Für den langjährigen Grünen ist der Absturz der Partei "keine Laune der Bevölkerung" gewesen. Die Führungsriege habe sich seit Jahren "von Kritik abgeschottet".
Der Tag nach einer geschlagenen Wahl hat es für gewöhnlich an sich, dass dem oder den Wahlverlierer(n) von verschiedenster Seite ausgerichtet wird, was hätte besser gemacht werden können. Oder: Wie es nun weiter gehen soll. In die zweite Kategorie fällt wohl eine Stellungnahme des Alt-Grünen Johannes Voggenhuber vom Montag.
Der ehemalige EU-Parlamentarier ortet im grünen Wahlergebnis eine selbst verschuldete "Tragödie" - laut dem vorläufigen Endergebnis rutschten die Grünen von ihren historischen 12,4 Prozent aus dem Jahr 2013 auf 3,32 Prozent ab und verpassen damit den Einzug in den Nationalrat. Die Führungsriege der Partei habe sich seit Jahren "von Kritik abgeschottet und konnte die Warnsignale nicht wahrnehmen", so Voggenhuber. Die einzige Möglichkeit, wieder auf die Beine zu kommen, "ist eine Neugründung".
Vorläufiges Endergebnis
Laut dem vorläufigen Endergebnis (ohne Briefwahlstimmen und wahlkreisfremden Wahlkarten) erhält die ÖVP 31,36 Prozent, die FPÖ 27,35, die SPÖ 26,75 Prozent, die Neos 4,96 Prozent und die Liste Peter Pilz 4,14 Prozent. Nicht im Nationalrat wären demnach die Grünen mit 3,32 Prozent.
Allerdings: Nach den Berechnungen der ARGE Wahlen sowie von SORA wird die SPÖ nach der Auszählung der Wahlkarten voraussichtlich die FPÖ noch von Platz zwei verdrängen. Auch die Liste Pilz dürfte noch etwas zulegen. Die Grünen werden trotz prognostiziertem besseren Abschneiden bei den Briefwählern den Einzug aller Voraussicht nach nicht schaffen.
Für Voggenhuber ist der dramatische Absturz der Grünen "keine Laune der Bevölkerung" gewesen. Das sehe man an den Detailergebnissen. Er sieht einen "Flächenbrand". "Wenn sie bleiben, wie sie sind", werden sie bei der nächsten Wahl "sicher nicht" wieder in den Nationalrat einziehen.
Grüne Basis "zu einem Postenkarussell" verkommen
Die Grünen hätten in den letzten Jahren einen "gewaltigen Anpassungsprozess" durchlaufen. "Man hat sich angepasst." Die innerparteiliche Demokratie sei zum erlöschen gebracht worden. Der Bundeskongress, die Basis, sei "zu einem Postenkarussell, zu einer Funktionärsversammlung" verkommen.
"Es ist bitter und eine politische Katastrophe", dass es mit dem 30-jährigen politischen Projekt, das aus der Gesellschaft entstanden sei, so weit gekommen sei. Aber es sei kein Überraschung. Dahinter stehen "jahrelange Entwicklungen". "Es ist nicht vom Himmel gefallen." Was die Grünen vor sich haben, "ist nichts weniger als eine Neugründung". Man werde sehen, ob die bisherigen Abgeordnete ohne Mandat und Geld dazu imstande sein werden.
"Schonungslose Analyse" gefordert
Voggenhuber ist natürlich nicht der Einzige, der sich zu Wort meldet. Auch der Wiener Landessprecher Joachim Kovacs plädierte für einen Neustart: "Dass es nicht so weitergehen kann, ist hoffentlich allen klar".
Abwartend zeigten sich die steirischen Grünen. Der Kärntner Rolf Holub appellierte für Zusammenhalt. "Es wird schwer genug sein, die Bundespartei wieder aufzubauen. Wir suchen Lösungen, keine Schuldigen." Die Tiroler Grünen verlangten nach einer "schonungslosen" Analyse. Am Ende des Prozesses soll dann darüber entschieden werden, ob bzw. welche Personalentscheidungen folgen sollen, sagte Geschäftsführer Thimo Fiesel. Helga Krismer, Landessprecherin der NÖ Grünen, meinte, es wäre "Personalkonsequenz genug", wenn es keine Abgeordneten der Grünen im Parlament mehr gebe. Es handle sich um eine "dramatische Situation".
Köpferollen am Dienstag?
Erste Köpfe könnten schon morgen, Dienstag, im Bundesvorstand ausgetauscht werden. Diesem Gremium gehören u.a. Bundessprecherin Ingrid Felipe, Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek, Bundesgeschäftsführer Robert Luschnik und Werner Kogler an. Am Freitag, wenn das Wahlergebnis inklusive Wahlkarten endgültig feststeht, trifft sich der Erweiterte Bundesvorstand.
Entscheidend werden für die Grünen die kommenden Landtagswahlen und damit die Frage sein, ob sie sich in den Landtagen halten können. 2018 stehen insgesamt vier am Programm: in Kärnten, Salzburg, Niederösterreich und Tirol.
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(Red./APA)