Gefängnisse keine Brutstätte für radikalislamistisches Gedankengut

Die Presse/Stanislav Jenis
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Eine vom Justizministerium in Auftrag gegebene - und mit Verspätung veröffentlichte - Studie zeichnet ein trauriges Bild des Umfelds von Jugendlichen, die zu IS-Sympathisanten wurden. Die Radikalisierung in Justizanstalten sei lediglich "eine Art Randerscheinung"; persönliche Kontakte spielten eine große Rolle.

Gefängnisse sind keine Brutstätte für radikalislamistisches Gedankengut, sondern stellen im Prozess der Radikalisierung "eine Art Randerscheinung" dar. Eine zentrale Rolle spielen dabei persönliche Kontakte. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (Irks), die das Justizministerium am Donnerstag auf seiner Homepage veröffentlicht hat.

Die Mehrheit der wegen Terrorismusdelikten verurteilten Straftäter war zuvor nicht in Haft, kann also nicht in Justizanstalten radikalisiert worden sein, heißt es im 63-seitigen Endbericht des Irks. Der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) hatte nach der Festnahme eines damals 17 Jahre alten Jugendlichen im Jänner 2017, der für die Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) Terror-Anschläge geplant beziehungsweise dazu angestiftet haben soll, die Studie in Auftrag gegeben. Der mittlerweile 19-jährige Wiener wurde vor kurzem nicht rechtskräftig zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Studie war fertig - wurde aber nicht veröffentlicht

Fertiggestellt wurde die Studie bereits im November 2017. Veröffentlicht wurde sie erst jetzt. Die Neos hatten im Februar in einer parlamentarischen Anfrage wissen wollen, warum die Studie bisher nicht publik wurde. Die Frist zur Beantwortung dieser Anfrage läuft am 28. April ab.

Ziel der Studie war es, die Ursachen und den Verlauf der Radikalisierung von insgesamt zehn Jugendlichen und jungen Erwachsenen - darunter zwei Frauen - nachzuzeichnen, die großteils in Österreich aufgewachsen sind. Allesamt wurden sie zu IS-Sympathisanten und in weiterer Folge wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) verurteilt. Dazu wurden auch Gespräche mit Bezugs- und Betreuungspersonen im Umfeld der Jugendlichen geführt.

Persönliche Kontakte spielen zentrale Rolle

Das Entfachen eines Radikalisierungsprozesses beziehungsweise die Rekrutierung erfolge bei jungen Menschen in Österreich zumeist über den Freundeskreis, über charismatische Persönlichkeiten, die sich in einschlägig bekannten Moscheen aber auch Parks aufhalten, sowie über Internetplattformen beziehungsweise Chats mit Dschihadisten vor allem aus Syrien und Irak. Persönliche Kontakte spielten im gesamten Radikalisierungsprozess eine zentrale Rolle.

Eine alleinige Radikalisierung über das Internet erfolgte jedoch nicht. Moscheen spielten ausschließlich für junge Männer eine Rolle. Für die Studienautoren ergab sich dabei weniger das Bild einer straff organisierten Kaderorganisation, sondern vielmehr ein politisch-salafistisches Milieu verschiedener, durchaus miteinander rivalisierender Moscheen. In denen hätten Rekrutierer auf Jugendliche und junge Erwachsene getroffen, die bereit gewesen seien, sich weiter zu radikalisieren und konkret für den Kampf in Syrien oder terroristische Pläne in Europa mobilisieren zu lassen.

Gescheiterte Resozialisierung als Entscheidungsgrund

Bezogen auf einen jungen Befragten wird in der Studie angeführt, man könne nicht verhindern, in Haft mit IS-Propaganda in Berührung zu kommen. Hier wird von den Studienautoren Veronika Hofinger und Thomas Schmidinger untermauert, dass "eine Inhaftierung als persönliche Krise erlebt wird und in einer Krise die Offenheit für radikale Ideen größer ist". Einzelhaft sehen die Studienautoren kritisch. Diese Maßnahme könne zwar einerseits die Radikalisierung von Mithäftlingen verhindern, andererseits bei der isolierten Person eine weitere Radikalisierung bewirken. Jene Befragten, die bereits einmal eine Haftstrafe verbüßt haben, seien dabei alle mit extremistischen Personen oder radikalem Gedankengut in Berührung gekommen oder zumindest zu einem politisch-salafistischen Islam konvertiert.

Die Entscheidung für die extremistische Ideologie und die Begeisterung für den IS stünden laut Studie wahrscheinlich mit einer gescheiterten Resozialisierung nach der Haft, insbesondere mit negativen Erfahrungen am Arbeitsplatz, einer möglichen Abschiebung oder Duldung in Zusammenhang, und werden durch virtuelle "Freunde" und radikale Prediger im Internet sowie in Moscheen angefeuert. Laut den Autoren bestehe in keinem der untersuchten Fälle ein einfacher Ursache-Wirkung-Zusammenhang in dem Sinne, wonach auf eine Radikalisierung in Haft nach der Entlassung unmittelbar terroristische Aktivitäten gefolgt wären.

Ausgrenzungserfahrungen bestärkten muslimische Identität

Bis auf eine Person hatten alle in der Studie berücksichtigten Jugendlichen Migrationshintergrund, stammten aus einem bildungsfernen und einkommensschwachen Milieu und hätten aufgrund fehlender Integrationsmaßnahmen, mangelnder Deutschkenntnisse der Eltern und Perspektivlosigkeit große Fremd- und Außenseitererfahrungen erlebt. Diese Ausgrenzungserfahrungen könnten zu einer verstärkt ausgeprägten muslimischen Identität beitragen. Religion spiele dabei eine untergeordnete Rolle.

Die Position der Eltern in der österreichischen Gesellschaft war in fast allen Fällen denkbar schlecht. Die Jugendlichen selbst hatten höchstens einen Hauptschulabschluss, keiner hatte eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die familiären Hintergründe waren geprägt von Gewalt, fehlenden Vätern, früher Traumatisierung und Bindungsstörungen, schweren Krankheiten und Scheidung.

(APA)

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