Nach der Räumung des Flüchtlingscamps vor der Votivkirche: Landau und Chalupka sind enttäuscht von der Regierung. Die Sprecher der Flüchtlinge drängen auf eine Lösung ihrer Situation. Das Innenministerium sieht alle Vereinbarungen des Runden Tischs erfüllt.
Für die Erzdiözese Wien kommt eine Räumung der Wiener Votivkirche, in der sich weiterhin rund 40 Flüchtlinge aufhalten, derzeit nicht in Frage. Dies wurde am Freitag klar, als nach der Räumung des "Protestcamps" im Votivpark eine Art ökumenischer Gipfel in der Kirche stattfand. "Eine Räumung in der jetzigen Situation schließen wir aus", sagte der Wiener Bischofsvikar Dariusz Schutzki. Die Caritas drängt ebenso wie die Diakonie die Politik zum Handeln, und die Flüchtlinge selbst artikulierten ihren Wunsch, mit den politischen Entscheidungsträgern in Dialog zu treten.
Schutzki sowie der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau und Diakonie-Chef Michael Chalupka ließen sich demonstrativ inmitten der Flüchtlinge nieder. Auch der Superintendent der evangelischen Kirche, Hansjörg Lein, fand sich ein. Die Kirchenvertreter erörterten mit den Flüchtlingen die Lage, die Camp-Räumung war dabei indes höchstens am Rande Thema.
Es ist so, als ob es nie dagewesen wäre. Dort, wo bis gestern in der Früh noch das Asyl-Protest-Camp vor der Votivkirche gestanden ist, sind nur mehr hellgrüne Grasnarben zu sehen. Der Abdruck der abgerissenen Zelte. Regen wird wohl auch den bald verwischen. VON EVA WINROITHER AKS-Wien/Julia Spacil
Um vier Uhr in der Früh in der Nacht auf Freitag hat die Polizei begonnen, das Camp im Sigmund-Freud-Park zu räumen. Mit geringer Vorwarnung. Dafür mit der gesamten demonstrativen Macht der Exekutive. APA-FOTO: POLIZEI
Augenzeugen berichten von mehr als 20 Polizeiautos, die die ganze Straße vor der Votivkirche verstellt haben. „Ungefähr 200 Polizisten haben dann in Kampfmontur den Park belagert“, sagt eine junge Aktivistin, die seit dem Beginn der Proteste dabei ist. APA-FOTO: POLIZEI
Eine Gruppe Aktivisten stehen um zirka neun Uhr Vormittag im strömenden Regen vor der Votivkirche. Sie können selbst nicht in die Kirche hinein, jegliches Klopfen an der massive Kirchentür aus Holz bleibt ungehört. Ihre Gesichter sind müde. Sie wissen nicht, wie es weiter geht. Eva Winroither (Die Presse)
„Mitten in der Nacht ist die Nachricht von einer Caritas-Helferin gekommen, dass das Camp geräumt wird, da bin ich rausgerannt“, erzählt Julian, der seit Wochen die Hungerstreikenden in der Kirche unterstützt und selbst zur Campräumung in der Kirche war. Eva Winroither (Die Presse)
Laut Aussendung der Aktivisten wurden die Menschen vor der Kirche lediglich auf Deutsch informiert, dass das Camp innerhalb von fünf Minuten zu räumen sei. Eva Winroither (Die Presse)
Aktivisten, Flüchtlinge wurden neben das Zelt gestellt und fotografiert. Mindestens vier Leuten seien Verwaltungsstrafen angekündigt. Dann seien LKWs auf den Platz – und Bauarbeiter und Polizei hätten begonnen das Inventar zu zerstören. „Ein Bagger hat mit einer Greifzange die Zelte genommenen und alles in einen LKW geworfen“, erzählt eine Aktivistin. Drei Flüchtlinge, die den Info-Stand betrieben haben, seien bis jetzt abgängig. Eva Winroither (Die Presse)
Die Flüchtlinge in der Kirche (sie befinden sich seit mehreren Tagen im Hungerstreik) seien von der Räumung unmittelbar nicht betroffen gewesen. „In der Kirche verkündete eine Mitarbeiterin der Caritas, dass die Polizei ohne Zustimmung des Pfarrers nicht in die Kirche dürfe. Jene, die die Kirche verlassen wollen, könnten gehen, sie würden aber nicht mehr hinein gelassen werden“, heißt es in der Aussendung. Eva Winroither (Die Presse)
Körperliche Gewalt sei an niemanden angewendet worden, erzählt die Gruppe vor der Kirchentür. Der Schreck und die Angst sitze dennoch alle in den Gliedern. „Ich bin heute nicht so belastbar“, sagt Julian entschuldigend. Eva Winroither (Die Presse)
In der Kirche selbst ist die Stimmung gedrückt. Um zirka zehn Uhr ist der Direktor der Caritas Wien Michael Landau sowie der Bischofsvikar Dariusz Schutzki und Michael Chalupka, Chef der Diakonie, zu einem Lokalaugenschein gekommen. So können auch die Aktivisten zum ersten Mal wieder in die Kirche. Auf einem Matzratzenlager liegen die Asylwerber in dicke Decken und Schlafsäcke gehüllt. Vorwiegend Männer, viele sind verkühlt, sie husten immer wieder. Eva Winroither (Die Presse)
Landau und Schutzki sind selbst erst in der Nacht von der Räumung informiert worden. „Es war eine Überraschung“, sagt Landau während er in die Kirche geht. Der Bischofsvikar spricht von einem „einzelnen Schlag der Polizei“. Eva Winroither (Die Presse)
Die Asylwerber in der Kirche dürfen laut Schutzki dort auch bis auf weiteres bleiben. „In der jetzigen Situation schließen wir eine Räumung aus“, sagt Schutzki nach dem Gespräch mit den Asylwerbern. Die Männer in der Kirche sind trotzdem verunsichert. Sie berichten von Drohungen der Polizei am Kirchentor. „Niemand hat eine Lösung für uns“, sagt ein Mann. Sie wollen weiter, dass ihre Forderungen durchgesetzt werden. Eva Winroither (Die Presse)
Sowohl Michael Chalpuka von der Diakonie als auch Landau appelieren nun an Politiker, sich mit den Forderungen der Asylanten auseinanderzusetzen. Ein Runden Tisch an dem Vertreter der Caritas (sie betreuen die Asylwerber), Regierung, Kirche und Asylwerber hatte davor keine Ergebnisse gebracht. Eva Winroither (Die Presse)
„Es hat geheißen, wir bleiben im Gespräch, aber da ist nichts passiert“, sagt Landau. Chalupka formuliert es anders. „Die Flüchtlinge wollen mit den Zuständigen Politikern reden. Da fällt niemandem einen Zacken aus der Krone, das zu tun.“ Eva Winroither (Die Presse)
Gedrückte Stimmung in Votivkirche
Das Zeltlager im Sigmund Freud Park vor der Kirche wurde am Freitag frühmorgens von der Polizei geräumt. Nach Angaben der Polizei gab es keinen Widerstand und keine Verletzten. Die Asylwerber in der Votivkirche waren von dieser Aktion nicht betroffen.
Flüchtlinge: "Wir brauchen eine Lösung"
Die Sprecher der Flüchtlinge drängten auf eine Lösung ihrer Situation. Man wolle keine Unruhe stiften, betonte einer. "Wir kommen, um Hilfe zu suchen. Wir brauchen eine Lösung." Der Caritas und den Johannitern sei man für die Betreuung dankbar. Man brauche aber die Möglichkeit, direkt mit den Zuständigen in der Politik zu sprechen. Die Flüchtlinge fordern unter anderem bessere Standards in der Unterbringung und wollen vor allem "für sich selbst sorgen", sprich, eine Arbeitserlaubnis.
Sechs der Votivkirchen-Flüchtlinge sind am Freitag zumindest vorübergehend ins Krankenhaus gebracht worden. Das bestätigte Caritas-Wien-Sprecher Klaus Schwertner. Grund seien Kreislaufprobleme gewesen, die Betreffenden seien kollabiert. Voraussichtlich werde eine ambulante Behandlung nötig sein bzw. die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme sei noch nicht geklärt.
Die Presse (Winroither)
Landau und Chalupka versicherten den Flüchtlingen, von denen mindestens 14 im Hungerstreik sein sollen, dass man laufend versuche, der Regierung den Ernst der Lage klar zu machen. Eine Lösung in kurzer Zeit sei allerdings schwierig, gab Landau zu bedenken.
Sowohl Landau als auch Chalupka zeigten sich enttäuscht, dass nach dem sogenannten "Runden Tisch" zur Causa, an dem auch Vertreter von Innenministerium und Bundeskanzleramt teilgenommen hatten, nichts weitergegangen sei. Der Wunsch, in weitere Gespräche über asylpolitische Fragen zu treten, sei ohne Konsequenzen verhallt. "Aus unserer Sicht ist klar, dass das inhaltliche Gespräch zu diesen Themen noch zu führen ist", hielt Landau fest.
Auch Chalupka verwies auf den Wunsch der Flüchtlinge, "mit den Zuständigen" zu reden. "Da fällt keinem ein Zacken aus der Krone", meinte er in Richtung Regierung. Diese "schaut zu, wie die Kirche ein Problem hat", die Verantwortlichen würden sich die Geschehnisse in der Votivkirche "erste Reihe fußfrei" geben.
Schutzki sprach von einer "verfahrenen" Situation. Eine Räumung - die nur auf Antrag der Kirche möglich wäre - stehe jedenfalls nicht im Raum. Die Kirche versuche, "Sprachrohr" zu sein. "Doch die nächsten Schritte liegen bei der Politik." Die Gemeinde der Pfarre zum Göttlichen Heiland "unterstützt ihren Herrn Pfarrer", betonte der Bischofsvikar zudem.
Von Seiten des Innenministeriums hieß es am Freitag nach der Räumung des Camps zur APA erneut, man habe alle Vereinbarungen, die im Rahmen des Runden Tisches vergangene Woche getroffen worden waren, erfüllt. Es sei offen, ob es der Caritas - mit der man den "Hauptkontakt" in der Sache halte - gelinge, dass "alle Beteiligten" die Beschlüsse einhalten. Von Seiten der Flüchtlinge war weder das Angebot des Innenministeriums, in ihre Grundversorgungsquartiere zurückzukehren, noch jenes der Caritas zur Übersiedlung in ein Notquartier angenommen worden.