Wie wir aus Störungen lernen können

Alpbach
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Vielfalt kann uns dabei helfen, mit Störungen im System fertig zu werden – allerdings muss man diese Vielfalt möglichst frühzeitig fördern. Gedanken zum Forums-Generalthema „Diversität und Resilienz“.

In gewisser Weise macht es uns die Natur vor: Je vielfältiger ein Ökosystem ist, desto leichter kann es sich an geänderte Umstände anpassen, umso widerstandsfähiger ist es gegen Störungen und umso eher geht es sogar gestärkt aus einer Problemsituation heraus. In diesem Systemverhalten stecken die beiden Kernbegriffe, um die es die nächsten zwei Wochen beim heurigen Europäischen Forum Alpbach gehen wird: um „Diversität“ und um „Resilienz“.

Auf den ersten Blick sind das ziemlich sperrige Begriffe: „Diversität“ meint ganz allgemein Vielfalt – auf allen Ebenen: von Individuen mit unterschiedlichen Eigenschaften über Gruppen vielfältigster Zusammensetzung bis zu Gesellschaftssystemen. „Resilienz“ – abgeleitet vom lateinischen „resilire“ für „zurückspringen“ oder „abprallen“ – meint die Fähigkeit eines Systems, Störungen zu überstehen, Krisen zu bewältigen und daraus auch noch zu lernen. Der Begriff wurde in den 1970er Jahren unabhängig voneinander in der Ökologie und der Psychologie entwickelt. Seit der Millenniumswende ist er zu einem zentralen Begriff der Systemforschung geworden.

Das Forum Alpbach ist freilich keine Ökologie-Konferenz. Es geht vielmehr um die menschliche Dimension des Lebens – um Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur. Sobald der Mensch ins Spiel kommt, wird die Sache wesentlich komplexer: Durch seine Reflexionsfähigkeit wird der Mensch zum Akteur und kann sogar das gesamte System gestalten (zumindest einige wichtige Rahmenbedingungen). Wie eine Gesellschaft, wie ein Wirtschaftssystem funktioniert, ist von keiner „höheren“ oder äußeren Instanz vorgegeben, der Mensch kann dies grundsätzlich recht frei gestalten.

Die Frage ist: Wie? Ausgangspunkt der Debatten der nächsten Wochen ist, dass sowohl Diversität als auch Resilienz derzeit unter Druck stehen, wie bei der Eröffnung des Forums betont wurde. „Ich muss feststellen, dass unsere Gesellschaft immer verletzlicher und weniger resilient gegen Angriffe von außen wird“, sagte Forumspräsident Franz Fischler. Und anstatt Diversität als Wert zu anzuerkennen – „ich würde behaupten, dass Diversität unser Schatz in Europa ist“ –, werde sie „missbraucht, um Ängste zu schüren“. Der Seitenhieb auf die aktuelle Politik in Europa und Österreich ist nicht zu überhören.

Noch drastischer drückte es US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz aus: Die offene Gesellschaft (ein Begriff, den der Alpbach-Veteran Sir Karl Popper geprägt hat) werde „angegriffen, es findet gerade ein Krieg statt“, sagte er in Anspielung auf den derzeitigen US-Präsidenten. Fehlende Diversität und dadurch mangelhafte Resilienz seien auch eine Hauptursache für die Finanzkrise 2007/08 gewesen.

Ohne die Parallelen zur Ökologie überstrapazieren zu wollen, zeigt dieser Bereich doch recht klar, dass man die Resilienz eines Systems gezielt erhöhen kann – durch die Erhöhung der Diversität. Ein gutes Beispiel ist der Wald: Erst kürzlich wurde in einer Studie belegt, dass ein Laubmischwald Störungen besser verkraften kann und überdies ertragreicher ist als Fichten-Monokulturen. Der Vorteil des diverseren Waldes war umso höher, je schwieriger die Standortbedingungen waren. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen können vielfältige Systeme Ressourcen besser ausnützen, zum anderen kann bei Problemen, in die eine Art kommt, eine andere einspringen. Dazu kommt noch ein grundsätzlicher systemtheoretischer Aspekt: Je vielfältiger ein System ist, umso mehr Wechselwirkungen gibt es und umso größer ist quasi die Elastizität dieses Beziehungsnetzes, wodurch Störungen besser abgefedert werden können. Daraus ergibt sich die wichtigste Strategie zur Erhöhung der Resilienz: Man muss möglichst frühzeitig handeln und Vielfalt fördern – nicht erst dann, wenn Probleme auftauchen.

Von Störungen kann man lernen

Aus der Ökologie kann man aber noch eine zweite Lehre ziehen: Störungen von außen kann man nicht verhindern, ein funktionierendes System kann aber aus ihnen lernen und ist so späteren großen Störungen nicht schutzlos ausgeliefert. Noch mehr: Wenn man alle kleinen Störungen zu verhindern trachtet, wird die Anfälligkeit für große Katastrophen umso höher. Das gilt auch für die Probleme, die eine Erhöhung der Diversität manchmal mit sich bringt.

In den kommenden Debatten wird es darum gehen, solche Erkenntnisse und Prinzipien umzusetzen, um ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu gestalten, das besser für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet ist. Denn angesichts der wachsenden globalen Ungleichgewichte und des Klimawandels werden die Störeinflüsse wohl nicht kleiner werden.

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