Flüchtlinge: „Wir sahen im Februar, was kommt“

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Maria Stavropoulou, Chefin der griechischen Asylbehörde, behauptet, Athen habe schon Anfang des Jahres vor der Flüchtlingskrise gewarnt. Doch die EU habe zu langsam reagiert.

Athen. Mittwoch im Morgengrauen begann die griechische Polizei die Räumung des Grenzbereichs zwischen Griechenland und Mazedonien beim griechischen Dörfchen Eidomeni von etwa 1200 Immigranten. Seit Mazedonien die Grenzen nur noch für Syrer, Afghanen und Iraker offen hält, sind dort Immigranten aus anderen Staaten festgesessen. Seit Wochen blockierten sie die Bahnlinie in Richtung Norden – die Öffnung der Schienen für den Frachtverkehr war ein Grund für die Aktion der Behörden.

Wirtschaftsmigranten könnten einen Asylantrag in Griechenland stellen, wie Maria Stavropoulou, Chefin der griechischen Asylbehörde im folgenden Interview erklärt. Er hätte allerdings kaum Aussicht auf Erfolg.

Die Presse: In der neuen griechischen Asylbehörde bewegen sich Wartezeiten und Anerkennungsraten auf europäischem Niveau. Wie groß ist derzeit der Andrang?

Maria Stavropoulou: Wir standen Ende Oktober bei 10.700 Asylanträgen in diesem Jahr, das ist etwa ein Drittel mehr als im Vorjahr.

Mazedonien hat die Grenzen für Wirtschaftsimmigranten gesperrt. Was geschieht mit diesen Menschen? Wird das die Asylanträge in Griechenland erhöhen?

Platz haben wir zurzeit, um die Grenze zu entlasten, in unserem Lager in Athen. Aber wir wissen nicht, ob die Leute Anträge stellen.

Allein bis September dieses Jahres überschritten 422.000 Illegale die griechische Grenze. Nur ein Bruchteil stellte einen Asylantrag. Was geschieht mit den anderen?

Griechenland ist kein Zielland. Die Ankömmlinge werden an der Grenze registriert, es werden ihnen die Fingerabdrücke abgenommen. Wer keinen Asylantrag stellen will, bekommt ein Verwaltungspapier, mit dem er sich, je nach Nationalität, zwei bis sechs Monate in Griechenland aufhalten kann, dann muss er den EU-Raum verlassen.

Es ist aber kein Geheimnis, dass viele Wirtschaftsflüchtlinge illegal weiterreisen.

Sie nutzen den gewaltigen Flüchtlingsstrom über die Balkanroute. Früher versuchten sie, in die Fähren nach Italien zu gelangen, nun gehen sie andere Wege.

Hat Griechenland den Zustrom der Illegalen durch eine Politik der offenen Tür provoziert?

Der gewaltige Flüchtlingsstrom hat nichts mit der griechischen Politik zu tun. Der lang andauernde Bürgerkrieg in Syrien und an anderen Kriegsschauplätzen, die Lage in der Türkei, vor allem der erhöhte Druck von IS, all das hat den Andrang erhöht. Wir haben seit Februar, März gesehen, was auf uns zukommt. Wir haben die EU rechtzeitig informiert. Aber man hat zu langsam reagiert.

Athen scheint von der Flüchtlingswelle überfordert zu sein.

Wenn eine gewisse Zahl von Flüchtlingen überschritten wird, ist Kontrolle nicht mehr möglich, kein Staat kann das allein meistern, man ist auf Solidarität angewiesen. Schon die Registrierungen an der Grenze sind kein Kinderspiel: Für jeden Flüchtling braucht man mindestens eine halbe Stunde. Es kommen aber Tausende.

Ihre Behörde ist für das Umverteilungsprogramm der Flüchtlinge in die anderen EU-Staaten zuständig. Aus Griechenland sollen in den nächsten zwei Jahren über 50.400 Flüchtlinge umverteilt werden. Wo stehen wir?

Ende November hatten wir 120 Personen im Programm, Planziel für die erste Phase bis Ende 2015 sind 500 Umverteilungen. Es öffnen sich immer wieder Türen in den Partnerstaaten, insgesamt müssen die EU-Länder natürlich viel mehr tun. Aber es liegt nicht nur an den Aufnahmeländern. Die Flüchtlinge müssen erst über das Programm aufgeklärt werden. Das ist nicht immer leicht. Denn sie müssen über Papiere verfügen, können sich ihr Zielland nicht aussuchen und müssen zunächst in Griechenland einen Asylantrag stellen; das ist Voraussetzung für die Umverteilung.

Viele sehen ein Hauptproblem darin, dass es keinen legalen Weg für Flüchtlinge gibt, einen Asylantrag zu stellen. Sie auch?

Absolut. Die Flüchtlinge müssen eine Möglichkeit bekommen, von Drittstaaten aus einen Antrag zu stellen.

ZUR PERSON

Maria Stavropoulou leitet die griechische Asylbehörde. Ihr Amt zählte heuer bis Ende Oktober 10.700 Asylanträge. Allein bis September kamen über 400.000 Flüchtlinge ins Land. [ Gonsa ]

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2015)

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