EU-Experte glaubt nicht an Kurz-Allianz mit Visegrad-Staaten

Braucht es bei Visegrad-Gipfeln bald ein fünftes Rednerpult? Beata Szydlo (Polen), Bohuslav Sobotka (Tschechien), Robert Fico (Slowakei) und Viktor Orbán (Ungarn) sind derzeit die Regierungschefs der Visegrad-Staaten.
Braucht es bei Visegrad-Gipfeln bald ein fünftes Rednerpult? Beata Szydlo (Polen), Bohuslav Sobotka (Tschechien), Robert Fico (Slowakei) und Viktor Orbán (Ungarn) sind derzeit die Regierungschefs der Visegrad-Staaten.APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK
  • Drucken

Der Ex-Spitzendiplomat Stefan Lehne sieht im Visegrad-Bund den "letzten Klub, dem Österreich beitreten will, wenn es um inhaltliche Interessen geht". EU-Kommissionschef Juncker hofft auf eine proeuropäische Regierung.

Der EU-Experte Stefan Lehne glaubt nicht daran, dass die nächste Bundesregierung europapolitisch gemeinsame Sache mit den so genannten Visegrad-Staaten machen wird. "Das ist der letzte Klub, dem Österreich beitreten will, wenn es um inhaltliche Interessen geht", sagte Lehne am Montag der Austria Presse Agentur (APA). Diese Staaten seien nämlich EU-Nettoempfänger, Verfechter der Personenfreizügigkeit, AKW- und Nato-Staaten, betonte er.

Ein Beitritt Österreichs zur Visegrad-Gruppe sei "völlig unwahrscheinlich", betonte der Mitarbeiter des Brüsseler Think Tanks "Carnegie Europe". Er räumte aber ein, dass sich Österreich in der Migrationsfrage mit Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn enger abstimmen könnte.

Kein Einzelfall in der EU

Lehne erwartet keine große Veränderung der EU-Migrationspolitik durch den Wechsel im Bundeskanzleramt. Zwar vertrete der wahrscheinliche künftige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in dieser Frage "eine relativ profilierte und EU-skeptische Haltung", doch sei er "sicher kein Einzelfall". Gerade in der Flüchtlingsfrage sei das Meinungsspektrum in den vergangenen Monaten "nach rechts gerückt".

Der frühere Spitzendiplomat im Wiener Außenamt rechnet damit, dass die künftige Bundesregierung stärker auf die Kontrolle der EU-Außengrenzen und Rückführungen setzen und "vorsichtig" zu einer möglichen Abschaffung der Schengen-Kontrollen stehen werde. "Nicht begeistert" werde eine von Kurz geführte Regierung wohl auch bei der Vergemeinschaftung der Asylpolitik sein. Österreich werde damit im EU-Trend liegen. "Die Frage ist, ob sich das Problem damit lösen lässt", sagte Lehne. Für eine nachhaltige Lösung der Flüchtlingsfrage brauche es nämlich europäische Solidarität.

In der Debatte über die EU-Reform stehe Kurz war gegen eine "massive Vertiefung", werde sich aber "nicht als EU-Gegner positionieren", auch weil er die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs im zweiten Halbjahr 2018 "ordentlich über die Bühne bringen" wolle. "Ich sehe nicht das Problem, dass Österreich Reformen von vornherein sabotiert", sagte Lehne mit Blick auf die ehrgeizigen Pläne des französischen Präsidenten Emmauel Macron, die Kurz distanziert aufgenommen hatte.

Direkte Demokratie als Blockade wichtiger Reformen

Größere Sorgen macht Lehne die von der FPÖ geforderte Aufwertung der direkten Demokratie, die zu Volksabstimmungen über EU-Themen führen könnte. Solche Referenden könnten dazu führen, dass Österreich Reformschritte blockiere, sagte der Experte mit Blick auf das niederländische Volksvotum über das EU-Ukraine-Abkommen. Kurz müsse mit diesem Instrument "vorsichtig" umgehen.

Sanktionen wie im Jahr 2000 müsse eine künftige schwarz-blaue Regierung nicht befürchten. Damals sei durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ ein Tabu gebrochen worden. Dieses sei mittlerweile verschwunden, da in sieben EU-Regierungen rechtspopulistische Parteien am Ruder sind. Auch ein FPÖ-Außenminister müsste sich nicht auf massiven Gegenwind seiner EU-Partner gefasst machen, verweist Lehne auf den rechtspopulistischen finnischen Außenminister Timo Soini.

>> Internationale Presse: Von ''Wunderwuzzi'' bis ''Brüsseler Kopfschmerzen''

Juncker hofft auf "proeuropäische Regierung"

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wünscht sich nach den Wahlen in Österreich eine "stabile proeuropäische Regierung". Ein Sprecher erklärte am Montag in Brüssel, Juncker habe bereits mit dem möglichen neuen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Kontakt gehabt.

Der Kommissionspräsident habe drei Punkte in einem Glückwunschschreiben an Kurz angeführt. Zunächst die herzliche Gratulation an Kurz für dessen Wahlerfolg. Zweitens der Hinweis, dass Österreich bald die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird und dabei eine wichtige Rolle in der Gestaltung vieler wichtiger Angelegenheiten für die Zukunft Europas spielen werde. Drittens habe Juncker Kurz "viel Erfolg für die Bildung einer stabilen proeuropäischen Regierung" gewünscht.

Angesprochen darauf, wie weit eine solche stabile proeuropäische Regierung bei einer Koalition mit der FPÖ möglich sei, sagte der Sprecher, heute könne man nicht spekulieren. Es gelte abzuwarten, wie das Mandat für die Regierungsbildung aussehe, dann werde ein Programm präsentiert und dann diskutiert. "Heute bevorzuge ich, über den Brief des Präsidenten (Juncker, Anm.) zu sprechen". Konkret auf FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache angesprochen, verwies der Sprecher neuerlich auf Junckers Wunsch nach einer stabilen proeuropäischen Regierung.

Aus ganz Europa trafen teils schon Sonntagabend Gratulationen von Politikern in der ÖVP-Zentrale ein. Vor allem die konservativen Regierungs- und Parteichefs Europas freuen sich laut Gratulationsschreiben mit Kurz und sehen in Kurz einen überzeugten Europäer. Auch von der deutschen "Alternative für Deutschland" (AfD) gab es Vorschusslorbeeren. Die internationalen Medien orteten vor allem einen Rechtsruck in Österreich.

Nationalratswahl 2017

Detailergebnisse zu Bundesländern, Bezirken und Gemeinden sowie Wahlbeteiligung, Mandatsverteilung, Koalitionsrechner und Wählerstromanalyse finden Sie im "Presse"-Wahlcenter.

Alle Reaktionen, Kommentare, Reportagen und Analysen zur Nationalratswahl 2017 auf www.diepresse.com/wahl17

(APA/Stefan Vospernik)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.