Der Justizminister will alle Vorschriften des Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechts außer Kraft setzen, die älter als 18 Jahre alt sind und von den Ministern als verzichtbar gemeldet werden. Rechtsexperten und die Liste Pilz warnen.
Justizminister Josef Moser (ÖVP) beharrt trotz kritischer Stellungnahmen von Experten darauf, im Zuge der Deregulierungsoffensive der Bundesregierung sämtliche vor dem 1. Jänner 2000 kundgemachten Gesetze und Verordnungen des Bundes aufzuheben, es sei denn, ein Ministerium pocht auf die Beibehaltung der Rechtsvorschrift. Das erklärte eine Sprecherin des Ministeriums am Montag. Angesprochen auf die Kritik an der Vorgangsweise verwies sie auf Mosers Erfahrungen in früheren Rechtsbereinigungsgremien. Dort sei der entgegengesetzte Weg gegangen und nach einzelnen aufzuhebenden Bestimmungen gefragt worden - mit dem Effekt, dass über Details eines einzelnen Gesetzes stunden- und tagelang diskutiert worden sei, ohne weiterzukommen.
Moser will stattdessen noch im ersten Halbjahr 2018 sämtliche Vorschriften des Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechts mit einem Streich außer Kraft setzen lassen, die älter als 18 Jahre alt sind und nicht von den Ministern als weiter notwendig eingemeldet werden. Vor dem Beschluss soll der Verfassungsdienst - der nun nicht mehr im Bundeskanzleramt, sondern bei Moser ressortiert - auch noch eine Liste erstellen, was dadurch an Gesetzen alles aufgehoben würde. Allfällige Lücken vielleicht doch noch notwendiger Regelungen will Moser durch die Begutachtung seines Deregulierungsgesetzes schließen.
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Im Ministerium versicherte man, dass vor der Aufhebung so viele Instanzen eingebunden würden, dass nichts passieren könne. "Die Wahrscheinlichkeit geht gegen Null, dass ein Gesetz vergessen wird", so die Sprecherin des Ministers. Wichtig sei Moser auch der zweite Schritt: Im zweiten Halbjahr 2018 sollen die noch übrigen Rechtsvorschriften auf ihre Notwendigkeit, Übererfüllung von EU-Recht oder Klarheit geprüft werden.
Außerdem handele es sich bei Mosers Vorhaben um keine Premiere, wird im Justizministerium betont. Genau so sei man bereits beim Bundesrechtsbereinigungsgesetz 1999 vorgegangen, als Vorschriften aus der Zeit vor Ende 1945 außer Kraft gesetzt wurden. Eine weitere Bereinigung, allerdings nur bei einzelnen Verfassungsgesetzen, gab es 2007.
Obwexer warnt vor "Lösung mit dem Schwert"
Bei Experten stößt dies auf deutliche Skepsis. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Maßnahme wirklich funktionieren wird", warnte Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk in der "Presse". So gebe es Artikelgesetze, durch die "in einem Rechtsakt dutzende Rechtsmaterien geändert wurden". Dazu komme, dass im Sozialversicherungs- oder Steuerrecht die Gesetze "wie eine Lasagne in Schichten aufgebaut sind". Wenn hier eine Schicht wegfalle, gebe es ein Problem. Dazu komme, dass es Gesetze gebe, die zu einem völlig anderen Zeitpunkt ihre Wirkung entfalten als sie erlassen wurden, sagte Funk.
Sein Kollege Walter Obwexer von der Uni Innsbruck sieht das im "Kurier" ebenso: "Das Problem ist die Rechtssicherheit. So läuft man Gefahr, dass Bestimmungen aufgehoben werden, die man eigentlich doch brauchen würde." Kritisch bewertet er auch den Plan, das "Übergangsgesetz" von 1920 aufzuheben, wonach bestimmte Gesetzesmaterien des Bundes eine Zustimmung der Länder erfordern und umgekehrt: "Jetzt wählt man die Lösung von Alexander dem Großen mit dem Gordischen Knoten - einfach mit dem Schwert durchschlagen. Nur ist das für mich die denkbar unintelligenteste Lösung."
Dem hielt der Innsbrucker Verwaltungsrechtler Peter Bußjäger im Ö1-"Mittagsjournal" entgegen: "Die theoretische Gefahr besteht, aber zu Tode gefürchtet ist auch gestorben."
Liste Pilz stößt sich an "populistischer Ankündigung"
Seitens der Opposition meldete sich die Liste Pilz zu Wort. "Hinter dieser populistischen Ankündigung kann sich ein Kahlschlag für Verbraucher-, Mieter- und Umweltschutz verbergen", warnte Klubobmann Peter Kolba in einer Aussendung: "Es ist nicht anzunehmen, dass Moser das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch aus 1811 oder die Zivilprozessordnung aus 1895 abschaffen will. Aber es würde dem Spin dieser Regierung entsprechen, auf diesem Weg Schutznormen für die strukturell Schwächeren dieser Gesellschaft abzuschaffen oder aufzuweichen."
>>> Bericht im Ö1-"Mittagsjournal"
(APA/Red.)