Am Montag wurde Hahns Dissertation zur Gänze auf die Internetseite "PlagiPedi" gestellt. Die Wiki-Plattform war ursprünglich im Zuge der Plagiatsaffäre um Guttenberg eingerichtet worden, damit auch die wissenschaftlichen Arbeiten anderer deutscher Politiker kollektiv durchsucht werden können. Es finden sich aber mittlerweile auch Österreicher auf der "Liste der zur Überprüfung vorgeschlagenen Arbeiten", darunter Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Grünen-Abgeordneten Peter Pilz.
Für Hahn könnte es unangenehme Folgen haben, dass die Arbeit nun öffentlich zugänglich ist, glaubt Herbert Hrachovec, Philosoph an der Uni Wien. Er hat bereits vor längerem eine Analyse der ersten 100 Seiten durchgeführt, die auch auf Plagipedi verlinkt ist. Die Publikation in "PlagiPedi" könnte seiner Einschätzung nach dafür sorgen, "dass es so ausgeht wie bei Guttenberg", so Hrachovec am Montag.
"Keine eigene geistige Leistung erbracht"
Zuvor hatten bereits zwei Wissenschafter behauptet, Hahn habe große Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Gerhard Fröhlich, Professor an der Universität Linz, erklärte im Boulevardblatt "Österreich" (Sonntags-Ausgabe) dass er die Doktorarbeit mit dem Titel "Perspektiven der Philosophie heute" derzeit genau untersuche. "Er hat keine eigene geistige Leistung erbracht. Die Arbeit ist zu neunzig Prozent 1:1 von anderen übernommen. Er hat nur alle paar Seiten Fußnoten oder Anführungszeichen gesetzt, das ist nicht korrekt", sagte Fröhlich.
Auch der bekannte Plagiatsjäger Stefan Weber ist der Meinung, dass es sich bei Hahns Arbeit um ein Plagiat handelt: "Bisher kann ich sagen, dass es sich wahrscheinlich um ein Plagiat handelt. Ein Textsegment wird zitiert, die nächsten Absätze werden nicht zitiert, stammen aber fast wörtlich aus der Originalquelle."
Hahn soll etwa Passagen von den Autoren Leopold Kohr und Alexander Mitscherlich nahezu wortwörtlich übernommen haben. Fröhlich und Weber fordern nun, dass Hahns Arbeit von der Universität Wien auf Plagiatsverdacht geprüft werden soll. Bisher ist das nicht geschehen, die Arbeit wurde 2007 von der Universität Zürich geprüft, weil Hahn damals Wissenschaftsminister war.
Hahn wehrt sich: "Schwachsinn"
Wie viele Semester hat Peter Pilz studiert? Wo hat Maria Fekter als Studentin gejobbt? Und über welches Thema haben sie ihre Abschlussarbeiten geschrieben? DiePresse.com hat bei österreichischen Politikern nachgefragt, wie ihre Studienzeit verlaufen ist - mit Semesteranzahl, Nebenjobs und bizarren Abschlussarbeiten.
Studium: Agrarökonomie, Universität für Bodenkultur Dauer: 12 Semester, 1987 bis 1993 Diplomarbeit: „Fusion von Primärgenossenschaften. Motive und Auswirkungen am Beispiel der Fusion der Raiffeisengenossenschaften von Absdorf und Ziersdorf“ Nebenjobs: Lagerhaus Absdorf, Tiroler Röhren- und Metallwerke (c) Clemens Fabry
Studium: Rechtswissenschaften, Universität Graz Dauer: 8 Semester, 1985 bis 1989 Diplomarbeit: „Der Dispositionsgrundsatz und die Teilrechtskraft im ehelichen Aufteilungsverfahren“ Nebenjobs: Eisverkäuferin im Freibad Tamsweg, zusätzlich ein Leistungsstipendium erhalten (c) APN (Hans Punz)
Studium: Rechtswissenschaften, Universität Graz Dauer: 9 Semester Diplom, 8 Semester Doktorat, 1987 bis 1997 Dissertation: „Grenznahe Atomkraftwerke – Rechtsschutzmöglichkeiten des Zivilrechts“ Nebenjobs: Oktoberfest, Autobahnraststätte, Global 2000 (c) APA/MARKUS LEODOLTER (MARKUS LEODOLTER)
Studium: Publizistik, Politikwissenschaft, Philosophie, Geschichte Dauer: seit 1988 Diplomarbeit: auf Eis gelegt, „habe durchaus den Ehrgeiz, sie fertig zu schreiben“ Nebenjobs: zuerst keine, ab 1995 Freiheitliche Akademie (c) Clemens Fabry
Studium: Rechtswissenschaften, Universität Graz Dauer: 9 Semester Diplom, 9 Semester Doktorat, 1986 bis 1991 Dissertation: „Die sozialwidrige Kündigung“ Nebenjobs: Während des Diploms keine, während des Doktorats Uni-Assistentin (c) Clemens Fabry
Studium: Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Universität Graz Dauer: 11 Semester, 1972 bis 1978 Diplomarbeit: „Novellierung des GesmbH-Gesetzes“ Nebenjobs: Moped-Fließband bei der Firma Puch, Berufsanwärter in Steuerberaterkanzlei (c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
Studium: Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaft, Universität Linz Dauer: 8 (Jus) bzw. 12 Semester (BWL), 1975 bis 1982 Diplomarbeit: „Die ertragsteuerliche Behandlung einer Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerung bei Personengesellschaften.“ Nebenjobs: Im elterlichen Betrieb (Schottergrube), gemeinsam mit einer Freundin Besitzerin einer Jeansboutique (c) EPA (OLIVIER HOSLET)
Studium: Biologie und Zoologie, Universität Wien Dauer: 1969 bis 1977 Dissertation: "Funktionsanatomische Untersuchungen am Schädelskelett und der Kopfmuskulatur verschiedener Arten der Fam. Gekkonidae" Nebenjobs: Neben dem Doktorat wissenschaftlicher Mitarbeiter im Naturhistorischen Museum (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
Studium: Betriebswirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien Dauer: 8 Semester Diplom, 4 Semester Doktorat, 1977 bis 1983 Dissertation: „Problematik des Informationsstandes zum ,Zeitpunkt’ der aktienrechtlichen Jahresabschlusserstellung unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Niederstwertvorschrift“ Nebenjobs: Keine (c) APN (LILLI STRAUSS)
Studium: Landwirtschaft, Universität für Bodenkultur Dauer: 12 Semester, 1979 bis 1985 Diplomarbeit: „Untersuchungen über das Korn – Stroh- (Harvest-Index) bzw. Korn – Spindel-Verhältnis ausgewählter Maissorten im pannonischen und illyrischen Anbaugebiet“ Nebenjobs: Ferialjobs in Bulgarien, Ungarn und Ex-ugoslawien, Praktika (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
Studium: Volkswirtschaft an der Universität Wien Dauer: 14 Semester, 1973 bis 1979 Dissertation: Rüstungskonversion (Umstellung von militärischer auf zivile Produktion) Nebenjobs: Journalist (c) APA (NEUMAYR / MMV)
Studium: Rechtswissenschaften, Universität Linz Dauer: 11 Semester, 1975 bis 1980 Dissertation: Damals nicht erforderlich Nebenjobs: Bei der Post und in einer Tischlerei (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
Studium: Lehramt Deutsch und BE für Hauptschulen an der PädAk Baden Dauer: 1980 bis 1983 Abschlussarbeit: „Die Frauenfiguren in den Werken von Tennessee Williams“ Nebenjobs: Freizeitpädagogin bei den Kinderfreunden (c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
Studium: Rechtswissenschaften, dann Politikwissenschaft und Philosophie, Universität Wien Dauer: 1978 bis 1987 Dissertation: "Die österreichische Friedensbewegung" Nebenjobs: Nachhilfestunden, Parteiangestellter (c) Clemens Fabry
Gusenbauers Nachfolger ist ein DropOut - er brach sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien 1988 nach vier Semestern ab. Da sitzt er übrigens im selben Boot wie sein FP-Rivale Heinz-Christian Strache. Der gelernte Zahntechniker inskribierte Geschichte an der Universität Wien - ließ es aber ebenfalls bald darauf wieder bleiben. (c) REUTERS (HERWIG PRAMMER)
„Die Perspektiven der Philosophie heute dargestellt am Phänomen Stadt“ heißt die Dissertation, die Johannes Hahn 1987 an der Universität Wien einreichte. Im Mai 2007 warf ihm der Salzburger Medienwissenschaftler Stefan Weber vor, in seiner Arbeit „absolut schlampig“ gearbeitet und „seitenweise unzitiert abgeschrieben“ zu haben. Die Vorwürfe hatten nach einer Prüfung durch die Uni Zürich keine Konsequenzen. Nun soll die Arbeit aber offenbar erneut geprüft werden. (c) EPA (OLIVIER HOSLET)
Dissertation hat der ehemalige Finanzminister keine verfasst. Seine Diplomarbeit "Die Klein-AG der Schweiz" ist allerdings ebenfalls ins Visier der Plagiatsjäger geraten. Die Universität Klagenfurt prüft die Arbeit. Medienwissenschafter Weber will in der Arbeit zum Teil "eindeutig Plagiate" bzw. "verdächtige Passagen" und "Ungereimtheiten" entdeckt haben. Der Plagiatsgutachter Stefan Fröhlich von der Uni Linz hat "vorläufig nichts entdeckt". Ein Ergebnis soll Anfang März vorliegen. Von Bernadette Bayrhammer (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
Raiffeisen, Atomkraftwerke und Geckos
Der EU-Kommissar weist im "Österreich"-Interview alle Vorwürfe zurück: "Die Vorwürfe sind Schwachsinn. Ich habe die Arbeit zuerst händisch verfasst, dann abgetippt. Niemand schreibt hundert Seiten ab. Ich habe 440 Zitate in meiner Arbeit gehabt. Zudem hat die Uni Zürich bereits 2007 festgestellt, dass es sich um kein Plagiat handelt." Auch im ORF-Fernsehen am Samstag-Abend gab sich Hahn in der Nachrichten-Sendung "Zeit im Bild" empört über die Vorwürfe der Wissenschaftler Fröhlich und Weber.
Wie die "Presse" erfuhr, ist die Arbeit des EU-Kommissars auf "Antrag des Studienpräses aus dem Verkehr gezogen" worden. An Haupt- und Fachbibliothek ist Hahns Dissertation als verloren gemeldet.
Weil die Universität Wien nicht auf Plagiatsvorwürfe gegen EU-Kommissar Hahn reagiert, initiiert der Wiener Philosoph Herbert Hrachovec ein Anti-Plagiatsprojekt.
Ein Ergebnis der Plagiatsprüfung sei in etwa einer Woche zu erwarten, so die Uni. Plagiatsjäger Weber will "eindeutig Plagiate" entdeckt haben, der Plagiatsgutachter Fröhlich hat "vorläufig nichts entdeckt".
Wissenschaftsministerin Karl will Regeln zum wissenschaftlichen Arbeiten prüfen. Plagiatsjäger untersuchen Arbeiten von EU-Kommmissar Johannes Hahn, des Grünen Peter Pilz, Ex-Finanzministers Karl-Heinz Grasser.
Neben elf deutschen Regierungsmitgliedern stehen auch österreichische Politiker auf der Liste der neuen Plattform "Plagipedi". Im Visier ist außerdem Papst Benedikt XVI.
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