"Wir haben es!" CERN feiert Durchbruch bei Higgs-Suche

haben CERN feiert Durchbruch
haben CERN feiert Durchbruch(c) EPA (DENIS BALIBOUSE / POOL)
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Das Higgs-Boson verleiht den Bausteinen des Universums ihre Masse. Seit Jahrzehnten suchen Forscher das Elementarteilchen. Nun wurde am Teilchenbeschleuniger LHC ein neues Teilchen gefunden, das ihm entspricht.

Das europäische Kernforschungszentrum CERN dürfte das bisher nur theoretisch vermutete Higgs-Boson entdeckt haben. Bei einer Pressekonferenz erklärte Joe Incandela, Sprecher für eines der umfangreichen Experimente am Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC), dass ein neues Elementarteilchen beobachtet wurde. Es sei definitiv ein neues Boson, das schwerste je gefundene, aber ob es das Higgs-Teilchen ist, könne noch nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden. "Es ist ein vorläufiges Ergebnis, aber wir glauben es ist stark und stabil", sagte Incandela. Der während des Vortrags anwesende 83-jährige Peter Higgs, nach dem das Teilchen benannt ist, war bei der Bekanntgabe der Ergebnisse zu Tränen gerührt. "Es ist unglaublich, dass ich das noch zu Lebzeiten miterleben konnte", sagte der schottische Physiker im Rahmen der Veranstaltung. Die Zuseher jubelten und applaudierten lautstark.

"Ära der Higgs-Messungen"

Fabiola Gianotti und Peter Higgs
Fabiola Gianotti und Peter Higgs(c) EPA (DENIS BALIBOUSE / POOL)

Incandela ist Sprecher für das Experiment CMS (Compact Muon Solenoid). Ein weiteres Experiment, ATLAS (A Toroidal LHC ApparatuS), fand ebenfalls Hinweise auf das Higgs-Boson, wie Sprecherin Fabiola Gianotti bei der Vorstellung der ATLAS-Ergebnisse erklärte. "Wir begeben uns in die Ära der Higgs-Messungen", sagte Gianotti. Die Ergebnisse des CERN würden die "Tür in eine strahlende Zukunft öffnen", sagte sie. Incandela mahnte dennoch zur Vorsicht: "Wir brauchen noch mehr Daten." CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer zeigte sich deutlich gefestigter in seiner Ansicht, dass das Higgs-Boson gefunden sei. "Wir haben es!" verkündete Heuer euphorisch und ergänzte später: "Es ist ein historisches Ereignis." Er lobte die Ergebnisse aber auch als Ergebnis einer weltweiten Anstrengung. Die Entdeckung des neuen Teilchens werde höchstwahrscheinlich "Licht auf andere Geheimnisse unseres Universums scheinen".

Physik hängt von theoretischem Teilchen ab

Was ist ein Boson?

Die Ankündigung, die über die CERN-Website live übertragen wurde, löste Jubel und Applaus bei den anwesenden Forschern aus. Teilchenphysiker versuchen bereits seit Jahren, das Higgs-Boson zu finden. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des derzeit gültigen Standardmodells der Physik, war bisher aber nur ein theoretisches Konstrukt. Bestätigt sich die Vermutung der Forscher, könnte das eine der wichtigsten Entdeckungen in der Physik der letzten Jahrzehnte sein. Nahezu die gesamte Physik seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts basiert auf dem Standardmodell. Die nach dem indischen Physiker Styendranath Bose benannten Bosonen sind gewissermaßen der Klebstoff des Universums. Sie vermitteln die Kräfte zwischen den Materieteilchen. Das Higgs-Teilchen verleiht nach dem Standardmodell der Physik den Bausteinen des Universums ihre Masse.

Higgs erklärt Masse

Kollisionen im CMS-Detektor des LHC
Kollisionen im CMS-Detektor des LHCAP

Mit dem sogenannten Higgs-Mechanismus wird seit 1964 im Standardmodell der Elementarteilchen-Physik erklärt, wie die Teilchen - also die Grundbausteine der Materie - ihre Masse erhalten. Higgs-Bosonen, wenn sie denn existieren, wären ein Produkt dieses Mechanismus. Die Suche nach dem Higgs-Teilchen gehört zu den zentralen Aufgaben des LHC-Teilchenbeschleunigers an der französisch-schweizerischen Grenze. Mehr als hundert Meter unter der Erde lassen die CERN-Wissenschaftler in dem 27 Kilometer langen Ringtunnel Protonen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen.

99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit

Aus den Spuren, die sich nach den Protonen-Kollisionen messen lassen, könnte das Higgs-Boson nachgewiesen werden. Schon im vergangenen Dezember konnten die Physiker ihre Suche deutlich eingrenzen: Die Experimente der beiden Teams hatten ergeben, dass sich die Spuren des Higgs-Teilchens bei einer Masse von rund 125 Gigaelektronenvolt (GeV) konzentrieren. Der LHC ist für eine Energiemenge von bis zu 14 Teraelektronenvolt (TeV; ein TeV sind 1000 GeV) vorgesehen. Dabei wird 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht.

7,5 Milliarden Euro teures Projekt

Der LHC hat schon viel Kritik einstecken müssen. Österreichs damaliger Wissenschaftsminister Johannes Hahn hatte 2009 sogar einen Ausstieg aus dem CERN erwogen und musste dann zurückrudern. Grund für die anfängliche Skepsis waren die 7,5 Milliarden Euro, die für die Konstruktion des LHC budgetiert wurden. Bereits 1995 wurde sein Bau genehmigt. Zahlreiche Verzögerungen führten dazu, dass die größte Maschine der Menschheit erst im Jahr 2008 den Betrieb aufnehmen konnte. Ein Schaden führte dazu, dass der LHC erst 2010 voll eingesetzt werden konnte. Seit April 2012 werden Protonenstrahlen mit jeweils 4 TeV genutzt, was die doppelte Kollisionsenergie ergibt.

Grundlagenforschung: Laser und Touchscreen

Konkrete Alltags-Anwendungen können sich aus den LHC-Ergebnissen noch nicht ableiten lassen. Die Grundlagenforschung (und nichts anderes wird am CERN betrieben) hat aber oft schon unerwartete Nachwirkungen gehabt. Als Albert Einstein im Jahr 1916 erstmals über "stimulierte Emission" schrieb, wusste noch niemand, dass sich daraus im Endeffekt der Laser (ein Akronym für "Light Amplification through Stimulated Emission of Radiation") und seine vielfältigen Anwendungsgebiete ergeben würden. Geschweige denn, dass man Jahrzehnte später um wenig Euro an jeder Ecke Laserpointer erstehen könnte. CERN hat übrigens bereits in den 1970er Jahren etwas eingesetzt, das Apple seit 2007 für sein iPhone reklamiert: Den kapazitiven Multitouch-Touchscreen. Für den Teilchenbeschleuniger Super Proton Synchrotron wurden 1977 Steuergeräte mit solchen Displays entwickelt. Ihre Weiterentwicklung sitzt heutzutage in jedem Smartphone.

Stephen Hawking hat Wette verloren

Finanziell negative Auswirkungen hat die Entdeckung für den britischen Physiker Stephen Hawking. Er habe vor ein paar Jahren mit einem Kollegen in den USA gewettet, dass das Teilchen nie gefunden werde, sagte Hawking am Mittwoch in einem Interview mit dem britischen Sender BBC. "Mir scheint, ich habe gerade 100 Dollar (79,6 Euro) verloren", erklärte der im Rollstuhl sitzende Wissenschafter und Autor des Bestsellers "Eine kurze Geschichte der Zeit", der nur über einen Sprachcomputer kommunizieren kann. Dennoch begrüßte er das "wichtige Ergebnis" und sagte, die Forscher hätten einen Nobelpreis verdient.

(db/APA)

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