Leitartikel

Besuch im kleinen braunen Österreich

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Der „Spiegel“ begab sich auf eine zehnseitige Spurensuche durch das neue rechte Österreich und traf dafür relevante Darsteller.

Es ist ein altes Bonmot unter Journalisten: Zu viel Recherche zerstört jede Geschichte. Wer zu viele Menschen befragt, hört zu viele Meinungen, kann die angedachte These eines journalistischen Stückes nicht verifizieren. Der Beitrag zeigt womöglich ein differenziertes Bild und liefert im schlimmsten Fall Grautöne. Obwohl doch Schwarz und Weiß die medialen Modefarben unserer Zeit sind.

Im deutschen „Spiegel“ wissen die Kollegen das alles und vermieden es, akribisch anderslautende Meinungen oder Aussagen zu ihrem Österreich-Text „Auf dem rechten Weg“ einzuholen. Für den exzellent blumig geschriebenen Text („Weiter hinten in den Hochalpen, in diesem ganzen geologischen Spektakel namens Österreich, heben sich, wenn die Nächte kommen, Gipfel und Kuppen bald wie Tierköpfe ab, wie monströse Leiber, an deren Flanken die Dörfer stecken wie weihnachtlicher Schmuck.“) traf Ullrich Fichtner 30 „Zeitzeugen und Zeitgenossen“ Österreichs zur demokratiepolitisch prekären Lage im Land.

Nicht alle der 30 Gesprächspartner wurden genannt, dafür Journalisten und Schriftsteller, deren politische Meinungen selten voneinander abweichen, die einander alle gut kennen und schätzen. Nicht so die Bundesregierung und am allerwenigsten den Bundeskanzler.

Die zweite befragte Gruppe waren vorwiegend lokale FPÖ-Politiker, die sich bemühten, allen Rechtsextremen-Klischees zu entsprechen. Sonderbarerweise ließ der Autor den Besuch bei den Ultra-Fans nach dem Wiener Derby ebenso aus wie ein Treffen mit den Überlebenden des Kärntner Kameradschaftsbundes, die Adolf Hitler noch lebend, aber von slowenischen Partisanen in den slowenischen Bergen gefangen gehalten, wähnen.

Die politische Ausgangslage ist für den „Spiegel“ einfach und klar: „Am Werk ist nun eine Koalition, die sich eine ,türkis-blaue‘ nennt, die aber nach der gültigen Farbenlehre der Politik mit ,schwarz-braun‘ doch viel zutreffender bezeichnet wäre. Die Zweifel begannen gleich am ersten Tag der Kanzlerschaft des Sebastian Kurz, eines 31-jährigen Kleinbürgersohns aus Wien mit dem Gesicht eines milden Apostels. [. . .] Er entschied sich aber gegen ein Bündnis mit moderaten Linken und Linksliberalen und ließ sich lieber mit den harten Rechten und Rechtsextremen der sogenannten Freiheitlichen Partei ein, die als FPÖ in ganz Europa für ihren rustikalen bis rechtsextremen Populismus bekannt ist.“

Ein Bündnis mit moderaten Linken und Linksliberalen? Das ist neu, Christian Kern, der Moderate, wollte nicht; die Linksliberalen sollen wohl die Neos sein, die zwar wollten, aber mit der SPÖ nicht gebraucht worden wären. Und war da nicht was mit rot-blauen Gesprächen und Landeskoalitionen? Nein! Schnell weg die Gedanken.

Österreich sei mit seiner Geschichte nicht im Reinen, heißt es da auch. Das sieht das offizielle Israel, wie bei vergangenen Staatsbesuchen dort zu hören war, übrigens ganz anders. Aber auch das würde den Artikel nur stören.

Später weiter: „Verhandelt wird, ob sich unser Nachbar- und liebstes Urlaubsland Stück für Stück vom demokratischen Way of Life verabschiedet.“ Österreich verabschiedet sich mit einem demokratischen Wahlergebnis vom demokratischen Way of Life? Das widerspiegelt ein interessantes Verständnis von Demokratie.

Apropos Spiegel: Der Autor trifft unter anderen „Falter“-Kollegen Florian Klenk. Der sagt im Restaurant Zum Schwarzen Kameel bei Marmeladepalatschinken: „Urteile über Österreich sind schwer, weil man nie weiß, woran man ist. Es ist wie mit diesen Nischen hier, mit den Spiegeln. Wenn einer vorbeigeht, sieht man ihn von vorn im Spiegel, obwohl er in Wahrheit von hinten kommt. Und kommt einer von rechts, sieht man ihn zuerst im Spiegel links. So ist das bei uns. So geht's zu.“ So einfach.

Früher warfen neben Bernhard eine Elfriede Jelinek oder vielleicht ein Claus Peymann den harten kritischen Blick auf das provinzielle, kleingeistige und mitunter böse Österreich. So sich die Geschichte wirklich einmal als Tragödie und dann als Farce abspielt, dann liefert der „Spiegel“ nun seinen Anteil.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2018)

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