Aktionskünstler mit Blankoscheck

Intervention
Intervention(c) Katharina Roßbot
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Es ist der Auftakt einer neuen Einbindung von Kunst und Kultur: Künstler eröffnen die Symposien und diskutieren über Flüchtlinge und Frieden mit.

Am Ende liegt eine Frau auf dem Podium mitten im Schrödinger-Saal und streicht auf ihrem Cello herum, nachdem zwei andere ihr die Wörter „Inequality“ und „Toxic“ auf die Unterschenkel geschrieben haben. „Sometimes people just get so poor, it makes them crazy“, rufen alle gemeinsam. Zuvor haben die drei verschiedene Frauen verkörpert, darunter die drogensüchtige Pinky, die mit Bierdose und pinker Perücke aufs Podium wankt, die Bankerin am Rande des Burnouts und die alleinerziehende Mutter aus dem Sozialbau, die irgendwann sagt: „Habe ich Selbstmordgedanken? Natürlich habe ich verdammt noch mal Selbstmordgedanken!“

Es ist ein für Alpbach ungewöhnlicher Einstieg in die Gesundheitsgespräche – aber einer, der bald Normalität werden soll. Die Künstler, die in den vergangenen Jahren eher den Platz im Rahmenprogramm zugewiesen bekamen, sollen ab heuer einen anderen Stellenwert haben. „Das ist der Auftakt zu einer neuen Involvierung von Kunst und Kultur“, sagt Kulturchefin Monika Sommer-Sieghart. „Wir eröffnen die Gespräche je mit einem künstlerischen Beitrag, der inhaltlich korrespondiert.“

„Das wird ein Hammer“

Bei der Gesundheit war das die Royal Academy of Dramatic Art mit ihrer Intervention zu Ungleichheit in der Gesundheit. Den Auftakt der Hochschulgespräche macht diesen Mittwoch die Tänzerin und Choreografin Eva Müller mit einer Performance, den Rechtsschwerpunkt eröffnet am selben Tag die Schriftstellerin Nina George. Die politischen Gespräche starten am Sonntag mit den Aktionskünstlern vom Berliner Zentrum für politische Schönheit. Sie machten zuletzt auf das Elend der Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen aufmerksam, indem sie in Berlin das Begräbnis einer Syrerin inszenierten, die auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken war. „Das wird ein ziemlicher Hammer sein – und da haben wir uns auch auf ein gewisses Risiko eingelassen“, sagt Kulturchefin Sommer-Sieghart. „Wir haben dem Zentrum für politische Schönheit eine Carte Blanche gegeben.“ Die Aktionskünstler können also machen, was sie wollen. „Wir sind selbst schon aufgeregt, was da passieren wird.“

Ganz neu ist die enge Einbindung von Kultur in Alpbach nicht: Vor allem in den Anfängen waren Kulturschaffende essenzieller Bestandteil des Forums. „Durch die Entwicklung und die immer stärkere Politisierung und Ausrichtung an ökonomischen Fragen ist diese aktive Involvierung der Kunst allerdings ein bisschen verloren gegangen“, sagt Sommer-Sieghart.

Darum ging es eigentlich auch schon in jener Kunstaktion, die über Alpbach hinaus sicher am meisten für Furore sorgte: André Heller und Gustav Peichl riefen im Jahr 1979 in Alpbach den Künstlerfreistaat Artopia aus – als Gegengewicht zu dem schon damals (zu) politik-, wirtschafts- und wissenschaftslastigen Forum, wie Insiderin Koschka Hetzer-Molden einmal in der „Presse“ schrieb. Kulturchefin Sommer-Sieghart erhofft sich von der stärkeren Involvierung der Künstler ins Forum jedenfalls ein Aufsprengen des repräsentativen Rahmens. Oder besser gesagt. Sie ist überzeugt davon, dass hier etwas aufbricht.

„Man muss sich vorstellen: Wir haben bei der Eröffnung der politischen Gespräche drei Staatspräsidenten, die mit einer relativ radikalen Künstlergruppe konfrontiert werden – wohl zu dem absolut virulenten Thema Flüchtlinge.“ Was solche Performances schaffen können, sei eine Zuspitzung, eine Emotionalisierung, eine unmittelbare Vergegenwärtigung. „Das sind die künstlerischen Verfahren, die einen Beitrag dazu leisten können, Diskussionen zu führen, die womöglich gesellschaftsverändernd sind.“

Die Vision geht aber noch weiter. „Wir wollen die Künstler noch stärker in die einzelnen Panels involvieren“, sagt Sommer-Sieghart. In Ansätzen gibt es auch das bereits heuer: Wenn etwa die Filmemacherin Nina Kusturica – selbst einst aus Bosnien nach Österreich geflüchtet – am Sonntag einen Einblick in ihren neuen Film („Ciao Chérie“) gewährt – und tags darauf mit dem deutschen Provokateur Thilo Sarrazin und Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner über Flüchtlingspolitik diskutiert. Oder wenn Cesy Leonard vom Zentrum für politische Schönheit nach ihrer Intervention mit Nobelpreisträger José Ramos-Horta und dem UNO-Botschafter der EU, Thomas Mayr-Harting, über Frieden und Sicherheit in instabilen Zeiten spricht.

Jugend und Alpbach im Fokus

Das klassische kulturelle Rahmenprogramm wird übrigens nicht abgeschafft, sagt Sommer-Sieghart. „Jetzt geht es in beide Stoßrichtungen: Rahmenprogramm und Einbindung.“ Schwerpunkte sind heuer junge Talente und die Region Alpbach. Beides vereinen etwa der junge Alpbacher Schriftsteller Robert Prosser, der am Mittwoch erstmals aus seinem neuen Buch liest oder die Malerin Toni Mauersberg, die im Bergbauernmuseum in Inneralpbach ihre Werke zeigt.

Zugleich ein Rückgriff auf die Geschichte ist der Wettbewerb für junge Komponisten, den das Forum dieses Jahr mit der Stadt Wien ausgeschrieben hat. Am Dienstagabend führen Musiker des Klangforums Wien drei neue Stücke auf, die in der Besetzung an die Alpbacher Tanzserenade aus dem Jahr 1955 angelehnt sind.

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