„Das Forum braucht die kritische Jugend“

Oliver Rathkolb und Maria Wirth
Oliver Rathkolb und Maria Wirth (c) Katharina Roßboth
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Die Stärke von Alpbach ist seine Wandlungsfähigkeit, sagen die Historiker Wirth und Rathkolb. Die Zeit ist reif für einen Blick über Europas Tellerrand.

Es ist eine Erfolgsgeschichte, die vor 70 Jahren in der Tiroler Gemeinde Alpbach begann: Rund 80 Studierende und Wissenschaftler trafen hier aufeinander, um gemeinsam den „Geist von Europa“ zu suchen, über politische Belange zu diskutieren und gemeinsam Lösungen für Krisen zu erarbeiten. „Man wollte ein Fenster zur Welt sein“, beschreibt die Historikerin Maria Wirth – die die Geschichte des Forums wissenschaftlich als Buch aufgearbeitet hat – das Vorhaben der Väter des Europäischen Forums, Otto Molden und Simon Moser. Dass es gelungen ist, liege auch an „Alpbachs Fähigkeit, sich ständig neu zu erfinden“.

Nach der Gründung des Dialogforums 1945 – damals unter dem Titel „Internationale Hochschulwochen“ – folgten die „goldenen 1950er Jahre“. Geschuldet dem kreativen Risiko: „Im Unterschied zu den Unis wurde Alpbach nach dem Krieg von kleinen, zivilgesellschaftlichen Gruppen organisiert, die einen anderen Entwurf als die Uni hatten“, sagt Historiker Oliver Rathkolb. „Zwischen dem, was hier mit flachen Hierarchien und Diskussionszirkeln ausprobiert und dem, wie an den Unis gelehrt wurde, lagen Welten.“

Schulden statt Bergwiese

Der Mut wurde belohnt: Anfangs waren nur an die 80 Studierende und Wissenschaftler aus Österreich und der Schweiz, Vertreter derfranzösischen und amerikanischen Besatzungsmacht sowie einige illegal über die Grenze gekommene Südtiroler im „Dorf der Denker“ vertreten. 1957 wurde mit Teilnehmern aus 21 Ländern die 1000er-Marke geknackt. Heute liegt man bei 4500 Gästen, darunter 900 Redner. Die Zahl der Arbeitskreise wuchs. Statt in Bergwiesen saß man im Paula-Preradović-Haus – und auf einem Schuldenberg. „Zu den finanziellen Problemen kam Moldens Rücktritt als Präsident, der mit der Europäischen Föderalistischen Partei politische Gehversuche unternahm“, sagt Wirth. Mit seinem Abschied im Jahr 1960 verlor das Forum auch an „Drive“. Die „Wende“ brachten die Wiederwahl Moldens zum Präsidenten des Colleges 1970 und die Etablierung der „Dialogkongresse“ als zweite Programmsäule. Zudem wurde das seit den 1940ern bestehende „Alpbach-Netzwerk“mit der Bildung von Clubs belebt.

Auf Abstand zur Wirtschaft

Ende der 1980er brach die zweite Krise über das Forum herein: Durch den Wechsel von Hannes Androsch vom Finanzministerium zur Creditanstalt erlosch sein Engagement für das Tiroler Treiben. Während Zahl und Alter der Teilnehmer stiegen, schrumpften die Subventionen, das Verhältnis zu Wirtschaft und Banken kühlte ab. Die Folge: ein rigider Sparkurs, um das Vertrauen der alten Fördergeber wieder zu erlangen. Und: ein programmatischer Wechsel. Mit der Einführung der „Sommerschule für Europäische Integration“ im Jahr 1992 wurden an Studierende Stipendien vergeben. Das Ziel: die Jugend als Motor nützen. Unter Erhard Busek, der im April 2000 die Präsidentschaft in Alpbach übernahm, wurde der nächste Gang eingelegt. „Talks“, der „Tiroltag“ und die Architekturgespräche wurden installiert.

Das Konzept ging auf, das Forum begünstigte Karrieren am internationalen Parkett: „Alpbach ist ein Netzwerkknotenpunkt geworden“, sagt Rathkolb. „Hier treffen sich Menschen in dichter Atmosphäre.“ Hinzu komme der „Bottom up“-Charakter – im Gegensatz zur „Top down“-Mentalität etwa beim Weltwirtschaftsforum Davos.

Wirth führt eine weitere Stärke an – Menschen, die nach Veränderung streben: „Das Forum profitiert von einer kritischen Jugend.“ Sie ist es, die etwa darauf aufmerksam macht, dass nach wie vor Männer die Chefetagen dominieren. Und die die Beschäftigung mit ökosozialen Fragestellungen einfordert: „Wir erleben den zweiten Jahrhundertsommer in Folge sowie eine arge Flüchtlingskrise.“ Wirth empfiehlt Alpbach, sich verstärkt des Themas Migration anzunehmen. Und über die Zukunft nachzudenken: „Wie so oft in seiner Geschichte steht das Forum auch heute wieder an einem Wendepunkt.“

Auch Oliver Rathkolb rät zu einem Blick über Europas Tellerrand – angesichts internationaler Verflechtungen und neuer Akteure, die an Bedeutung gewinnen. „Der Mix bei den Studenten muss noch globaler werden, etwa hinsichtlich der aufstrebenden Player China, Indien oder Brasilien.“

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