Jung, erfolgreich – und völlig ausgebrannt

Mike Lanner redet offen über sein Burn-out.
Mike Lanner redet offen über sein Burn-out.(c) Clemens Fabry
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Sie sind die Kreativen, die Start-up-Gründer, die jeder will, weil sie das Lebensgefühl einer Stadt von verstaubt in angesagt verwandeln können. Doch in der Szene warnen einige: Zu viele junge Unternehmer stehen am Rande eines Zusammenbruchs.

Forrest Gump kommt das erste Mal im Juni 2014 zu Besuch. Schon in der Früh merkt Mike Lanner, dass etwas mit ihm nicht stimmt. In der U-Bahn auf dem Weg ins Büro kann er keinen klaren Gedanken fassen. An seinem Schreibtisch im Impact Hub Vienna im siebenten Bezirk fühlt er sich eingesperrt. Alles eng, viel zu heiß. Wenig später passiert es. Er hat das Gefühl, als breite sich Flüssigkeit in seinem Körper aus. Der Hals kribbelt, das Herz schlägt so wild, als würde es gleich explodieren. Mike Lanner hat Angst, panische Angst, dass jetzt alles vorbei sein könnte. Ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt, das letzte Mal bei klarem Verstand.

Er beginnt zu laufen. Vom siebenten Bezirk in den Augarten im zweiten. 5,4 Kilometer, eine Stunde ist das zu Fuß. Lanner wohnt gleich neben dem Park. Im Augarten dreht er weitere Runden. Eine, zwei, drei Stunden lang. Wie Tom Hanks als Forrest Gump im gleichnamigen Film läuft er, weil er offensichtlich ein Problem hat. Aber Lanner versteht sein Verhalten nicht, er weint, ist verzweifelt. Erst nach vier Stunden hat er sich soweit beruhigt, dass er in seine Wohnung zurückkehren kann.

An seinem Schreibtisch im Büro wundert sich Moriz Piffl, mit dem er die Gebrüder Stitch gegründet hat, warum es so aussieht, als hätte sein Kollege seinen Arbeitsplatz fluchtartig verlassen. Was beide zu dem Zeitpunkt nicht wissen: Mike Lanner hat soeben seine erste Panikattacke erlebt.

Biologisch gesehen beginnt eine Panikattacke, bevor es der Betroffene überhaupt merkt. Das Gehirn bewertet eine Situation als gefährlich und sendet eine Botschaft an alle Organe. Schlag schneller, Herz, atme schneller, Lunge, spann dich an, Muskulatur. Die Organe melden zurück: Machen wir. Das Gehirn sagt: Das reicht nicht. Das schaukelt sich so lange auf, bis der Betroffene das Gefühl hat, auf allen Ebenen die Kontrolle zu verlieren, erklärt der Arzt und Psychoonkologe Markus Jahn, der zahlreiche Investoren, Start-up-Gründer, aber auch Ministerien berät.

Auch der heute 38-jährige Mike Lanner hat die Anzeichen nicht erkannt. Mit seiner Firma Gebrüder Stitch zählen er und sein Co-Gründer Piffl zur jungen urbanen Elite im Land. Jener Gruppe an Unternehmern, die eine Stadt dringend braucht, um ihr Image von langweilig und konservativ in angesagt, innovativ und aufstrebend zu verwandeln. Die Jeans der Gebrüder Stitch werden bio und nach Maß in Österreich produziert – und wurden innerhalb kürzester Zeit bekannt. Zum schnellen Erfolg gebracht hat das Duo sicher auch sein freches Marketing. Wer nennt sein Geschäft schon „Arschsalon“. Nach außen machen die Gebrüder Stitch alles richtig. Was hinter den unbekümmerten pink-gelben Stitch-Slogans nicht zu sehen ist: Im Hintergrund läuft vieles nicht so toll. Jeans in Österreich zu produzieren ist eine ehrbare, aber wirtschaftlich schwierige Aufgabe. Die Produktionskosten sind hoch. Um mehr als eine Hinterhofschneiderei zu sein, müssen sie mehr Jeans verkaufen und effizienter produzieren. Doch eine Expansion kostet zuerst einmal Geld. Investoren werden an Bord geholt. Es geht um Beträge im siebenstelligen Bereich. Just als das jahrelange Suchen und Werben nach Investoren geschafft ist, fällt Lanner aus. Diagnose: generalisierte Angststörung. Burn-out.

Plötzlich erzählen auch andere

Heute weiß er, anderen geht es genauso. „Auf einmal packen Menschen aus, von denen du nie gedacht hast, dass es sie betrifft.“ Menschen wie er: Manager, Gründer, Unternehmer, viele davon jung, kreativ, erfolgreich, von anderen bewundert. Gerade die schnelllebige heimische Start-up-Szene ist betroffen – dort beginnen auch die Ersten Alarm zu schlagen. Gründer berichten von Burn-outs, Nervenzusammenbrüchen – bis hin zu Selbstmordversuchen ihrer Kollegen. Trauriges internationales Beispiel ist der 31-jährige Amerikaner Austen Heinz vom Start-up Cambrian Genomics, der sich 2015 das Leben nahm.

„Nach den fünf Jahren, die es die Szene ungefähr gibt, macht sich eine gewisse Erschöpfung bemerkbar“, sagt Andreas Tschas, Mitgründer der renommierten Wiener Start-up-Konferenz Pioneers. „Es ist auch logisch, man kann nicht jahrelang mit 200 km/h auf der Autobahn fahren.“ Ein typischer Gründer stehe ständig vor neuen Herausforderungen, die er das erste Mal meistern muss. „Dann wachsen die Unternehmen, haben auf einmal 20 Mitarbeiter und Kapital im Millionenbereich. Das führt notwendigerweise zu Stress. Vor allem, wenn man nach außen hin ständig gut gelaunt und positiv sein soll“, sagt Tschas. Doch während im Ausland das Problem bereits langsam angesprochen wird, „ist es in Österreich noch immer tabu“.

Dabei sind es just die Stärken der Jungunternehmer, die auch ihre Schwachstellen sind, wie Burn-out-Experte Markus Jahn erklärt: Begeisterung und Neugierde. Jahn geht von zehn Grundemotionen (wie Liebe, Neugierde, Begeisterung, Trauer, Ärger, Ekel etc.) aus, die in Wechselwirkung zueinander stehen und auf einer Skala von null bis zehn (Kontrollverlust) ausgeprägt sind. Die Bereiche zwischen drei bis sechs hält der Mensch lange durch. Ab sieben, sagt Jahn, beginnt der Körper zu reagieren. Menschen, die für eine Idee brennen, seien mit ihrer Begeisterung aber grundsätzlich auf einem Level sieben oder acht einzuordnen. „Sonst könnten sie gar nicht andere Menschen wie Investoren an Bord holen und von ihren Ideen überzeugen.“

Ergo macht sich die erhöhte Spannung irgendwann körperlich bemerkbar. Wer nicht lernt, sein hohes Spannungslevel dauerhaft „funktional zu regulieren“, wie Jahn sagt, der steigt bis zum Zusammenbruch immer höher in der Skala. Hat nur mehr eine Sache im Blick. Isst nicht genug, schläft nicht genug, lässt soziale Kontakte schleifen. „Ein wichtiges Frühwarnsystem beim Burn-out ist der Bruch von Beziehungen.“ Wenn diese nicht mehr klappen, dann stimmt etwas nicht. Wie groß das Problem ist, zeigen Zahlen. Jährlich verzeichnet die Psychiatrie in Österreich 30 Prozent an Neuerkrankungen. Die Dunkelziffer nicht mitgerechnet.

Anerkennung durch Leistung

Mike Lanner sagt heute, dass es bei ihm nicht der Druck der Investoren, sondern sein eigener Selbstwert und falsch eingelernte Glaubensätze gewesen seien, die ihn aus der Bahn geworfen hätten. „Es geht um Druck, den man sich selbst im Kopf macht“, sagt er. Von jeher habe er gelernt, dass er Anerkennung durch Leistung bekomme. Als Unternehmer wollte er der „Supermanager“ sein. Einer, der alle Probleme löst und dabei auch noch die Mitarbeiter bei Laune hält. Sein Mund verzieht sich unter dem Bart zu einem Grinsen, als er das erzählt.

Denn irgendwann konnte auch der Supermanager nicht ausgleichen, dass die Firma nach der langen Investorensuche im operativen Bereich in eine Schieflage geschlittert war. Lanner reagiert, wie er gelernt hat, zu reagieren. Allein. Anstatt die Arbeit abzugeben, reißt er alles an sich. Er will die ohnehin schon kleine Firma neu strukturieren, zeichnet Organigramme, macht stundenlange Meetings. Und erzeugt dadurch noch mehr Probleme. Die Mitarbeiter sind irritiert. Fragen sich, warum der Chef ihnen noch mehr Arbeit aufhalse, wo doch schon jeder am Anschlag stehe. „Da hast du dann genau den gegenteiligen Effekt. Ich will Bindung, sie reagieren mit Abwehr“, sagt Lanner. Heute weiß er, wenn er wieder anfängt, Strukturmeetings zu planen, ist Feuer am Dach.

Nach seiner ersten Panikattacke holt er sich Hilfe bei Jahn, den er noch aus der Schule kennt. An Arbeiten ist nicht zu denken. Er sitzt stundenlang und schreibt Notizbücher voll. Analysiert sich und sein Verhalten. Noch heute greift er zum Notizbuch, wenn er im Café warten muss. Denn die Zwangspause verstärkt die Panikattacken nur. Wer seinen Selbstwert über Leistung definiert, hat ohne Arbeit ein Problem. Burn-out, sagt Lanner, sei ohnehin das falsche Wort gewesen. Er hatte zu viel Energie. An normalen Tagen, sagt er, fühlte er sich wie vor der Matura, bei der Panikattacke so, als stünde ein wilder Bär vor ihm. In der Nacht kann er nicht schlafen.

Anderen bleibt in solchen Momenten die Luft weg, so wie Ali Mahlodji, Gründer der heute erfolgreichen Jobfinderplattform Whatchado. Damals, mit 27 Jahren, als er noch in einem schnell wachsenden Tech-Unternehmen als Manager tätig war. „Ich hatte Geld, ein geile Autos und Erfolg“, sagt er. Und trotzdem immer wieder in Situationen das Gefühl, zu ersticken. „Innerlich hatte ich die ganze Zeit Angst, nicht gut genug zu sein.“

Was willst du eigentlich?

Als ihn sein Therapeut fragt, was er eigentlich im Leben erreichen wolle, kennt er keine Antwort. Tagelang ist er völlig überfordert, bis er die Ziele aufschreibt. Danach kündigt er seinen Job, fängt in einem Kreativunternehmen an, arbeitet 60 Stunden pro Woche, verdient nur mehr die Hälfte und ist trotzdem glücklich. Heute führt der 35-Jährige erfolgreich Watchado, aber ist ein Kritiker der heimischen Start-up-Szene.

Auf Events lässt er sich selten blicken. Er mag die Stimmung nicht. Alles gehe nur mehr um Skalierbarkeit, Wachstum, Investments. Ein Freund sei unlängst ins Krankenhaus eingeliefert worden, weil er eine Grippe ignorierte. Auf einer Start-up-Konferenz im Ausland sieht er übergewichtige Menschen mit kreisrundem Haarausfall. „Ich finde Gründen super, aber viele übersteuern, weil sie damit nicht umgehen können.“ Mittlerweile hält er Vorträge zum Thema Burn-out. Auch weil ihn die Antworten, die ihm viele Gründer geben, entsetzen. Auf die Frage: „Wie entspannst du?“ hört er: „Mit einer Meditations-App“. Auf die einfache Frage: „Wie geht es dir?“ fangen manche zu weinen an. Gemeinsam mit Markus Jahn will er nun dessen Burn-out-Wissen in verschiedene Communitys tragen. Diese zu mehr Achtsamkeit bewegen. Zielgruppen sind Start-ups, aber auch die Lehrer in Schulen, in die Mahlodji zur Beratung geholt wird.

Erneute Krise nach einem Jahr

Mike Lanner kehrt im Oktober 2014 nach drei Monaten wieder in die Arbeit zurück. Der Durchbruch sei gekommen, als er begriffen habe, dass er bei jeder Panikattacke etwas Neues über sich selbst lerne, erzählt er. Doch das Thema holt ihn etwas mehr als ein Jahr später, im März 2016, wieder ein. Er hat die Anzeichen, das Zucken in den Augen, die zahlreichen Strukturmeetings ignoriert. Er ruft seinen Mitgründer Moriz Piffl an und sagt: „Forrest Gump ist wieder da.“

Der versteht sofort. Dieses Mal ist der Abschied Lanners endgültig. Er beendet seine Tätigkeit als Geschäftsführer. „Ich hätte nicht gedacht, dass es mich noch einmal so erwischen wird“, sagt er. Das ist jetzt neun Monate her. Im neuen Jahr will er sich wieder selbstständig machen. Ideen, sagt er, gebe es genug. Die Gebrüder Stitch sind in der Zwischenzeit in Konkurs gegangen, sein Kollege Moriz Piffl hat die Firma ohne ihn wieder aufstehen lassen.

So wie Mahlodji und Jahn will auch Lanner das Thema Burn-out enttabuisieren. Weil er ein Problem sieht. Weil es so viele in seinem Umfeld betrifft. Gerade in der Generation X, wo es kein Ventil mehr für negative Gefühle gebe. „Schwäche ist kein Teil des Managerbildes. Ich glaube, es gehört dazu“, sagt Lanner. Auf seiner Homepage mikelanner.com können sich Unternehmer, die ebenfalls von einem Burn-out betroffen sind, zum Austausch bei ihm melden. Denn das offene Reden über Forrest Gump, sagt er, das habe ihm von Anfang an geholfen.

Anlaufstelle

Mike Lanner hat gemeinsam mit Moriz Piffl die Jeans-nach-Maß-Schneiderei Gebrüder Stitch gegründet. Nach einem Burn-out ist er ausgestiegen. Unter mikelanner.comkönnen sich Unternehmer, die ebenfalls von Burn-out betroffen sind, zum Austausch und für Ratschläge bei ihm melden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2016)

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