"Man kann Menschen mit einer feuchten Wohnung genauso töten wie mit einer Axt", warnt die Armutskonferenz davor, die Situation von Mindestsicherungsbeziehern weiter zu verschlechtern.
Dauerhaft arme Menschen sterben zehn Jahre früher als der Rest der Bevölkerung. Das hat eine von der Statistik Austria durchgeführte Sonderauswertung der EU-Sozialstudie "Silc" ergeben. Noch größer ist der Unterschied bei Obdachlosen. Die Armutskonferenz, ein Netzwerk sozialer Hilfsorganisationen, warnt daher davor, die Situation von Mindestsicherungsbeziehern weiter zu verschlechtern. Erst in der Vorwoche hatte sich aufgrund der geplanten Sozialgeldreform ein Streit zwischen Bund und Wiener Stadtregierung entsponnen.
Laut Statistik Austria sind 1.563.000 Menschen oder 18,1 Prozent der Bevölkerung in Österreich von Armut oder sozialer Ausgrenzung gefährdet. Damit liegt Österreich deutlich unter dem für 2016 berechneten EU-Durchschnitt von 23,5 Prozent.
Gegenüber dem Vorjahr ergibt das nur eine geringe Veränderung, so galten 2016 exakt 1.542.000 Personen als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Insgesamt ist die Zahl der Betroffenen seit 2008 um 136.000 Personen gesunken.
Die Betroffenen haben per Definition ein niedriges Einkommen (unter 1238 Euro bei Einzelpersonen) oder Schwierigkeiten bei der Erfüllung notwendiger Grundbedürfnisse. Und das bringt auch eine sinkende Lebenserwartung mit sich, wie die Statistik Austria für das Sozialministerium errechnet hat.
Armutsgefährdete Männer sterben vier Jahre früher
Der Sonderauswertung zufolge sterben armutsgefährdete Männer um vier Jahre früher, bei Frauen sinkt die Lebenserwartung um eineinhalb Jahre.
Wer nicht nur armutsgefährdet ist, sondern in manifester Armut lebt - also etwa Probleme hat, die Wohnung warm zu halten und sich keine unerwarteten Reparaturen leisten kann - stirbt um vier Jahre (Frauen) bis elf Jahre (Männer) früher.
Die Armutskonferenz verweist nun darauf, dass es sich bei Mindestsicherungsbeziehern durchwegs um manifest arme Menschen handelt. Dauert diese Armut mehrere Jahre an, sinkt die Lebenserwartung noch weiter: um zwölf Jahre bei Männern und um neun Jahre bei Frauen. Hier spricht man von "dauerhaft manifester Armut".
Obdachlose sterben um 20 Jahre früher
"Diese enorme Einschränkung der Lebenserwartung betrifft in Österreich fast 270.000 Menschen, das entspricht in etwa der Bevölkerung von Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs", sagt Martin Schenk von der Armutskonferenz. Hier gehe der Stress durch finanziellen Druck Hand in Hand mit geschwächtem Krisenmanagement und einem ungesunden Lebensstil: "Man kann einen Menschen mit einer feuchten Wohnung genauso töten wie mit einer Axt."
Die Armutskonferenz warnt daher davor, die Situation von Mindestsicherungsbeziehern weiter zu verschlechtern. Stattdessen brauche es effektive Maßnahmen für leistbares Wohnen, Hilfe für ältere Arbeitslose und bei prekären Jobs und chronischen Erkrankungen.
Noch einmal deutlich geringer ist die Lebenserwartung bei Obdachlosen. Sie sterben laut Statistik Austria um 20 Jahre früher als die restliche Bevölkerung.
Die Sozialhilfe soll künftig einheitlich 863 Euro betragen. Bei Zuwanderern mit schlechten Deutschkenntnissen sind Kürzungen vorgesehen, für Alleinerziehende und Menschen mit Berhinderung gibt es einen Bonus. Der Zugriff auf Vermögen bleibt erhalten, beim Zugriff aufs Eigenheim gibt es aber eine längere Schonfrist. Was sich für Einzelpersonen, Alleinerzieher und Paare mit Kindern ändert – ein Überblick, gefolgt von sechs Rechenbeispielen. APA/ROLAND SCHLAGER
Grundsätzlich sind für einen allein stehenden Mindestsicherungsbezieher 100 Prozent, also 863 Euro, vorgesehen; für ein Paar zwei Mal 70 Prozent des Richtsatzes bzw. 1208 Euro. Für Kinder soll es künftig gestaffelte Beträge geben: für das erste Kind 25 Prozent, für das zweite Kind 15 Prozent und ab dem dritten Kind 5 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes.
Für Alleinerzieherinnen ist zusätzlich zur Mindestsicherung ein Bonus vorgesehen: bei einem Kind 12 Prozent vom Ausgleichszulagenrichtsatz (derzeit 103,5 Euro), bei zwei Kindern 21 Prozent (181 Euro), bei drei Kindern 27 Euro (233 Euro) und für jedes weitere Kind plus drei Prozent. Personen mit Behinderung sollen einen Zuschlag von 18 Prozent (155 Euro) erhalten.
Zuwanderer mit nicht ausreichenden Sprachkenntnissen (Deutsch-Niveau B1 oder Englisch-Niveau C1) sollen eine gekürzte Mindestsicherung von 563 Euro erhalten. Für Drittstaatsangehörige sowie EU- und EWR-Bürger ist eine fünfjährige Wartefrist vorgesehen. Asylberechtigte haben ab dem Zeitpunkt Anspruch, ab dem ihnen der Schutzstatus als Flüchtling zuerkannt wird, Asylwerber bekommen keinen Leistungsanspruch.
Laut Angaben der Regierung rechnet erhielt eine Einzelperson bisher maximal 1243 Euro an Mindestsicherung. Künftig soll sich das ändern – maximal 1122 Euro sollen möglich werden. Gerechnet ist das laut türkis-blauen Unterlagen folgendermaßen: 518 Euro stellt die reguläre „Geldleistung für Erwachsene“ dar 345 Euro wird als Sachleistung, etwa für Wohnen, bereitgestellt 259 Euro kommen aus dem Topf „Variabler Zuschlag für Wohnkosten
Im Falle, dass eine Einzelperson eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung aufweist, könnten bisher ebenfalls 1243 Euro als Maximalbetrag an Mindestsicherung ausbezahlt werden. Die Pläne der Regierung sehen mehr Geld als bisher vor. Konkret: maximal 1321 Euro. Der Schlüssel dahinter: 518 Euro „Geldleistung für Erwachsene“ 345 Euro an „Sachleistungen“ 155 Euro als „Zuschlag für die Behinderung“ 303 Euro an „variablem Zuschlag für die Wohnkosten“
Eine Einzelperson, die der deutschen Sprache nicht im verlangten Fall mächtig ist, muss künftig mit weniger Geld auskommen. Waren bislang maximal 1243 Euro möglich, werden es künftig maximal 729 Euro sein. Konkret wird es anstatt der 518 Euro nur 337 Euro „Geldleistung für Erwachsene“ geben sowie 224 Euro für „Sachleistungen“ 165 Euro an „variablem Zuschlag für die Wohnkosten“
Ein weiteres Rechenbeispiel der Regierung betrifft Alleinerzieher mit zwei Kindern. Diese konnten bislang demnach 1947 Euro maximal geltend machen, nun sinkt dieser Beitrag auf maximal 1806 Euro ab. Die Rechnung zu dieser Summe gestaltet sich folgendermaßen: 518 Euro „Geldleistung für Erwachsene“ 345 Euro für „Sachleistungen“ 345 Euro an „Geldleistung für Kinder“ 181 Euro an „Alleinerzieher-Zuschlag“ 415 Euro an „variablem Zuschlag für die Wohnkosten“
Mindestsicherung in der Höhe von 2748 Euro konnte im bestehenden Modell ein (asylberechtigtes) Paar mit drei Kindern als Höchstbeitrag ausbezahlt bekommen. Eine Summe, die nun absinkt. Der ÖVP-FPÖ-Koalition schwebt ein Maximalbetrag von 2076 Euro vor, der sich wie folgt zusammensetzt: 725 Euro „Geldleistung für Erwachsene“ 483 Euro für „Sachleistungen“ 388 Euro an „Geldleistung für Kinder“ 457 Euro an „variablem Zuschlag für die Wohnkosten“
Ein (asylberechtigtes) Paar, dessen Deutschkenntnisse nicht den Anforderungen der Regierung genügen, wird künftig mit deutlich weniger Geld auskommen müssen. Waren bisher, laut türkis-blauem Rechenkatalog, maximal 2748 Euro erreichbar, werden es künftig höchstens 1526 Euro sein. Gerechnet wird das so: 471 Euro „Geldleistung für Erwachsene“ 314 Euro für „Sachleistungen“ 388 Euro an „Geldleistung für Kinder“ 352 Euro an „variablem Zuschlag für die Wohnkosten“
Single, Paar, Alleinerzieher: Sechs Beispiele zur Mindestsicherung neu
Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) kritisiert die "Propaganda" der Regierung bei der Reform der Mindestsicherung. Sozialministerin Hartinger-Klein will bei Menschen mit Behinderung noch nachbessern.
Wiens Ex-Bürgermeister mischt sich in den Streit zwischen der Stadt und der Regierung ein - und kritisiert dabei Sebastian Kurz scharf: "Faktenbasierte Politik war noch nie die Stärke des Kanzlers." Er, Michael Häupl, selbst stehe übrigens "um 5:30 Uhr" auf.
ÖVP-Sozialstadtrat Hohensinner spricht sich für die von der Regierung geplante Reform der Mindestsicherung aus. Von den 8666 Beziehern waren 3185 Kinder und 5481 Erwachsene.
Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig kritisiert die Regierung: "Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass immer ein Bundesland herausgezogen wird." Er wolle das nicht mehr widerstandslos hinnehmen.
Faktencheck. Die Regierung kritisiert die Stadt Wien bei der Mindestsicherung, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsentwicklung. Vieles davon ist auf den Großstadtfaktor zurückzuführen.
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