Alijew-Prozess: Anklage "wie ein Hollywood-Film"

Großaufgebot der Justizwache im Gerichtssaal
Großaufgebot der Justizwache im GerichtssaalAPA/ROLAND SCHLAGER
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Der Prozess um den Tod zweier kasachischer Banker hat in Wien begonnen. Es liege "ein klassisches Mordmotiv, nämlich Geld" vor, sagt die Staatsanwältin.

Mit einigen Minuten Verspätung hat am Dienstag im Wiener Straflandesgericht der Prozess um die Entführung und Ermordung zweier kasachischer Banker begonnen. Der Große Schwurgerichtssaal war beim Verhandlungsauftakt gut besucht, aber bei weitem nicht bis auf den letzten Platz gefüllt.

Nach dem Ableben des Hauptangeklagten Rachat Alijew, der am 24. Februar erhängt in seiner Zelle im Wiener Straflandesgericht aufgefunden wurde, müssen sich Alnur Mussajew (61), der Chef des ehemaligen kasachischen Geheimdiensts KNB, und Vadim Koshlyak(42), zuletzt Sicherheitsbeauftragter und persönlicher Assistent Alijews, in den kommenden Monaten wegen Doppelmordes vor einem Schwurgericht verantworten.

Aufgrund des erwarteten Medieninteresses - es wurden neben heimischen Medienvertretern Journalisten aus Kasachstan, Russland und Deutschland erwartet - war der Große Schwurgerichtssaal bereits 40 Minuten vor Verhandlungsbeginn geöffnet worden. Neben Pressevertretern und den ehemaligen Anwälten von Alijew, die im Publikum Platz nahmen, kamen allerdings kaum "Kiebitze" ins Graue Haus.

Alnur Mussajew (rechts, 61), der Chef des ehemaligen kasachischen Geheimdiensts KNB, und Vadim K. (42)
Alnur Mussajew (rechts, 61), der Chef des ehemaligen kasachischen Geheimdiensts KNB, und Vadim K. (42)APA/ROLAND SCHLAGER

Geschworene mit Depressionen und Burn-out

16 Geschworene - acht Haupt- und acht Ersatzgeschworene, die am Ende des Verfahrens über Schuld oder Schuldlosigkeit der Angeklagten entscheiden müssen - hatte der vorsitzende Richter geladen. Eine Geschworene fiel allerdings aus - laut einer fachärztlichen Bestätigung soll die Frau zuletzt an Depressionen und einem Burn-out-Syndrom gelitten haben und auf ihre Bestellung zur Geschworenen hin einen Hörsturz und Schlafstörungen erlitten haben. Dem ärztlichen Attest zufolge ist sie infolge ihrer psychischen Probleme nicht in der Lage, als Laienrichterin zu fungieren.

Die Verhandlung fand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt. Vor dem Verhandlungssaal waren mobile Sicherheitsschleusen installiert worden, die jeder Besucher vor dem Eintritt in den Großen Schwurgerichtssaal passieren musste. Die Anklagebank selbst wurde von einem Großaufgebot der Justizwache abgeschirmt.

Justiz: Völlig eigenständig ermittelt

Mit dem Anklagevortrag begann zunächst nicht Staatsanwältin Bettina Wallner, die nach umfangreichen Ermittlungen die Anklage verfasst hatte, sondern ihr Kollege Markus Berghammer. Wie er betonte, habe die österreichische Justiz in dieser Sache völlig eigenständig ermittelt und nicht die Ergebnisse der kasachischen Behörden übernommen. Die kasachische Justiz hatte im Jänner 2008 Alijew, Mussajew und Koshlyak in Abwesenheit im Fall um die Ermordung der beiden Banker zu 20, 15 und 18 Jahren Haft verurteilt. Österreich habe unabhängig davon die Mordvorwürfe untersucht, über 100 Zeugen vernommen, zahlreiche Sachverständige bestellt und Beweismittel geprüft.

Österreich habe auch nicht allfälligen Wünschen Kasachstans entsprochen, betonte Berghammer. Im Gegenteil, man habe zwei Mal die Auslieferung Alijews abgelehnt, "weil wir vermuten, dass das Verfahren dort nicht fair ist". Das Einzige, woran sich die österreichische Justiz orientiert habe, "waren die österreichischen Gesetze", bemerkte Berghammer abschließend.

"Ein klassisches Mordmotiv, nämlich Geld"

Nach den einleitenden grundsätzlichen Bemerkungen übernahm die Anklage-Verfasserin Wallner das Wort. Ausführlich legte sie den Geschworenen die konkreten Vorwürfe gegen den verstorbenen Rachat Alijew und die beiden Angeklagten im Gerichtssaal dar. Ihren Vortrag illustrierte sie mit einer Powerpoint-Präsentation.

Wallner begann ihr Plädoyer mit dem Hinweis darauf, dass "ein klassisches Mordmotiv, nämlich Geld" vorliege. Die Anklage höre sich "streckenweise wie ein Hollywood-Film an. Ich muss Ihnen aber leider sagen, dass diese Dinge passiert sind", erklärte die Staatsanwältin.

"Alijew fühlte sich vom Vorstand betrogen"

Der wesentliche Inhalt der Anklage: Alijew, damals Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nasarbajew, war Mehrheitseigentümer der Nurbank. Die beiden späteren Mordopfer, der Vorstandsvorsitzende der Bank und sein Vize, sollen hinter dem Rücken Alijews Kredite vergeben, dafür Provisionen eingestreift und sich dadurch ein eigenes Imperium aufgebaut haben. "Alijew fühlte sich vom Vorstand betrogen und beschloss, sie gemeinsam mit den hier sitzenden Angeklagten zur Rede zu stellen und eine Rückzahlung und Wiedergutmachung zu verlangen", stellte die Staatsanwältin fest.

Alijew habe die beiden im Jänner 2007 in einen Sauna-Komplex in Almaty bringen lassen, dort verhört, eingeschüchtert und zum Unterfertigen eines Geständnisses genötigt. Nach einem Tag seien die Banker freigelassen, jedoch knapp zwei Wochen später wieder entführt worden. Daraufhin sollen sie im Auftrag Alijews gefoltert und misshandelt worden sein - laut Anklage "in eine Art und Weise malträtiert, die einer Vergewaltigung gleichkam".

Bis zum 9. Februar, dem Tag des mutmaßlichen Doppelmordes, sollen die späteren Opfer noch auf dem Gelände der Residenz Alijews festgehalten worden sein. Dann soll Alijew die beiden gemeinsam mit den nun Angeklagten sediert und auf ein Gelände geschafft haben, an dem Unternehmen Alijews ihren Sitz hatten. Man habe ihnen Plastiksäcke über die Köpfe gestülpt und sie anschließend mit einer Schnur erdrosselt. Die sterblichen Überreste der verschwundenen Banker wurden erst vier Jahre später, am 12. Mai 2011, auf einer Mülldeponie in mit gelöschtem Kalk gefüllten Metallfässern gefunden. "Sie konnten identifiziert werden, weil der gelöschte Kalk nur die Hautoberfläche angriff", bemerkte die Anklagevertreterin. 

Verteidiger: "Lügengeschichte"

Martin Mahrer, der Verteidiger von Alnur Mussajew, bezeichnete die Vorwürfe der Anklagebehörde als eine in Kasachstan erfundene "Lügengeschichte". Die kasachischen Banker wären in Wahrheit "von der Führungsriege des kasachischen Geheimdiensts" getötet worden. Den Doppelmord habe der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew "in die Wege geleitet", sagte Mahrer.

Der Verteidiger von Vadim Koshlyak, Walter Engler, erklärte, es handle sich hinsichtlich des Doppelmord-Vorwurfs "um eine völlig konstruierte Tat, die so nie stattgefunden hat". Bei seinem Mandanten sei von kasachischer Seite zunächst abgewartet worden, ob dieser Rakhat Alijew belasten werde oder nicht.

"Wenn er ihn belastet hätte, würde er nicht hier sitzen, sondern wär' wahrscheinlich kasachischer Vize-Außenminister. Er hat ihn nicht belastet. Darauf wurde er zum Abschuss freigegeben", hielt Engler fest.

"Presse"-Redakteur Manfred Seeh aus dem Gericht:

Wie lange dauert der Prozess?

Vorerst sind 27 Verhandlungstage ausgeschrieben: neun im April, elf im Mai, sieben im Juni. Freilich könnten Beweisanträge eine Vertagung bewirken. 90 Zeugen sind bereits geladen. Einige von ihnen sitzen jedoch in Kasachstan in Haft. Weil die kasachischen Behörden befürchten, sie könnten in Österreich um Asyl ansuchen, erhalten sie keine Reisegenehmigung. Mit ihnen soll daher eine Befragung per Videokonferenz durchgeführt werden.

Presse Grafik

(APA)

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