Höchste Pandemie-Warnstufe nur noch Frage der Zeit?

Symbolbild: Schweinegrippe
Symbolbild: Schweinegrippe(c) REUTERS (Issei Kato)
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Die Weltgesundheits-Organisation hat die Pandemie-Warnstufe fünf ausgerufen. Europas Seuchenkontroll-Zentrum rechnet mit der höchsten Stufe, sechs. Die EU-Kommission erwartet Tote auch in Europa.

Im Kampf gegen die sogenannte Schweinegrippe hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die zweithöchste Warnstufe auf der sechsteiligen Skala ausgerufen. Das EU-Seuchenkontrollzentrum (ECDC) erwartet, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die höchste Warnstufe ausgegeben wird. "Wenn man einmal Stufe fünf erreicht hat, geht man in Richtung Stufe sechs", erklärte Donnerstagnachmittag Angus Nicoll, Chef des ECDC-Influenza-Programm.

Eine Pandemie sei de facto "unvermeidlich", betonte Nicoll. Entscheidend sei die Schwere der Erkrankungen. Alles sei möglich, doch: "Im Vergleich zu der Influenza in den Jahren 1918/1919 schaut es nicht so schlecht aus. Das ist die Situation im derzeitigen Moment. Aber man muss auch sagen, dass jedes Jahr in der EU rund 40.000 Menschen an der Influenza sterben."

Die WHO sieht nach eigenen Angaben derzeit keine Veranlassung für die Ausrufung der höchsten Warnstufe. "Wir haben keinen Beleg, der uns dazu veranlassen würde, zur Phase sechs überzugehen", sagte der stellvertretende WTO-Generaldirektor Keiji Fukuda in Genf.

19 bestätigte Fälle in der EU

Laut dem ins Stockholm ansässigen ECDC waren bis zum Vormittag 174 Erkrankungsfälle weltweit gemeldet, 19 davon in der EU: Spanien (zehn), Großbritannien (fünf), Deutschland (drei) und Österreich (einer). Zu Mittag wurde aus den Niederlanden der erste Fall gemeldet, betroffen ist ein dreijähriges Mädchen. Alle Erkrankungen in Europa hätten bisher einen "milden Verlauf". Aus der Schweiz wurde am Donnerstag der erste bestätigte Fall von Schweinegrippe gemeldet. Außerhalb Europas sind Mexiko, USA, Kanada, Israel, Neuseeland, Peru und Costa Rica betroffen.

In Österreich geht es der erkrankten jungen Frau, die im Wiener Kaiser Franz Josef-Spital behandelt wird, schon relativ gut. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums waren bis Donnerstagnachmittag im Referenzlabor in Wien Proben von 17 Personen auf H1N1-Mexiko untersucht worden. In 13 Fällen wurde eine Erkrankung ausgeschlossen, drei Untersuchungen waren noch nicht beendet.

Die Ausrufung der Warnstufe fünf (WHO-Skala) "bedeutet für Österreich, dass sich an der Situation für die Menschen nichts geändert hat", erklärte Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) am späten Donnerstagvormittag, ehe er zu einem Sondertreffen mit EU-Ressortkollegen nach Luxemburg reiste. Die Behörden würden aber ihre Maßnahmen intensivieren. Eine neue Verordnung verpflichte die Fluglinien zur Weitergabe von Daten über Reisende aus jenen Gebieten, in denen die neue Influenza-Welle entstanden ist, sagte Stöger.

EU-Ministertreffen in Brüssel

Von dem Ministertreffen in Luxemburg erwartet sich Stöger einen Informationsaustausch über die Situation in den übrigen EU-Staaten und eine Abstimmung - zum Beispiel, wie im Reiseverkehr weiter vorgegangen werden soll. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft hat sich im Vorfeld des Treffens gegen eine allgemeine Warnung aller EU-Länder vor Reisen nach Mexiko ausgesprochen. Italien wollte nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP vorschlagen, gemeinsame Bestände an Grippe-Medikamenten und -Impfstoffe anzulegen.

Ob die pharmazeutischen Unternehmen - Österreich hat bei Baxter für den Fall einer Influenza-Pandemie mindestens 16 Mio. Dosen einer neu zu produzierenden Vakzine vorbestellt - wirklich einen neuen Impfstoff herstellen, liegt nicht in der Hand Österreichs. Stöger: "Die Entscheidung trifft die WHO ab der Phase sechs auf der Pandemie-Skala." Klar ist, dass weltweit bei den Unternehmen bereits Vorarbeiten für diesen Fall laufen, um möglichst schnell reagieren zu können.

EU-Kommission erwartet Todesopfer

Die EU-Kommission rechnet damit, dass es auch in Europa Todesopfern durch die Schweinegrippe geben wird. "Es ist nicht die Frage, ob Menschen sterben werden, sondern wieviele", sagte der Generaldirektor für Gesundheit, Robert Madelin, am Mittwochabend der Nachrichtenagentur Reuters in Brüssel. Die Frage sei: "Werden es Hunderte, Tausende oder Zehntausende sein?"

Zugleich bemühte sich die Kommission um Beruhigung: "Wir kennen nicht das Ausmaß der Pandemie. Aber Europa ist besser vorbereitet als jemals zuvor", sagte Madelin. Ein Impfstoff könne innerhalb von 100 Tagen in Europa zur Verfügung stehen.

Mexiko: Öffentliches Leben lahmgelegt

Die mexikanische Regierung hat indes eine mehrtägige Schließung aller Unternehmen angeordnet, deren Waren oder Dienstleistungen für die Versorgung der Allgemeinheit nicht unbedingt nötig sind. Die auf fünf Tage angesetzte Maßnahme solle dazu dienen, Menschenansammlungen zu vermeiden, bei denen der Schweinegrippe-Erreger sich weiter ausbreiten könnte, sagte Gesundheitsminister Jose Angel Cordova am Mittwoch. Ausgenommen seien Lebensmittel- und Verkehrsbetriebe sowie die öffentliche Gesundheitsversorgung und der Finanzsektor.

"Wir wollen diese Maßnahme so großangelegt wie möglich umsetzen, um den Zyklus der Reproduktion des Virus zu unterbrechen", sagte Finanzminister Agustin Carstens. Auch die Regierung plant, soviele Angestellte wie möglich nach Hause zu schicken. Carstens zufolge sollten aber etwa die Armee, Polizei und auch Schlüsselindustrien wie die Ölbranche weiterarbeiten.

Mexiko, wo die Schweinegrippe ausgebrochen ist, ist das am stärksten von der Epidemie betroffene Land. Das neue Grippevirus steht im Verdacht, dort für insgesamt 159 Todesfälle und 2498 Erkrankungen verantwortlich zu sein. Bestätigt sind allerdings nur 91 Schweinegrippe-Infektionen. Die Zahl der nachweislich durch den mutierten H1N1-Virus ums Leben gekommenen Menschen ist am Mittwoch auf acht gestiegen.

23 Monate altes Kind tot

In den USA wurde am Mittwoch der erste Todesfall durch das Virus bestätigt. In Texas starb ein 23 Monate altes Kind an dem H1N1-Virus, bestätigte der Direktor der US-Seuchenbehörde CDC, Richard Besser, in Atlanta. Zur Bekämpfung der Grippe beantragte das Weiße Haus im Kongress 1,5 Milliarden Dollar (1,15 Milliarden Euro), wie Regierungssprecher Robert Gibbs mitteilte.

Präsident Barack Obama hat zusätzliche Vorsorgemaßnahmen empfohlen. So sollten Schulen, in denen es Verdachtsfälle oder bestätigte Fälle von Grippeerkrankungen gebe, vorsichtshalber schließen, sagte Obama in Washington. Berufstätige Eltern sollten sich auch bereits jetzt Gedanken darüber machen, wer ihre Kinder im Fall von Schulschließungen betreuen könne.

(Ag./Red.)

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