Das eingeschleppte Trauma

Rabee Alrefai (li) und Lasha Goguadze
Rabee Alrefai (li) und Lasha Goguadze(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Die psychischen Belastungen durch Krieg und Flucht werden in Europa nachwirken. Dass Flüchtlinge Krankheiten mitbringen, glaubt man beim Internationalen Roten Kreuz nicht.

Rabee Alrefai war im Dienst, als am 18. März 2011 der syrische Bürgerkrieg ausbrach: Als Chirurg im Krankenhaus der Stadt Daraa im Süden des Landes behandelte er den ersten Verwundeten. Syrische Soldaten hatten zuvor auf Demonstranten geschossen. „Es war ein Freitag“, sagt Alrefai. Heute, Dienstag, ist er auf Einladung des Roten Kreuzes in Alpbach und wird seine Erfahrungen zum Thema „Gesundheit und Migration“ teilen.

Er floh über die „klassische Route“, wie er selbst sagt, den Balkan, vergangenen Sommer nach Österreich. „Am 10. Juni 2015 schlug eine Mörsergranate in unser Haus ein. Meine Tochter überlebte knapp. An diesem Tag sagte ich: Das ist genug. Im Juli haben wir Syrien verlassen.“ Knapp drei Wochen waren Alrefai und seine Familie übers Meer und zu Fuß unterwegs. „Diese zwanzig Tage waren gefährlicher als die vier Kriegsjahre in Syrien. Wir dachten, vielleicht ertrinken wir im Meer. Oder wir holen uns Krankheiten.“ In Ungarn trank die Familie aus einem Fluss, weil es nirgends sonst Wasser gab – unter anderen Umständen ein Tabu für den Arzt.

Der Gesundheitszustand der nach Österreich geflüchteten Menschen ist häufig auch Thema in politischen Debatten. Belasten sie unser Gesundheitssystem? „Die Sache ist: Migranten stellen keine Gesundheitsgefährdung für die europäische Bevölkerung dar“, sagt Lasha Goguadze, medizinischer Berater des Internationalen Roten Kreuzes, der aus Genf nach Alpbach gekommen ist. Natürlich kämen übliche Krankheiten und Infektionen vor, doch „wenn man Europäer in die Fluchtsituation versetzt, würden diese genauso körperlich darauf reagieren“. In Bezug auf Hepatitis und AIDS etwa sei der Anteil der Infizierten unter den Geflüchteten geringer als in der EU-Bevölkerung.

Der Arzt Alrefai war ein Monat nach seiner Ankunft in Österreich bereits fürs Rote Kreuz in Nickelsdorf im Einsatz – als Dolmetscher. Im Krankenhaus Tulln hat er ein medizinisches Training absolviert und bei Bedarf ebenfalls für Geflüchtete übersetzt: „Und ich kann Ihnen versichern, dass jeder dieser Menschen auf die eine oder andere Art traumatisiert ist. Keiner beachtet das.“
Alrefai ist überzeugt: „Das ist die größte Integrationshürde. Die Österreicher und Europäer insgesamt erwarten, dass die Geflüchteten sich normal verhalten, schnell die Sprache lernen, einen Job finden.“ Sie würden dabei vergessen, dass diese Menschen traumatisiert sind. „Ihre psychischen Probleme werden hier weiterwachsen, die lösen sich nicht in den nächsten zwei Jahren, in denen sie noch dazu mit neuen Umständen, Traditionen, Gemeinschaften konfrontiert sind. Das wird sich auf Integrations- und Gesundheitssysteme auswirken.“

Syrischer Impfplan ähnelt heimischem

„Das Risiko unterwegs, auf dem Meer“, sagt auch Goguadze, „die Ungewissheit, wo man landen wird, die Familie, die man vielleicht zurückgelassen hat: Das alles ist natürlich eine immense Belastung.“ Sind es also eher psychische als körperliche Krankheiten der Geflüchteten, die die europäischen Gesundheitssysteme herausfordern werden? „In Syrien hatten wir ein sehr gutes Gesundheitssystem“, sagt Alrefai. „Ich habe den syrischen Impfplan für das Krankenhaus in Tulln übersetzt und dort hat man mir gesagt: Er deckt sich zu 99 Prozent mit dem österreichischen. Es ist eine Überreaktion, wenn wir darüber sprechen, dass die geflüchteten Menschen Krankheiten einschleppen. Das stimmt nicht.“ Das Rote Kreuz untersucht übrigens in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium alle Asylwerber, bevor sie den Grundversorgungsquartieren zugewiesen werden – inklusive Lungenröntgen, um Tuberkulose auszuschließen.

Rotes-Kreuz-Büchlein soll helfen

Was Geflüchteten in Österreich außerdem fehlt, ist Information. Alrefai berät Syrer zu Gesundheitsthemen auf sozialen Kanälen: „Die häufigste Frage ist: Wer kennt einen Arzt, der Arabisch spricht?“ Hier setzt auch das Rote Kreuz an: Ein Büchlein mit dem Titel „Angekommen!“ informiert Geflüchtete über Rechte und Pflichten, Asyl, Gesundheit usw. Die Broschüre erscheint heuer in einer Auflage von 115.000 Stück und wurde mit Hilfe der ORF-Aktion „Helfen wie wir” finanziert. Das Rote Kreuz verteilt sie in seinen Grundversorgungsquartieren sowie in Ambulatorien, in denen sich auch Nichtversicherte – ob Studienabbrecher oder Geflüchteter – behandeln lassen können.

Große Schwierigkeiten bei der gesundheitlichen Versorgung sieht das Rote Kreuz demnächst im Fall abgelehnter Asylwerber, die nicht abgeschoben werden können. Sie würden vorübergehend in Österreich bleiben müssen, ohne legalen Status und ohne Zugang zu medizinischen Einrichtungen – wenn ihr Leiden nicht akut ist. Für diesen Fall muss ohnehin jedes österreichische Krankenhaus einspringen.

>>> Zum Alpbach-Ressort

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