Ägypten-Putsch: Armee verhaftet Muslimbrüder-Chef

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Das Militär stürzte Präsident Mursi und jagt nun die Muslimbrüder. Auch Mursi wird festgehalten. Die Türkei ist über den Putsch empört, auch Spindelegger nennt ihn "sehr bedenklich".

Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär gehen die Sicherheitskräfte  massiv gegen dessen islamistische Muslimbruderschaft vor. Nach der Spitze der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit - dem politischen Arm der Muslimbrüder - wurde am Donnerstag auch der oberste Anführer der Islamisten-Bewegung, Mohammed Badie, von der Militärpolizei verhaftet. Badie und sein Stellvertreter Khairat al-Shater waren zur Fahndung ausgeschrieben gewesen. Sie sollen die tödlichen Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern Mursis am Sonntag vor dem Hauptsitz der Muslimbrüder in Kairo provoziert haben.

Auch Mursi selbst wird von der Armee festgehalten. Er steht unter Hausarest. Gegen den abgesetzten Präsidenten wird wegen Beleidigung der Justiz ermittel, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Mursis Nachfolger wurde bereits vereidigt: Verfassungsgerichtschef Adli Mansour soll das Land als Interimspräsident bis zu Neuwahlen führen (--> Porträt). "Ich schwöre, das System der Republik zu erhalten, die Verfassung und das Gesetz zu achten und die Interessen des Volkes zu schützen", sagte er bei der Vereidigung im Verfassungsgericht.

Die geplante Technokraten-Übergangsregierung könnte indes Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei anführen. "ElBaradei ist unsere erste Wahl", war am Donnerstag aus dem engeren Umfeld des militärischen Oberkommandos zu vernehmen.

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aegyptenPutsch Armee jagt Anfuehrer(c) Reuters

In der Nacht nach dem Putsch war erneut die Gewalt zwischen Anhängern und Gegnern des abgesetzten Präsidenten Mursi eskaliert. Nach Angaben staatlicher Medien wurden mindestens ein Dutzend Menschen getötet. Demnach starben alleine in der nördlichen Stadt Marsa Matruh sechs Menschen. In dem Küstenort sind die Islamisten sehr stark. Drei Tote habe es ferner in Alexandria sowie im oberägyptischen Minja gegeben. Auch in Fajum südlich von Kairo sei es zu tödlicher Gewalt gekommen.

Regierung aus Fachleuten

Der politische Fahrplan

Die Armeeführung hatte Mursi am Mittwochabend abgesetzt. Armeechef Abdel Fatah al-Sissi machte den Putsch in einer TV-Ansprache offiziell: Er kündigte die Bildung einer Regierung aus Fachleuten an. Die islamistisch geprägte Verfassung soll außer Kraft gesetzt und überarbeitet werden. Zudem soll es rasch Neuwahlen zum Präsidentenamt geben. Ein Zeitplan wurde nicht genannt.

* Aussetzung der Verfassung
* Bildung eines Gremiums aus Vertretern der Gesellschaft und Experten, um Verfassungsänderungen zu prüfen
* Einsetzung des Verfassungsgerichtspräsidenten Adli Mansour als Präsident für die Übergangszeit. Er darf Dekrete erlassen.
* Vorgezogene Präsidentenwahlen
* Einsetzung einer Expertenregierung, die mit vollen Rechten ausgestattet ist * Vorbereitung von Parlamentswahlen durch das Verfassungsgericht * Gründung einer Versöhnungskommission

Nach dem Putsch setzte dann die Verhaftungswelle ein: Die Sicherheitskräfte nahmen nach eigenen Angaben den Führer der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit Saad al-Katatni, sowie den stellvertretenden Chef der Muslimbrüder, Rashad Bajumi, fest. Laut der staatlichen Zeitung "Al-Ahram" wurde nach 300 Mitgliedern und Führern der Muslimbruderschaft gefahndet. Nun ging auch Badie der Militärpolizei ins Netz.

TV-Sender abgeschaltet

Mursi selbst wurde von seinen engsten Mitarbeitern getrennt und ins Verteidigungsministerium gebracht. Mursi werde "vorsorglich" festgehalten, teilte die Armee mit. Zuvor hatte er in einer Videoansprache betont, er sei weiterhin "der gewählte Präsident Ägyptens" und das Volk müsse seine "Legitimität verteidigen". Die Sicherheitskräfte schalteten einen TV-Sender der Islamisten ab und nahmen Mitarbeiter eines weiteren Senders fest, der Mursis Ansprache ausgestrahlt hatte.

Zehntausende Demonstranten in Kairo  bejubelten unterdessen die Entmachtung des Präsidenten. Mit Hupkonzerten und Feuerwerken zogen sie durch die Straßen der Hauptstadt. Duch auch Mursi-Anhänger waren auf den Straßen. In Kairo fuhren Panzer auf und versperrten die Zufahrt zu Versammlungen von Unterstützern des abgesetzten Präsidenten.

Türkei: "Das ist inakzeptabel"

Empört auf den Putsch reagierte die - islamistische - türkische Regierung: Außenminister Ahmet Davutoglu bezeichnete das Vorgehen der Armee gegen Präsident Mursi als "inakzeptabel" und sprach von einem "Militärcoup".

US-Präsident Barack Obama zeigte sich "zutiefst besorgt" angesichts der Entmachtung Mursis. Die Regierung in Washington werde mögliche Auswirkungen auf US-Hilfen für Ägypten prüfen. Obama warnte vor "willkürlichen Festnahmen" Mursis und seiner Anhänger. Die USA ordneten  zudem die Evakuierung ihrer Botschaft in Kairo an und rieten US-Bürgern von Reisen nach Ägypten ab.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich ebenfalls besorgt über das Eigenreifen der ägyptischen Armee in die Politik. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton forderte rasche Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sowie die Verabschiedung einer Verfassung. Die Übergangsregierung in Kairo müsse alle politischen Strömungen mit einschließen und Menschenrechte sowie rechtsstaatliche Prinzipien achten, erklärte Ashton.

Spindelegger: Mursi-Absetzung "bedenklich"

Für Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger ist die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Mursi  "sehr bedenklich. Eine Militärintervention als Weg zur Konfliktlösung ist in einem demokratischen System nicht akzeptabel", erklärte Spindelegger.  Der Vizekanzler richtete einen "dringenden Appell" an alle Beteiligten in Ägypten, Zurückhaltung zu zeigen und auf weitere Gewaltanwendung zu verzichten. "Die Massendemonstrationen der ägyptischen Bevölkerung sind Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit und Frustration und eines starken Wunsches nach echter politischer Veränderung. Konfrontationen und Gewalt sind aber keine Lösung. Der Wandel muss friedlich erfolgen. Die Politik muss nun rasch wieder in die demokratischen Institutionen zurückkehren." Der Weg in Richtung Demokratie müsse fortgesetzt werden.

Verschärfte Reisewarnung

In Bezug auf die rund 8000 Österreicher in Ägypten verwies Spindelegger auf die umfassenden Reisehinweise auf der Homepage des Außenministeriums, die am neuerlich verschärft wurden. Das Außenministerium rät von nicht dringend notwendigen Reise nach Ägypten ab, außer in Tourismusressorts am Roten Meer und Hurghada. Auch wenn derzeit eine sofortige Ausreiseempfehlung nicht ausgesprochen wird, so wird Österreichern, die sich in Ballungszentren befinden, empfohlen zu prüfen, ob ihr weiterer Aufenthalt in Ägypten dringend notwendig ist. Andernfalls wird ihnen nahegelegt, die Heimreise anzutreten.

Saudis gratulieren

Der saudi-arabische König Abdullah gratulierte indes dem designierten Interims-Staatschef Mansour und beglückwünschte das Militär für seine "Weisheit" im Bemühen um eine Lösung der Krise in Ägypten.

(Red./APA/AFP)

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