Von der Leyens einzige Chance

Ursula von der Leyen.
Ursula von der Leyen.(c) APA/AFP/FREDERICK FLORIN
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Sie hat schon zu viel versprochen, um Kommissionspräsidentin zu werden. Jetzt muss sie sich ein unabhängiges Terrain schaffen, um nicht zu scheitern.

Ursula von der Leyen ist anders. Sie ist keine Persönlichkeit wie Jean-Claude Juncker. Ihr fehlt jeder Hang zu schrägem Humor, jede Kumpelhaftigkeit und auch jede Schlitzohrigkeit. Wir werden mit ihr als EU-Kommissionspräsidentin nicht so viel lachen. Aber im besten Fall liegt genau darin auch eine Chance. Die bisherige deutsche Verteidigungsministerin ist eine ehrgeizige Frau und politische Handwerkerin, die ständig nach vorn blickt. Sonst wäre sie wohl keine siebenfache Mutter und dreimal hintereinander Ministerin in unterschiedlichen Ressorts geworden. Sie kennt Machtkonstellationen und weiß, sich darin zurechtzufinden.

Auch diesmal sollte sie besser die Rückspiegel abmontieren. Sie ist über einen nicht ganz idealen Weg und mit einer allzu knappen Parlamentsmehrheit Kommissionspräsidentin geworden. Da die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrer Bestellung das Europäische Parlament plump übergangen haben, musste sie den einzelnen Fraktionen danach inhaltliche Versprechen geben, um doch noch gewählt zu werden. Die Liste reicht von ehrgeizigen Klimazielen, einem europaweiten Mindestlohn, Steuergerechtigkeit über grüne Kommissare bis hin zu einer neuen Migrationspolitik.

Von der Leyen hat eigentlich viel zu viel versprochen. Denn vieles davon kann sie maximal anregen, nicht aber selbst durchsetzen. Dennoch stellen sich ihre Königsmacher bereits an, um Gegenleistungen für ihre Stimme einzufordern. Aber die CDU-Politikerin hat letztlich nur eine Chance, in dem verworrenen europäischen Machtspiel Oberwasser zu erlangen: Sie muss sich eine unabhängige Insel im Brüsseler Berlaymont-Gebäude schaffen, von der aus sie allein auf Grundlage des EU-Rechts agiert. Sonst nehmen die Abhängigkeiten und die ständigen Zurufe aus den Hauptstädten und Parteizentralen nicht ab. Wenn Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, ihrer stets loyalen Ministerin eine enge, konstruktive Zusammenarbeit verspricht, ist das eher als Drohung denn als Hilfe zu verstehen. Will von der Leyen Glaubwürdigkeit erlangen, muss sie zuallererst Paris und Berlin in die Schranken weisen. Nur so wird sie auch bei den restlichen Mitgliedstaaten Respekt finden. Es war der große Fehler ihres Vorgängers, fünf Jahre lang fast ausschließlich die sechs Gründerstaaten – allen voran Frankreich und Deutschland – in seine Pläne einzubinden.

Auch wenn der Kommissionspräsident gemeinsam ausgewählt wird und die einzelnen Kommissare von den Mitgliedstaaten nominiert werden, hat diese Institution eine unabhängige Rolle als Hüterin der EU-Verträge zu erfüllen. Sie ist für das optimale Zusammenwirken aller Mitgliedstaaten verantwortlich, und muss deshalb neutral agieren. Wenn die neue Kommissionspräsidentin anders als ihr Vorgänger bei Haushaltsproblemen in Frankreich und Italien oder bei der rechtswidrigen Ausländermaut in Deutschland konsequent bliebe, würden auch Länder wie Polen und Ungarn die Brüsseler Reaktionen auf ihre Rechtsstaatsverstöße akzeptieren.

Die etwas spröde wirkende deutsche Politikerin hat genug Erfahrung, um zu wissen, was ein politisches Image bedeutet. Es wird über Jahre aufgebaut und kann innerhalb von Stunden zusammenbrechen. Sie gilt trotz ihrer Fehler bei Beratungsverträgen für das Verteidigungsministerium als glaubwürdig und strukturiert. Lässt sie sich nun auf EU-Ebene in das Spiel von Geschäften und Gegengeschäften ein, ist ihr positives Image rasch beschädigt. Konzentriert sie sich ständig nur auf den Machtausgleich zwischen Mitgliedstaaten und ihren Regierungen, wird sie den Draht zu den europäischen Bürgern – die fürs Erste einmal hoffen, dass es in Brüssel besser wird – gleich wieder verlieren.

Dieser Job ist aktuell einer der schwersten der Welt. Die EU ist zerrissen und politisch instabil. Glaubt man ihren Reden, so ist Ursula von der Leyen bereit, ziemlich viel Energien dafür aufzuwenden, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Sie muss sich dessen bewusst sein, dass viele nur darauf warten, sie scheitern zu sehen. Sie darf es nicht zulassen.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2019)

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