Nach tödlichem Luftzwischenfall: USA feiern "Pilotenheldin"

Tammie Jo Shults 1992 vor ihrer F/A-18 "Hornet"
Tammie Jo Shults 1992 vor ihrer F/A-18 "Hornet"US Navy/Thomas P. Milne/Naval Aviation News
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Captain Tammie Jo Shults konnte die Boeing der Southwest Airlines, deren linkes Triebwerk sich am Mittwoch teilweise zerlegt und eine Passagierin getötet hatte, sicher landen. Shults soll enorm cool agiert haben, heißt es. Kein Wunder: Sie war eine der ersten Jet-Pilotinnen der US-Navy.

Nach dem schweren Luftzwischenfall während eines Inlandsflugs über den USA, bei dem am Dienstag (Ortszeit) eines der zwei Triebwerke einer Boeing 737 der Southwest Airlines teilweise explodiert war und eine im Flugzeug sitzende Passagierin durch weggeschleuderte Teile getötet worden war, wird nun die Pilotin als Heldin gefeiert: Und zwar nicht nur, weil sie es geschafft hatte, das schwer beschädigte, seitlich aufgerissene Flugzeug mit 144 Insassen und fünf Besatzungsmitgliedern sicher zu landen - sondern auch, weil rasch bekannt wurde, dass es sich bei ihr um eine regelrechte Pionierin der Militärluftfahrt handelt: Tammie Jo Shults (56) war nämlich in den 1980er-Jahren eine der ersten Pilotinnen für Kampfflugzeuge in der US-Marine und auch weltweit in der Avantgarde der weiblichen Militärluftfahrt.

Die in New York gestartete Boeing 737 des Flugs 1380 mit Ziel Dallas (Texas) war noch im Steigflug und nahe Philadelphia (Pennsylvania), als sich eines der Verdichterschaufelblätter des linken Triebwerks löste, die Triebwerkshülle durchbohrte, durch die Flügelvorderkante krachte und just durch ein Fenster auf Höhe der Reihe 17 schlug. Die dort sitzende Frau wurde schwer verletzt und drohte durch den Sog auch noch ins Freie gerissen zu werden.

Andere Passagiere hielten sie fest, allerdings starb sie nach der Einlieferung ins Krankenhaus, nachdem die Pilotin den Flieger in Philadelphia hatte landen können. Laut New York Times war es der erste tödliche Unglücksfall in einem Flugzeug einer großen US-Linie seit 2009.

Der kaputte Lufteinlass mit dem Verdichterschaufelrad
Der kaputte Lufteinlass mit dem VerdichterschaufelradNTSB/Aviation Safety Net

Die Boeing 737-700 war unterdessen rasch abgesackt, Passagiere erzählten später, sie hätten sich schon auf das Ende eingestellt. Es hieß auch, die Stimme von Captain Shults, die wiederholt über die Bordkommunikation die Menschen beruhigte und ihre Pläne erläuterte, habe sich die ganze Zeit über fest, selbstsicher und zuversichtlich angehört.

Knochentrocken und mit vielen "Sirs"

Auch die Protokolle der Kommunikation mit der Luftraumkontrolle und dem Flughafen Philadelphia belegen angeblich, dass sie knochentrocken, kurz und bündig und cool gesprochen habe - "gespickt mit vielen ,Sirs', wie es für Menschen mit einem militärischen Hintergrund üblich ist.

Captain Tammie Jo Shults mit ihrem Mann Dean anno 2017
Captain Tammie Jo Shults mit ihrem Mann Dean anno 2017REUTERS

Kaum jemand an Bord wird gewusst haben, dass Captain Shults im Jahre 1993 im Rang eines Lieutenant Commander aus der Navy ausgemustert hatte, wo sie im Juni 1985 als eine der allerersten Frauen bei der Marineluftwaffe als Pilotin zugelassen worden war. Die Ausbildung dazu hatte sie bei der Naval Air Station Pensacola (Florida) gemacht.

Hoch dekorierte Ausbildnerin

Berichten des Fachmagazins MilitaryTimes zufolge war sie danach auf der (heute nicht mehr existenten) Naval Air Station Chase Field in Texas und unterrichtete als Fluglehrerin mit Jets vom Typ North American T-2 "Buckeye". Es folgten Verwendungen als Fluglehrerin auf Stützpunkten in Kalifornien, wobei Bonnell auch den Marinebomber Vought A-7 "Corsair", das Flugzeug zur elektronischen Kriegsführung Grumman EA-6 "Prowler" und den berühmten Mehrzweckkampfjet F/A-18 "Hornet" von McDonnell Douglas (heute: Boeing) flog.

Eine Corsair des Flugzeugträgers "Kitty Hawk" mit dem auffälligen Lufteinlass anno 1981
Eine Corsair des Flugzeugträgers "Kitty Hawk" mit dem auffälligen Lufteinlass anno 1981US National Archives

Zuletzt diente sie in Kalifornien bei den "Flashbacks", einer Taktischen Elektronischen Kriegsführungs-Staffel der Navy mit dem Kürzel "VAQ-34", und als sie 1993 ausschied, hatte sie allerhand Leistungsmedaillen etwa der Navy und des Marine Corps gesammelt.

"Man wird als Frau genauer geprüft"

In einem Interview 1993 mit einer Navy-internen Zeitung hatte Shults die besonderen Herausforderungen als Frau in der männlich dominierten Marineluftwaffe angesprochen: "Wenn man als Frau in der Offizierskandidatenschule ist, fällt man sehr auf. Man wird auch genauer geprüft. Für Frauen seien die Chancen in der Fliegercommunity begrenzt, Shults sprach von der "Decke", die Frauen über ihren Köpfen hätten.

Ihre eigene Einheit, VAQ-34, nahm sie allerdings in Schutz: "Dort bedeutet das Geschlecht nichts", sagte sie in dem Magazin, "und das beweist meine Behauptung: "Wenn es eine gute Mischung der Geschlechter gibt, hört das auf, ein Thema zu sein."

"Diese Frau hat wirklich Nerven aus Stahl", sagte nach dem Unglück der Passagier Alfred Tumlinson. "Der schick' ich eine Weihnachtskarte mit einem Geschenkszertifikat, weil sie mich sicher zurück zum Boden gebracht hat." Andere Insassen der Boeing erzählten, dass Shults nach der Landung durch den Flieger ging und jedermann auf dessen Gesundheit überprüfte.

"Hervorragende Frau, und blitzgescheit"

"Sie ist eine hervorragende Frau, und blitzgescheit", sagte ihr Schwager, Gary Shults, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. "Und sie sorgt sich auch ungemein über das Wohlergehen anderer Menschen."

Tammie Jo Shults, geborene Bonnell, wuchs auf einer Farm im Staat New Mexico auf und begeisterte sich fürs Fliegen, weil in der Gegend oft Jetpiloten übten. Weil man ihr an der High School gesagt hatte, dass Frauen beim Militär nicht fliegen dürften, studierte sie an einem College in Kansas Biologie, lief dort allerdings einer (namentlich nicht genannten) Frau über den Weg, die die Pilotenprüfung bei der US Air Force geschafft hatte. Bonnells Anlauf dort Anfang der 1980er blieb fruchtlos, doch erwies sich die Navy als mutiger und ließ sie zur Ausbildung in Pensacola zu.

Ihren Ehemann Dean Shults lernte sie bei den Marinefliegern kennen, und der wechselte ebenfalls vom Militär zu Southwest Airlines als Zivilpilot. Das Paar hat zwei Kinder (eines davon ist adoptiert) und lebt in Boerne nahe San Antonio in Texas.

Der Pilotinnenanteil in Luftwaffen ist nach wie vor minimal bis inexistent. Laut einer Sprecherin der US-Pazifikflotte betrage er bei der US-Marineluftwaffe weniger als zehn Prozent (das ist im Weltvergleich viel); heruntergebrochen auf Kampfmaschinen in dezidierten Kampfformationen (also ohne etwa Trainingseinheiten, Hubschrauber und Transporter) seien es zwei bis drei Frauen pro 100 Piloten.

Im Anfang war eine Türkin

Und so war Shults dann auch in Wahrheit nicht die erste "richtige" Kampfpilotin der USA, weil sie die meiste Zeit in Ausbildungseinheiten arbeitete und zum Schluss bei den "elektronischen Kriegern" von VAQ-34 ebenfalls lehrend und nur bei Kampfübungen tätig war. Als erste "echte" Kampfpilotin der USA gilt hingegen Jeannie Leavitt (*1967), die 1993, als Shults aus dem Militär ausschied, bei der Air Force in einer richtigen Kampfstaffel mit F-15 "Strike Eagles" anfing und später unter anderem über dem Irak im Einsatz war. Sie war allerdings auch später dran als Kolleginnen etwa in den Luftstreitkräften Kanadas, Norwegens und Algeriens.

Eine interessante Geschichte über weibliche Militärpilotinnen findet sich übrigens hier. Dabei wird es durchaus verwundern, dass als erste richtige  Kampfpilotin im engeren Sinn just eine Türkin gilt: nämlich Sabiha Gökçen (1913-2001), die schon Ende der 1930er-Jahre Luftangriffe auf kurdische Rebellen flog.

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