SV-Reform: ÖGB droht mit Kampfmodus gegen Sozialumbau

ÖGB-Chef Foglar bei der Bundesvorständekonferenz in Wien
ÖGB-Chef Foglar bei der Bundesvorständekonferenz in WienAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Arbeitnehmervertreter kritisieren die "Regierung der Industriebosse" und drohen indirekt mit Streik. Kanzler Kurz zeigt sich unbeeindruckt.

Der Umbau des heimischen Sozialversicherungssystems wird nur unter schwerem Protest der Gewerkschaft über die Bühne gehen. Das haben ÖGB-Vertreter am Mittwoch klar gemacht. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verteidigten die Pläne für die Sozialversicherungsreform indes. Alexander Biach, der Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, wünscht sich Harmonie bei den Leistungen.

Die Bundesregierung sieht sich nach der Präsentation der Sozialversicherungsreform mit Kritik konfrontiert. Der ÖGB hatte am Mittwoch im Wiener Austria Center eine kurzfristige Bundesvorständekonferenz mit fast 800 Spitzenvertretern über die Fraktionsgrenzen hinweg einberufen. Es sei der "Start in einen Marathon" gegen den geplanten Sozialumbau der Regierung. Der scheidende ÖGB-Präsident Erich Foglar fand deutliche Worte: Noch nie in der Zweiten Republik habe es eine Regierung gegeben, die so klar und ungeniert eine "Regierung der Industriebosse" sei. Geplant sei der Umbau in eine "Dritte Republik", und in dieser hätten Arbeitnehmer einen ganz geringen Stellenwert.

Arbeitnehmervertreter geben sich kämpferisch

Zumindest indirekt wurde mit Streiks gedroht. Foglars Nachfolger, der künftige ÖGB-Chef Wolfgang Katzian meinte in Richtung Regierung: "Wird eine rote Linie überschritten, wird es entsprechende Maßnahmen und Aktivitäten von uns geben." Und: "Wenn ihr mit uns nicht auf Augenhöhe umgeht, müssen wir uns die Augenhöhe erkämpfen."

Durchaus auf Linie mit den roten Gewerkschaften zeigte sich auch der Chef der Christgewerkschafter Norbert Schnedl. Der Beamten-Chef befand, wer die Sozialpartnerschaft schwächen wolle, wolle auch die Demokratie in Österreich schwächen. Auch der Tiroler AK-Präsident Erwin Zangerl versicherte, dass er das Sozialsystem verteidigen wolle und bezeichnete den Plan der Regierung, eine Milliarde durch die Sozialversicherungsreform einzusparen, als "Pippi-Langstrumpf-Rechnung".

Vom Vorstand und den Konferenzteilnehmern per Akklamation angenommen wurde eine Resolution, die der Regierung Widerstand androht, wenn der soziale Friede leichtfertig aufs Spiel gesetzt werde. Inhaltlich verlangt man etwa den Erhalt der AUVA und derer Leistungen, eine Vereinheitlichung der Leistungen bei den Kassen auf hohem Niveau, einen Verzicht auf neue Selbstbehalte sowie eine Beibehaltung der AK-Umlage in der bestehenden Höhe.

Regierung weist Kritik zurück

Kurz zeigte sich von all dem unbeeindruckt. Es sei "legitim, dass gewisse Interessensgruppen ihre Interessen wahren. Ich bin denen aber nicht verpflichtet, die dort ihre Jobs und Funktionen haben, ich fühle mich den Österreicherinnen und Österreichern verpflichtet" - und in diesem Fall den Patienten. "Wir setzen das um, was wir angekündigt haben", so der Kanzler. Auch im Fall von Streiks sehe er "keinen Grund, die Reform nachzuverhandeln".

Rund um den Ministerrat wies die Regierung Zweifel an dem von ihr angegebenen Einsparungspotenzial von einer Milliarde Euro zurück. "Es geht nicht an, vorab schon Kritik zu geben und infrage zu stellen, bevor wir in Umsetzung gehen", meinte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) in Richtung von Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker, die sich zuvor skeptisch zeigte. Ähnlich sah das Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). "Wenn manche das kritisieren und nicht glauben, ist das ihr gutes Recht - es gibt andere, die sehr wohl glauben, dass das möglich ist", sagte sie am Mittwoch nach dem Ministerrat.

"Reinen Wein einschenken"

Hauptverbands-Chef Biach sprach sich indes für einen Stufenplan der Sozialversicherungsreform aus. Ein zweiter Schritt soll nach der Fusion der Sozialversicherungsträger eine Leistungsharmonisierung zwischen unselbstständig Beschäftigten, Selbstständigen und Beamten bringen, und zwar ohne Nivellierung nach unten. Dass das teurer werde, "da sollte man den Menschen reinen Wein einschenken, auch die Politik", merkte er in Richtung Regierung an.

SPÖ-Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner befürwortete den Vorschlag Biachs: "Alle Menschen haben das Recht auf gleiche Gesundheitsleistungen, unabhängig davon, ob sie Selbstständige, Beamte, Arbeiter oder Angestellte sind." SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher befürchtete, dass es der Regierung ausschließlich um Postenschacher und Privilegien und nicht um das Wohl der Patienten gehe.

Eine am Mittwoch veröffentlichte market-Umfrage ergab, dass sieben von zehn Österreichern eine Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger befürworten, aber nur vier mit der geplanten Umsetzung einverstanden sind. Eine etwaige Zerschlagung der AUVA sahen allerdings auch Fusions-Verfechter skeptisch.

(brun/APA)

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