Außenminister sowie zuständig für die EU-Agenden, Kunst, Kultur und Medien. Schallenberg gilt als ÖVP-nahe, er hat für die Volkspartei auch den Koalitionsvertrag mit der FPÖ mitverhandelt. APA/HELMUT FOHRINGER
Der Jurist wurde 2006 unter Karl-Heinz Grasser Präsident der Finanzprokuratur. Damit ist er Anwalt und Berater der Republik. Von 2009 bis 2012 war er außerdem Leiter der CSI Hypo. Nicht selten wird Peschorn als "der mächtigste Beamte des Landes" bezeichnet, nun übernimmt er das Innenressort. APA/ROLAND SCHLAGER
Eduard Müller war bisher Leiter der Sektion eins, das ist die Präsidialsektion im Finanzministerium. Diese ist für das Personalmanagement verantwortlich und hat die zentrale Koordinierungsverantwortung für den Resourceneinsatz im Ressort. Müller wurde von Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling in diese Funktion berufen – und das etwas ungewöhnlich: Unter Finanzministerin Maria Fekter war Müller, damals Vize-Leiter der Sektion vier, angeblich im Groll aus dem Ministerium in die Privatwirtschaft geflüchtet und Geschäftsführer des Linde-Verlags geworden. Schelling gelang es, ihn zurückzuholen. APA/HELMUT FOHRINGER
Sie ist eine Wegbegleiterin des einstigen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel: Elisabeth Udolf-Strobl arbeitete in den Kabinetten des damaligen Wirtschafts- und Außenministers, ehe sie im Jahr 1999 Leiterin der Sektion Tourismus im Wirtschaftsministerium wurde. Später kam auch noch die Zuständigkeit für historische Bauten – etwa das Schloss Schönbrunn – hinzu. APA/HELMUT FOHRINGER
Auch sie war bis dato Leiterin der Präsidialsektion, in diesem Fall des Sozialministeriums. Die Bestellung von Zarfl als Sozialministerin gilt als Signal an die SPÖ. Die studierte Naturwissenschafterin leitete im Sozialressort die Gruppe EU, Internationales, Senioren und Freiwillige, ehe sie 2015 vom damaligen Sozialminister Rudolf Hundstorfer zur Sektionschefin bestellt wurde. Hundstorfer bezeichnete damals die Bestellung der Mutter zweier Töchter als klares Signal für Frauen in Führungspositionen. APA/HELMUT FOHRINGER
Das Landwirtschaftsministerium bleibt in weiblicher Hand: Maria Patek übernimmt von Bundesministerin Elisabeth Köstinger. Von dieser wurde sie Mitte 2018 mit der Leitung der Sektion Forstwirtschaft und Nachhaltigkeit im Landwirtschaftsministerium betraut. Davor leitete sie die Sektion "Wasserwirtschaft". Im Landwirtschaftsministerium agierte sie außerdem zwei Jahre lang als Beauftragte für Gender Mainstreaming. APA/HELMUT FOHRINGER
Andreas Reichhardt fungierte unter Ex-Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) als Generalsekretär. Zuvor war der Burschenschafter Sektionschef im Verkehrsministerium. Im Jahr 2008 sorgten Fotos für Aufregung, die Reichhardt gemeinsam mit dem zurückgetretenen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei Wehrsportübungen zeigten. Der 50-jährige Wiener begann seine politische Karriere als Referent des Zweiten bzw. Dritten Nationalratspräsidenten Thomas Prinzhorn (FPÖ) und stieg unter Minister Hubert Gorbach (FPÖ) zum stellvertretenden Kabinettschef auf. Seit Frühjahr 2018 ist Reichhardt Mitglied im Aufsichtsrat der Asfinag sowie im ÖBB-Aufsichtsrat. APA/ROLAND SCHLAGER
Mit Thomas Starlinger übernimmt ein bisheriger Mitarbeiter des Bundespräsidenten die Funktion des Verteidigungsministers. Denn Alexander Van der Bellen machte Starlinger Anfang 2017 zu seinem Militär-Adjutanten. Der Generalmajor übernahm damit die Aufgabe des Verbindungsorgans des Staatsoberhaupts und Oberbefehlshabers zum Bundesheer. Zuvor war Starlinger vier Jahre lang Vize-Chef des Stabes beim multinationalen Kommando "Operative Führung Eingreifkräfte" in Ulm, wodurch er mit den aktuellen geopolitischen Entwicklungen mit Fokus auf den Balkan, Nahen und Mittleren Osten und Afrika sowie den Flüchtlingsbewegungen aus dem Osten und Süden Richtung EU bestens vertraut war. APA/HELMUT FOHRINGER
Ines Stilling, eine Juristin aus Graz, hat im Frauenministerium Karriere gemacht. Sie war im Büro von Frauenministerin Doris Bures, bei deren Nachfolgerin Gabriele Heinisch Hosek stieg sie zur Büroleiterin auf. 2012 macht Heinisch Hosek sie zur Leiterin der Sektion zwei (Frauenangelegenheiten und Gleichstellung) im Bundeskanzleramt. Diese Funktion behielt sie auch nach dem Regierungswechsel 2017 unter Bundeskanzler Sebastian Kurz. Stilling ist eine Verfechterin des Gender Mainstreaming und des „Gender Budgeting“ in den Ministerien. Sie gilt als pragmatische Linke. APA/HELMUT FOHRINGER
Die in Helsinki geborene österreichische Wirtschaftswissenschaftlerin Rauskala arbeitete seit 2007 im Wirtschaftsministerium und war dort Mitarbeiterin von drei ÖVP-Ministern: Johannes Hahn, Beatrix Karl und Karlheinz Töchterle. Von 2011 bis April 2015 leitete sie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Fachstelle für Public Financial Management. 2015 holte Reinhold Mitterlehner sie als Sektionschefin ins Wissenschaftsministerium. APA/HELMUT FOHRINGER
Habemus Kabinett: Die Übergangsregierung im Überblick
Bevor die neuen Regierungsmitglieder ihr Gelöbnis ablegten, appellierte Van der Bellen an alle Österreicher, sich in den kommenden Monaten Gedanken darüber zu machen, wem sie ihr Vertrauen schenken werden: „Und ich bitte Sie jetzt schon, gehen Sie im Herbst zur Wahl.“ Die halbe Welt blicke nach den jüngsten Ereignissen auf Österreich, „zeigen wir uns jetzt von unserer besten Seite“. Konkret: „Österreich in seiner besten Verfassung - im doppelten Sinn“, sollte wieder in den Vordergrund und die „Ibiza-Affäre“ in den Hintergrund gerückt werden.
Sodann enthob Van der Bellen die bisherige (Übergangs-)Regierung ihres Amtes und gelobte die zwölf neuen Regierungsmitglieder an: Brigitte Zarfl (Soziales), Maria Patek (Landwirtschaft), Elisabeth Udolf-Strobl (Wirtschaft), Iris Eliisa Rauskala (Bildung), Ines Stilling (Frauen), Clemens Jabloner (Vizekanzler; Minister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz), Alexander Schallenberg (Äußeres, EU, Kunst, Kultur, Medien), Wolfgang Peschorn (Inneres), Eduard Müller (Finanzen, Öffentlicher Dienst, Sport), Andreas Reichhardt (Infrastruktur) und Thomas Starlinger (Verteidigung).
Apropos: Wann die Neuwahlen stattfinden, ist derzeit noch unklar; in den kommenden Tagen soll ein Termin aber fixiert werden.
Laut einer aktuellen OGM-Umfrage für „Kurier“ und „Kleine Zeitung“ unter 804 Befragten begrüßen 71 Prozent den vorgezogenen Urnengang im Herbst. Bei diesem dürfe demnach - aus heutiger Sicht und unter Annahme einer Wahlbeteiligung von 80 Prozent - die ÖVP mit 36 Prozent und einem Plus von vier bis fünf Prozent im Vergleich zu 2017 als Sieger hervorgehen. SPÖ und FPÖ würden je fünf Prozent verlieren, die Neos leicht gewinnen und die Grünen würden nach ihrem Rausfall im Oktober 2017 mit zehn Prozent wieder in das Parlament einziehen.
Begonnen hat alles mit dem Ibiza-Video, das Vizekanzler Heinz-Christian Strache den Job gekostet und die Regierung letztlich zu Fall gebracht hat. Seit heute steht fest, dass Österreich mit Brigitte Bierlein erstmals eine Bundeskanzlerin bekommt. REUTERS
"Spiegel" und "SZ" veröffentlichen am Freitagabend des 17. Mai ein heimlich gefilmtes Video, auf dem FPÖ-Chef Strache und Klubobmann Johann Gudenus im Juli 2017 mit einer vermeintlichen russischen Investorin in Ibiza über Staatsaufträge für millionenschwere Spenden sprechen, ebenso von einer Übernahme der "Kronen-Zeitung". >>> Straches verhängnisvoller Sommerabend auf Ibiza REUTERS
Zunächst treten zu Mittag Strache und Gudenus zurück. Am Abend kündigt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Koalition mit der FPÖ auf und Neuwahlen an. Kurz wollte auch den Rücktritt von Innenminister Herbert Kickl, die FPÖ lehnte das jedoch ab. >>> "B'soffene G'schichte": Straches Rücktritt im Wortlaut APA/HELMUT FOHRINGER
Am selben Abend tritt dann mit einigen Stunden Verzögerung auch Bundeskanzler Sebastian Kurz vor die Kameras. "Genug is genug" erklärte er dann als Reaktion auf die veröffentlichten Videos und beendet nach knapp eineinhalb Jahren die Koalition mit der FPÖ. >>> "Genug ist genug": Sebastian Kurz eröffnet den Wahlkampf REUTERS
Bundespräsident Alexander Van der Bellen kündigt nach einem Gespräch mit Kurz Neuwahlen für September an. Die FPÖ designiert Verkehrsminister Norbert Hofer zum Nachfolger Straches als Parteichef. APA/HANS PUNZ
Nach der Ankündigung von Kurz, Kickl zu entlassen, avisieren auch die restlichen blauen Minister ihren Rücktritt. Kurz kündigt eine Übergangsregierung mit Experten an. >>>Kurz schlägt Kickls Entlassung vor, FPÖ-Minister verlassen Regierung REUTERS
Van der Bellen stimmt der Entlassung Kickls und den Rücktritten der übrigen FPÖ-Minister zu. HANS KLAUS TECHT / APA / picture
Kurz stellt seine Übergangsregierung vor. Van der Bellen gelobt Ex-OGH-Präsident Eckart Ratz als Innenminister, Ex-Sektionschef Walter Pöltner als Sozialminister, Offizier Johann Luif als Verteidigunsminister und Valerie Hackl, Chefin der Flugsicherung "Austro Control", als Infrastrukturministerin an. Den Vizekanzler gibt ab nun Finanzminister Hartwig Löger. APA/HANS KLAUS TECHT
Kurz ringt um den Verbleib seiner Regierung im Amt, nachdem ein Misstrauensvotum im Raum steht. Er empfängt die Parteichefs und die Landeshauptleute zu Gesprächen. APA/ROBERT JAEGER
Bei den EU-Wahlen fährt die unter Druck stehende ÖVP einen Triumph ein, die FPÖ verliert trotz des Ibiza-Videso nur wenig. >>> Wie Kurz von der drohenden Abwahl profitierte APA/HELMUT FOHRINGER
SPÖ, FPÖ und die Liste JETZT bringen mit einem Misstrauensvotum in einer historischen Nationalratssitzung die Regierung Kurz zu Sturz. >>> Anti-Kurz-Allianz: "Dieser Griff nach der Macht ist widerlich" APA/ROBERT JÄGER
Van der Bellen enthebt das Kabinett Kurz des Amtes, um es gleich darauf mit der interimistischen Fortführung der Amtsgeschäfte unter der Führung von Hartwig Löger zu betrauen. Kurz selbst macht klar, dass er sein Nationalrats-Mandat nicht annimmt. >>> "Haben schon Übung": Van der Bellen enthebt Regierung ihres Amtes REUTERS
Interviews "nur mit Fachjournalisten", keine neuen Gesetzesinitiativen: Brigitte Bierlein gibt ihrem Kabinett "Grundregeln für die Zusammenarbeit“ vor.
Das Kabinett von Kanzlerin Bierlein hat einen Bericht über die Arbeitsmarktdaten abzuarbeiten und streicht Sri Lanka von der Liste sicherer Herkunftsländer.
"Tolles frauenpolitisches Signal“, Sorge vor „wehrpolitischen Giftküche": Parteien, Kirche und Milizverband kommentieren das neue Kabinett - mal positiver, mal skeptischer.
Weniger Ministerien, keine Staatssekretariate, schlanke Kabinette: In ihrer ersten Pressekonferenz als Regierungschefin betont Brigitte Bierlein die Bedeutung des Dialogs und appelliert an die Jugend.
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