Auslöser der Seefelder Razzia waren Aussagen des Ex-Langläufers Johannes Dürr vor der Münchner Staatsanwaltschaft. Vier Kernpunkte, die Netzwerke und Reichweite skizzieren.
Seefeld. „Wir haben zeigen können, was in uns steckt.“ Das freudig-erregte Resümee des ÖSV-Langlaufduos Dominik Baldauf und Max Hauke nach Rang sechs im Teamsprint am Sonntag lässt mit dem Abstand von drei Tagen einiges an Interpretationsspielraum zu, nachdem die beiden im Rahmen der „Operation Aderlass“ wegen Eigenblutdopings in Gewahrsam genommen wurden.
Retrospektiv muss dazu festgehalten werden: Österreichs Loipenfraktion hat schon viel zu oft gezeigt, was in ihr steckt. 2002 in Salt Lake City, 2006 in Turin, 2014 in Sotschi (bekannt als Fall Johannes Dürr), 2016 (Fall Harald Wurm) und immer wieder zwischendurch; etwa mit der zweijährigen Dopingsperre für Olympiasieger Christian Hoffmann wegen der Anwendung verbotener Methoden.
- Schockwelle Johannes Dürr. Sein Dopingfall führte nun mit dem Abstand von fünf Jahren zur nächsten Eskalationsstufe bei der WM in Seefeld. Auslöser war seine Aussage bei der Staatsanwaltschaft I in München, die nach einer Dokumentation der ARD über Dürr Ermittlungen aufgenommen hatte. Zu den bisher bekannten Fakten drängen sich einige Fragen auf.
- Wie entstand der Kontakt? Wie kamen Dürr und die anderen Langläufer – in Seefeld sollen auch Karel Tammjarv und Andreas Veerpalu (beide Estland) sowie der Kasache Alexey Poltoranin einvernommen worden sein – zum Erfurter Sportmediziner S.? Er war über viele Jahre Teamarzt des Radteams Gerolsteiner. Auch zu Zeiten, als Bernhard Kohl für den deutschen Rennstall tätig war. Dessen Manager und Dopingbeschaffer, der Oberösterreicher Stefan Matschiner, pflegte auch gute Kontakte in den Langlaufsport, insbesondere zum damaligen ÖSV-Trainer Walter Mayer. Matschiner war 2006 in Turin als „Gast“ vor Ort.
Von diesem wiederum ist überliefert, dass er das Team Gerolsteiner zumindest einmal im Rahmen einer Tour de Suisse besucht haben soll. Möglich, dass damals Kontakte zum Teamarzt entstanden, von denen ÖSV-Langläufer noch viele Jahre später profitieren. Für Mayer, der sich derzeit in Südostasien aufhält und keine regelmäßigen Kontakte in die Langlaufszene mehr pflegt, gilt die Unschuldsvermutung.
- Und Dürrs Blutzentrifuge? Woher kam die Gerätschaft, mit der der ehemalige ÖSV-Langläufer Johannes Dürr Blutdoping durchführen ließ? Matschiner, der im Laufe der Jahre um die 40 nationale und internationale Athletinnen und Athleten in Sachen Dopingbeschaffung „betreute“, zog sich unmittelbar mit seiner Verhaftung 2009 aus dem Sportbusiness zurück.
Die Blutzentrifuge, mit der er Blutdoping an drei Athleten (unter anderem Bernhard Kohl) vorgenommen hatte, erhielt er laut eigenen Aussagen von der damaligen Sonderkommission Doping in beschädigtem Zustand zurück. Anstatt sie, wie ursprünglich vorgesehen, einer medizinischen Organisation zu schenken, verkaufte er das Gerät verärgert an den nächstbesten Interessenten. Theoretisch könnte es S. gewesen sein. Der Erfurter Mediziner war mit Matschiner befreundet, war auch Gast bei dessen Hochzeit.
- Wo ist diese Maschine jetzt? Laut Informationen, die der „Presse“ vorliegen, wurde das Gerät, mit dem Dürr bis zum Februar 2014 behandelt wurde, zeitnah nach Dürrs positiver Dopingprobe und dem darauf folgenden Rücktritt weiterverkauft – und zwar nach Südtirol. Mehrere Jahre war das auch die Wahlheimat von Dürr. Der heute 31-Jährige lebte in Antholz mit Frau und Kind. Jetzt ist er geschieden und in Innsbruck zu Hause.
Sein ehemaliger Schwiegervater ist auch kein Unbekannter, Gottlieb Taschler war Vizepräsident des Biathlon-Weltverbandes IBU. Gegen ihn und seinen Sohn wurde wegen Verstößen gegen das italienische Dopinggesetz ermittelt. Für sie gilt die Unschuldsvermutung ebenfalls, wie auch für S. Dieser wurde Mittwoch um 14.38 Uhr in Erfurt festgenommen. Mit Sonnenbrille und in Handschellen wurden er und sein Vater abgeführt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2019)