Es ging nicht um Suizid sondern um die Zentralmatura

Haben Sie die Allegorie der letzten Woche verstanden? Natürlich. Es ging um die Zentralmatura – wie könnte es anders sein, in Tagen wie diesen?

Ob sich Josef nun am Zirbenbaum erhängen wird, mit Mariandl eigentlich Claudia (Schmied) gemeint ist oder Selchwürste überhaupt lachen können (wie von diversen Lesern gefragt wurde), ist eigentlich nebensächlich. Schließlich stand ein ganz anderer zentraler Gedanke im Vordergrund meiner Allegorie: Viele hierzulande (und vor allem, jene, die Millionen dafür ausgeben) setzen ihre Hoffnungen in die Zentralmatura und scheinen nicht zu bedenken, dass die Umstellung der Melkmethode noch keine bessere Milch produziert. Aber mal schön langsam.

Was man sich erhofft

Dieser Tage erfreuten (naja) sich knapp 20.000 heimische AHS-Maturanten der neuen Reifeprüfung, die im Vorfeld sowohl heftigst gelobt als auch deftigst getadelt wurde. Da fragt man sich jetzt natürlich, was sich denn die Lobredner von ihr erhoffen. Sie sagen: Da ja die Aufgabenstellungen überall gleich sind, würden die Leistungen der Schüler im ganzen Land und schließlich auch international vergleichbar werden. Weiters freuen sie sich, dass die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern besser werden würde, da der Lehrer vom Prüfer zum Coach mutiere, der letztlich die Schüler gut auf die Prüfung vorbereiten wolle. Außerdem wittern sie, dass man in Zukunft große Schritte Richtung Schulautonomie gehen könne, weil die Ziele klar definiert seien, der Weg dorthin jedoch von der Schule vorgegeben werden könne. Durch das Überprüfen von Kompetenzen bereite man die Schüler außerdem besser auf ihr zukünftiges Leben vor und schließlich würde durch die Zentralmatura wohl auch der ganze Unterricht revolutioniert und verbessert werden.

Dass jedoch eben genannte Wünsche nicht zwingend in Erfüllung gehen müssen, sollen folgende Ausführungen zeigen:

Zur Vergleichbarkeit. Ja, es stimmt: Kevin am Neusiedler See darf genauso wie Maximilian am Bodensee eine Analyse zu Süskinds „Der Zwang zur Tiefe“ etwa schreiben. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon wieder. Denn während in Kevins Fall vielleicht eine engagierte Junglehrerin den Rotstift ansetzt, könnte sich in Maximilians Fall ein frustrierter Oberstudienrat seine bevorstehende Pension aufbessern – und nur diese. Die zwei sind natürlich Klischees, doch zeigen sie eines: Vergleichbar ist im besten Fall die Aufgabenstellung. Die Beurteilung der Umsetzung derselben bleibt nach wie vor vom Lehrer abhängig und somit sind die Noten fast genauso wenig vergleichbar wie bei der pensionierten Form der Matura.

Zur Schüler-Lehrer-Beziehung. Ja, es stimmt: Lehrer und Schüler sehen am Tag der Klausurarbeit die Aufgabenstellung das erste Mal und sie sitzen somit irgendwie plötzlich im selben Boot. Doch aus diesem steigt der Lehrer spätestens am Nachmittag wieder aus, wenn es darum geht, die Leistung des Schülers zu beurteilen. Und an einer angespannten Beziehung zwischen Schülern und Lehrern wird ein kurzer Ruderausflug auch nichts ändern. Genauso wenig übrigens wie an einer guten Beziehung.

Zur Schulautonomie. Ja, es stimmt: Wenn eine Schule es schafft, alle ihre Schäfchen am Ende der Schullaufbahn ins Trockene zu bringen, wird man ihr kaum vorschreiben wollen, wie sie das in Zukunft bewerkstelligen solle. Doch heißt es leider im Umkehrschluss auch nicht, dass eine standardisierte Matura automatisch zu mehr Schulautonomie führen wird. Diese muss man nämlich erst auf vielen Ebenen verhandeln und durchboxen. Und einfach so passiert in unseren Schulen ohnedies gar nichts.

Zur Lebensvorbereitung. Ja, es stimmt: Im Leben da draußen kommt es ganz gut an, wenn man kommunizieren, kollaborieren, denken, recherchieren, reflektieren und sich organisieren kann zum Beispiel. Doch wie ich bereits in einem anderen Blogeintrag veranschaulicht habe, dürfen wir nicht Gefahr laufen, dass alles im Leben dem Zweck der Kompetenzentwicklung dient und sich letztlich nach dem richtet, was die Wirtschaft diktiert. Ein Kunstwerk, ein Lied, einen Text, eine Begegnung muss man auch einfach wirken lassen können, ohne sofort den Drang zu verspüren, es durch besondere Transfer-Skills sofort einem Zweck zukommen zu lassen. Das hebt uns ab von anderen Lebewesen.

Zur Unterrichtsverbesserung. Ja, es stimmt, dass die Zentralmatura das Potential hat, den Unterricht zu verbessern. Wenn etwa der Lehrer Angst davor hat, als Tachinierer aufzufliegen, und seinen Schülern zur Abwechslung einmal wirklich etwas beibringt. Doch die Realität an Österreichs Schulen sieht so aus: Die vielen guten Lehrer, die es gibt, machen guten Unterricht, ganz egal, ob am Ende zentral reifegeprüft wird oder nicht. Und der „schlechte Lehrer“ wird ein schlechter Lehrer bleiben, da er ohnedies nicht Gefahr läuft, bei der Zentralmatura aufzufliegen. Warum? Weil bei ihm niemand maturiert.

Die Chance nutzen

Die Zentralmatura in ihrer bestehenden Form macht allein also noch lange keinen Frühling und schon gar keine Schulreform. Und das war auch die Aussage meiner Allegorie: Eine neue Melkmethode macht die Milch nicht besser. Dazu sollte man noch über die Ernährung, die Pflege, die Bestallung usw. der Kühe nachdenken. In anderen Worten müsste man die Klausuren auch zentral beurteilen, die richtigen Personen zu guten Lehrern ausbilden, die Idee der Schulautonomie aktiv vorantreiben, die Inhalts- und Wertevermittlung nicht ganz abschaffen und das Lehrpersonal durch Wettbewerb anspornen und wie überall kündbar machen – um nur einige Ansätze zu nennen.

Doch zu befürchten bleibt, dass sich die Bildungsmacher in Kürze selbst auf die Schulter klopfen und gegenseitig zu einer sehr erfolgreichen ersten Zentralmatura gratulieren. Doch bloß weil sie ohne größere Pannen und Peinlichkeiten über die Bühne gegangen ist, würde ich noch lange nicht von Erfolg sprechen!

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