Fall Kampusch: Ermittlungen gegen fünf Staatsanwälte

Natascha Kampusch
Natascha Kampusch(c) Die Presse (Teresa Zötl)
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Die Staatsanwaltschaft Innsbruck geht dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs gegen fünf teils hochrangige Ankläger nach: Wurden bei der Klärung des Entführungsfalles Kampusch Ermittlungsergebnisse vernachlässigt?

Wien. Brisante Entwicklung im Entführungsfall rund um Natascha Kampusch: Gegen fünf teils hochrangige Staatsanwälte wird wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs ermittelt. Die Führung des Verfahrens obliegt der Staatsanwaltschaft Innsbruck. Basis der Ermittlungen ist jene umfassende „Sachverhaltsmitteilung", die der frühere Präsident des Obersten Gerichtshofes Johann Rzeszut Ende September an die fünf Klubobleute des Parlaments geschickt hatte (Nachlese ...). Demnach haben die zuständigen Staatsanwälte „konsequent und beharrlich entscheidende polizeiliche Ermittlungsergebnisse vernachlässigt".

Rzeszut war insofern mit der Aufarbeitung des Jahrhundert-Falles betraut, als er Mitglied der vom Innenressort eingesetzten Kampusch-Evaluierungskommission (Vorsitz: Ex-Verfassungsgerichtshof-Präsident Ludwig Adamovich) war. „Wir sind noch am Anfang, derzeit prüfen wir, welche Akten wir brauchen", erklärte am Dienstag der Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck, Hansjörg Mayr.

Das Ermittlungsverfahren wegen Amtsmissbrauches laufe gegen jene fünf Anklagevertreter, die in dem Rzeszut-Schreiben genannt seien. Das Schreiben liegt der „Presse" vor. Demnach ist unter anderem der Leiter der Oberstaatsanwalt Wien, der seinerzeit ranghöchste Anklagevertreter für die Klärung des Entführungsfalles Kampusch, Werner Pleischl, betroffen. Weiters laufe das Verfahren auch gegen „unbekannte Täter". Wenngleich nun Staatsanwälte gegen ihre eigenen Berufskollegen ermitteln, verspricht Mayr „selbstverständlich eine objektive Überprüfung der Vorwürfe".

"Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens"

Hier ein Überblick über die gravierenden Vorwürfe, die Ex-OGH-Präsident Rzeszut erhebt - er schreibt wörtlich von „fachlich plausibel nicht zu erklärenden Besonderheiten des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens":

1.) Die schon erwähnte „Vernachlässigung" kriminalpolizeilicher Ermittlungsansätze. Hier verweist der pensionierte Höchstrichter vor allem auf jene seinerzeit zwölfjährige Zeugin, die bei sechs verschiedenen Einvernahmen durchgängig angegeben hatte, am Tag der Entführung von Natascha Kampusch, 2. März 1998, zwei Männer in einem weißen Transporter gesehen zu haben. Kampusch selbst spricht nur von einem Mann, nämlich von Entführer Wolfgang Priklopil, der sich am 23. August 2006, nach der Flucht seines Opfers, das Leben nahm.

Erst am 3. Dezember 2009, nach einer Gegenüberstellung mit Kampusch, räumte die Zeugin ein, dass sie sich geirrt haben könnte. Soko-Leiter Oberst Franz Kröll - er nahm sich mittlerweile das Leben - habe an diesem 3. Dezember im Gegensatz zu seinen eigentlichen Bestrebungen an einer „objektiv pflichtwidrigen Gegenüberstellungsfarce" mitgewirkt. Ihm sei seitens der Anklagebehörden die rasche Beendigung des Entführungsfalls nahe gelegt worden. Bis heute wurde die Zeugin noch nie justiziell (von einem Staatsanwalt oder einem Richter) einvernommen.

2.) „Langfristige Verzögerung bzw. bis zuletzt gänzliche Unterlassung nachhaltigst indizierter wesentlicher Ermittlungsschritte." So habe unter anderem Pleischl an einer „ermittlungsstrategischen" Besprechung am 30. April 2008 teilgenommen. Herausgekommen sei, dass das (bereits eingestellte, Anm.) Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen werden sollte. Wochen später sei dann aber dem Justizministerium berichtet worden, dass man keinen fallbezogenen Ermittlungsbedarf sehe.

3.) „Wesentliche und langfristige Behinderung der vom Innenressort angeordneten Evaluierung sicherheitsbehördlicher Ermittlungsnamßnahmen." Der Adamovich-Kommission wurde die Einsichtnahme in die Kampusch-Einvernahmeprotokolle verwehrt.

4.) „Mediale Verbreitung krass wahrheitswidriger Informationen." So sei etwa im Sommer 2009 verlautet worden, die Polizei habe in mehreren Monaten „nur eine einzige Einvernahme" durchgeführt. Tatsächlich, so Rzeszut, seien aber vom 4. Februar bis 14. Juli 2009 insgesamt sechs Zwischenberichte an die Anklagebehörden erstattet worden. Diesen Berichten lagen 102 Befragungen und zwei Zeugeneinvernahmen zugrunde.

5.) „Sachlich nicht vertretbare Druckausübung" auf Soko-Leiter Franz Kröll. Dieser habe sich beklagt, dass ihm „unmissverständlich nahe gelegt" worden sei, den Akt endlich zu schließen.

Neuer Anlauf für Kampusch-Ermittlungen?

Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Werner Pleischl, der sich nun in der Rolle eines Verdächtigen wiederfindet, erklärt im Gespräch mit der „Presse": „Nach meinen Informationen hat Rzeszut gar keinen strafrechtlich relevanten Verdacht geäußert." Dafür, dass nun aber ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs gegen ihn und andere Berufskollegen laufe, habe er dennoch „Verständnis". „Ich verstehe, dass man sehr genau sein will und eine dritte Staatsanwaltschaft einschaltet." Zur Erklärung: Schon in die Erhebungen zum Entführungsfall selbst waren zwei Anklagebehörden, Wien und Graz, involviert.

Er habe auch nichts zu verbergen, so Pleischl. Stimme das Justizministerium zu, so sei er sofort bereit, etwa die beiden umfangreichen Berichte, die er in Sachen Kampusch an Justizministerin Claudia Bandion-Ortner übermittelt hatte, zu veröffentlichen.

Spannend wird auch die Frage, ob die bereits ad acta gelegten Kampusch-Ermittlungen noch einmal aufgenommen werden - etwa noch einmal in Richtung Mehrtäter-These. Klar ist: Wenn Innsbruck der Ansicht ist, dass noch Fragen offen sind, ist eine Wiederaufnahme möglich. Laut Strafprozessordnung könnte - bei bedeutsamen Straftaten - auch ein unabhängiger Ermittlungsrichter (und nicht ein weisungsgebundener Ankläger) mit dem Fall betraut werden. Wenn etwa die Zeugin, die (zumindest nach mehrfachen ursprünglichen eigenen Angaben) von zwei Männern in dem Entführungs-Fahrzeug gesprochen hatte, erstmals von einem Richter einvernommen würde - und wieder ihre früheren Angaben bestätigen würde, müsste wohl das Paket „Kampusch-Ermittlungen" noch einmal aufgeschnürt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2010)

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