Was geschah an Bord der "Arctic Sea"?

Arctic Sea Ship
Arctic Sea Ship(c) EPA (SOVFRACHT/HANDOUT)
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Das verschollene Frachtschiff ist vor der Küste Westafrikas aufgetaucht. Angeblich hatten Unbekannte Lösegeld in der Höhe von 1,5 Millionen Euro gefordert. Das Geld dürfte auch tatsächlich gezahlt worden sein.

Moskau/Wien (zoe). 19 Tage lang war das 98 Meter lange Frachtschiff verschollen. Kein Radar, kein Satellit war in der Lage, Signale der M/S Arctic Sea zu empfangen. Am Montagnachmittag ging die Irrfahrt für den Frachter schließlich zu Ende: Ein Schiff der Schwarzmeerflotte entdeckte die „Arctic Sea“ vor der Küste Westafrikas, etwa 300 Seemeilen (550 Kilometer) vor dem Inselstaat Kap Verde entfernt.

Die Crew des Frachters, 15 russische Seeleute, wurden an Bord des Kriegsschiffs „Ladni“ gebracht und dort zu den Vorfällen an Bord befragt, die in den vergangenen Wochen für Rätsel gesorgt hatten. Angeblich hatten am Wochenende Unbekannte Lösegeld in der Höhe von 1,5 Millionen Euro gefordert. Das Geld dürfte auch tatsächlich gezahlt worden sein.

Das Verschwinden und der Verbleib der „Arctic Sea“ ist mysteriös. Was geschah Ende Juli auf dem Frachtschiff? Wie konnte das Schiff, das nur Holz, wenn auch im Wert von 1,3 Mio. Euro, geladen hatte, spurlos verschwinden? (mehr: Theorien zum Verschwinden der "Arctic Sea") Bisher sind nur wenige Tatsachen bekannt, die zu heftigen Spekulationen geführt haben: Die „Arctic Sea“, die der finnisch-russischen Reederei Solchart gehört, aber unter maltesischer Flagge fährt, legte am 21. Juli mit rund 6700 Kubikmeter Holz an Bord vom Hafen Pietarsaari in Westfinnland ab. Die Fahrt, die am 4. August in Bejaia, Algerien, zu Ende gehen sollte, wurde nur drei Tage später vor der Küste Schwedens unterbrochen (mehr: Chronologie eines Verschwindens).

Hatte Schiff Waffen geladen?

Etwa zehn Männer stürmten um etwa drei Uhr morgens das Schiff und gaben vor, von der schwedischen Drogenpolizei zu sein. Sie sammelten die Mobiltelefone der Besatzung ein, zerstörten die Funkgeräte und durchsuchten die Laderäume des Frachters. Nach etwa zwölf Stunden verließen sie das Schiff, scheinbar ohne gefunden zu haben, was sie suchten.

Die Besatzung erstattete zwar dem Chef der Reederei Bericht. Die Fahrt nach Algerien wollte die Crew trotz beschädigter Funkgeräte nicht unterbrechen. Als sehr ungewöhnlich bezeichnen erfahrene Kapitäne diese Vorgangsweise. Im Normalfall hätte die „Arctic Sea“ in Schweden oder in Dänemark einen Hafen anlaufen müssen, um die technischen Gerätschaften reparieren zu lassen. Doch genau das ist nicht passiert. Die Crew nahm weiter seelenruhig Kurs auf Afrika.

Zuletzt wurden automatische Signale am 29. Juli im Ärmelkanal aufgefangen, seither ist es aber verdächtig still um die „Arctic Sea“ geworden. Offensichtlich wurde das automatische Identifikationssystem, das die Ortung eines Schiffes möglich macht, abgedreht – das wäre ein grober Verstoß gegen die Regeln. Der Eigentümer Solchart gibt sich bedeckt.

Ist die Fracht – also finnisches Holz – wirklich so wertvoll, dass die Seeleute trotz des Zwischenfalls vor Schweden ganz einfach weiterfahren? Experten melden Zweifel an. Hatte die „Arctic Sea“ außer Holz noch etwas anderes, so Wertvolles an Bord, das unbedingt geheim bleiben und zeitgerecht geliefert werden sollte? Experten vermuten, der Frachter könnte Waffen für afrikanische Staaten an Bord haben oder gehabt haben (mehr: Spekulationen über geheime Ladung).

Wurde der Frachter gesichtet?

In den vergangenen Wochen wurde die „Arctic Sea“ in verschiedenen Häfen gesichtet – und dann doch wieder nicht. Russische Berichte, das Schiff habe etwa in San Sebastian angelegt, wurden umgehend von der Hafenbehörde dementiert. Nun liegt alles bei der russischen Besatzung: Nur sie kann darüber Auskunft geben, was sich die vergangenen 19 Tage an Bord wirklich abgespielt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2009)

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