Putin lässt wählen: Was der Kreml-Chef will

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Putins Land schwächelt wirtschaftlich, aber fühlt sich geopolitisch stark. Das Verhältnis zum Westen bleibt unter dem Präsidenten angespannt.

Moskau. Einen „unverzeihlichen Verstoß“ gegen die Regeln der Diplomatie nannte der Kreml die britischen Anschuldigungen, dass Russlands Präsident, Wladimir Putin, persönlich bei der Skripal-Vergiftung seine Hände im Spiel gehabt hätte. Empörung hin oder her: In Russland selbst bringt die Affäre dem Kreml ein paar Tage vor der Wahl Punkte – und den einen oder anderen Wähler mehr an die Urne. Doch abseits des rhetorischen Schlagabtauschs zwischen Ost und West steht das 144 Millionen Einwohner zählende Land in Putins letzter Amtszeit vor großen Herausforderungen.

1. Was hat Präsident Putin seit 2012 versprochen, und was hat er gehalten?

Die Bilanz der letzten Amtszeit Putins fällt durchwachsen aus. In wirtschaftlicher Hinsicht konnte der Kreml seine Versprechen nicht halten. Durch den Verfall des Ölpreises und die Auswirkungen der Sanktionen ist das Land in eine Stagnation geraten. Die Realeinkommen fallen seit 2012, zuletzt sind sie wieder leicht angestiegen. Doch der private Konsum schwächelt. Dass die russische Wirtschaft 2017 sich leicht erholt hat und Auslandsinvestitionen wieder zugenommen haben, spüren die Bürger noch nicht. Wenn die Russen mit etwas unzufrieden sind, dann mit ihrer privaten ökonomischen Situation.

Dem Präsidenten gelang es zumindest teilweise, dieses Versagen mit einer Politik der nationalen Größe zu kompensieren. Zudem wurden zahlreiche Gesetze erlassen, die die Meinungs- und Versammlungsfreiheit beträchtlich einschränken. Die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, die Interventionen Moskaus im ostukrainischen Donbass und vor allem in Syrien appellierten an den Patriotismus der Russen und trösteten viele über die empfundenen Phantomschmerzen – den Verlust des einstigen Großmachtstatus – hinweg. Die Beschwörung des vom Westen „belagerten Russland“ traf bei einem Teil der Bevölkerung ebenso einen Nerv.

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2. Was wird aus Russlands Beziehungen zur EU und zu den USA?

Eine gravierende Änderung des außenpolitischen Kurses Moskaus ist unter Putin nicht zu erwarten. Der Kreml ist interessiert an bilateralen Kontakten mit einzelnen „geneigten“ europäischen Ländern wie Italien, Österreich und Ungarn, wo er auf Verbündete in den Regierungen hoffen kann. Mit der EU-28 ist ein Dialog schwieriger, da ein schrittweiser Abbau oder gar eine Aufhebung der Sanktionen aus heutiger Sicht in naher Zukunft nicht passieren wird.

Ausgesprochen schwierig bleibt auch das Verhältnis zu den USA, wo Putin zwar in US-Präsident Donald Trump einen Ansprechpartner sieht, der derzeit aber selbst stark unter Druck steht. Zuletzt verhängte die US-Regierung Sanktionen gegen Moskau – wegen Einmischung in die Präsidentenwahlen, aus denen Trump als Sieger hervorgegangen war. Pragmatische Kooperation in internationalen Konfliktherden wie der Nordkorea-Krise oder im Kampf gegen den Terror bei übergreifenden Bedrohungen wie Terrorismus verbleiben Optionen, doch selbst da sind sich der Westen und Moskau oft nicht einig.

3. Wie ist die Stimmung in Russlands Gesellschaft nach knapp zwei Dekaden Putin?

Obwohl Putin in Vorwahlumfragen des Kreml-nahen Instituts Wziom Zustimmungswerte von 69 bis 73 Prozent aufweist, ist die allgemeine Begeisterung über seine zu erwartende vierte Amtszeit (Putin war bisher dreimal Präsident, einmal Premier) gesunken. Das hat mit der schwierigen ökonomischen Situation und den angespannten internationalen Beziehungen zu tun. Gleichzeitig fehlen politische Konkurrenten.

Viele Russen befürchten, dass es unter einem anderen Kreml-Herrn noch schlechter werden würde. Auf diese Alternativlosigkeit kann das Regime bauen. Auch radikale Veränderungen lehnt die Mehrheit der Bevölkerung ab. Für liberale Reformen scheinen nur gut ausgebildete, vom Staat eher unabhängige Bevölkerungsgruppen bereit. Doch sie sind zahlenmäßig klein. Ihre Vertreter engagieren sich öfter in Bürgerinitiativen, die etwas freiere Hand haben als die Opposition, sie ziehen sich ins Private zurück oder verlassen für kürzere oder längere Zeit das Land.

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4. Was will Putin in seiner nächsten und voraussichtlich letzten Amtszeit machen?

Putin hat bei seiner Jahresbotschaft Verbesserungen in der Infrastruktur, in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Gesundheit und Technologie angekündigt. Der Bau von Straßen und Brücken solle forciert werden. Die Geburtenrate werde steigen, und mehr Russen werden ein Alter von 80 plus erreichen. Putin will die Zahl der Armen von 20 Millionen in sechs Jahren auf die Hälfte reduzieren.

Die Jugend soll fit für die technologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden. Zudem kündigte er einen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft an, bessere Rahmenbedingungen für das Business sowie leichter verfügbare Kredite für Private und Kleinunternehmer. Wie viel davon in die Tat umgesetzt wird, ist aus heutiger Sicht unklar. Außenpolitisch will er Russland als einflussreichen Akteur etablieren und seine ordnungspolitischen Vorstellungen in der internationalen Arena durchsetzen. Eine Probebühne dafür ist Syrien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2018)

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