„Scheinverfahren“ im Fall Grasser?

Der Angeklage Peter Hochegger, Anwalt Manfred Ainedter, der Angeklagte Walter Meischberger, Anwalt Norbert Wess und der Angeklagte Karl Heinz Grasser am 29. Jänner 2019.
Der Angeklage Peter Hochegger, Anwalt Manfred Ainedter, der Angeklagte Walter Meischberger, Anwalt Norbert Wess und der Angeklagte Karl Heinz Grasser am 29. Jänner 2019.(c) Roland Schlager, APA
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Die Verteidiger von Ex-Minister Karl-Heinz Grasser unterstellen den Oberstaatsanwälten Amtsmissbrauch. Diese bestreiten die Vorwürfe – und lassen eine allfällige Verleumdung prüfen.

Wien. Die nachweihnachtliche Stimmung hielt nicht lang an. „Gutes Neues“, begrüßten sich Angeklagte und Verteidiger zwar zu Beginn des 72. Verhandlungstages im größten Korruptionsprozess der österreichischen Justizgeschichte. Gemütlich sollte es im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts für Strafsachen gestern, Dienstag, aber nicht werden. Vielmehr hatte die Verteidigung des früheren Finanzministers Karl-Heinz Grasser die Verhandlungspause seit dem 20. Dezember dafür genutzt, schwere Vorwürfe zu erheben.

Die beiden Oberstaatsanwälte, Gerald Denk und Alexander Marchart, hätten gegen die Strafprozessordnung und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, führte Grassers Verteidiger, Norbert Wess, ins Treffen. Es stehe der „Anfangsverdacht auf Amtsmissbrauch“ im Raum, führte er aus. Denn: „Über 20 Monate hinweg“ sei von den beiden „ein Schattenverfahren“ geführt und damit gegen das Recht des Hauptangeklagten auf ein faires Verfahren verstoßen worden.

Zufallsfund vor Weihnachten

Wie kommt die Verteidigung zu diesen Vorwürfen? „Durch Zufall“, wie Anwalt Manfred Ainedter, der Grasser gemeinsam mit Wess vertritt, einräumte. Hintergrund ist das „35-Millionen-Euro-Faktum“, eine Causa, in der nach wie vor gegen Grasser ermittelt wird, die aber nicht Gegenstand der Hauptverhandlung ist. Es geht um die Frage, ob dem Staat bei der Privatisierung der Bundeswohnungen im Jahr 2004 (u. a. Buwog) Geld entgangen ist, da die Wohnbaugesellschaften im Paket und nicht einzeln verkauft wurden. Die Größenordnung: 35 Millionen Euro.

Im April 2017 strich das Oberlandesgericht Wien diesen Punkt als zu wenig begründet – von einer „Milchmädchenrechnung“ war die Rede – aus der Anklageschrift und ordnete weitere Ermittlungen an.

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Die Einstellung dieser Ermittlungen beantragten Wess und Ainedter nun vor Weihnachten. Wenig überraschend lehnten die zuständigen Oberstaatsanwälte ab. Dabei sei aber herausgekommen, dass sie Einvernahmen durchgeführt hatten – teils zum laufenden Verfahren. Und: Die entsprechenden Protokolle seien monatelang nicht zum Akt genommen worden. In den Worten von Wess: „Ein Scheinverfahren wurde geführt.“

So sei im Vorjahr, als der Prozess schon in vollem Gange war, Grassers einstiger Kabinettchef Heinrich Traumüller als Zeuge befragt worden (er gilt als einer der wichtigsten Belastungszeugen der Staatsanwaltschaft, da er einst Notizen zum Privatisierungsvorgang angelegt hatte; er soll in wenigen Wochen im Gericht erscheinen). Und zwar zu Dingen, die parallel dazu in der Hauptverhandlung behandelt wurden. Das sei rechtswidrig, meinte Wess und stützte seine Vorhaltungen auf sieben Gutachten von Strafrechtsprofessoren, denen er die Causa anonymisiert zur Bewertung vorgelegt haben will. Abschließend stellte Wess den Antrag, das Gericht möge gemäß dem „Grundsatz der Aktenvollständigkeit“ die Protokolle der Einvernahmen inklusive zugehöriger Tonbandaufzeichnungen beischaffen.

Oberstaatsanwalt Marchart bestritt umgehend, einen „Schattenakt“ angelegt zu haben. Er wolle „in aller Kürze“ Stellung zu den Unterstellungen beziehen, die „der Tatsachensubstanz widersprechen“ würden, sagte er. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sei mit ihrem Tun lediglich dem Ermittlungsauftrag des Oberlandesgerichts Wien nachgekommen. So sei Traumüller zwar einvernommen worden, aber eben nicht zum aktuellen Verfahren, sondern zu dem genannten „35-Millionen-Euro-Faktum“.

Freilich sei das Thema mit der seit 12. Dezember 2017 laufenden Hauptverhandlung „inhaltlich verknüpft“, räumte er ein. Es sei daher nur logisch, dass bei den Ermittlungen auch die Zeit der Privatisierung der Bundeswohnungen angesprochen wurde. Gelte es doch herauszufinden, „was Grasser gewusst hat und wie er hätte handeln sollen“, meinte Marchart.

Verleumdung begangen?

Abschließend stellte Marchart seinerseits einen Antrag: Das Gericht unter dem Vorsitz von Richterin Marion Hohenecker möge das Protokoll des 72. Verhandlungstages der Oberstaatsanwaltschaft vorlegen. Die Behörde solle die erhobenen Vorwürfe des Amtsmissbrauchs prüfen – sowie, ob durch Grassers Verteidiger eine „allfällige Verleumdung“ begangen wurde.

Der Prozess wird heute, Mittwoch, mit der Causa um die frühere Villa des mitangeklagten Walter Meischberger fortgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.02.2019)

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