Semmering-Tunnel: Der Traum vom finanziellen Perpetuum mobile

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Subtext. Auch der neue Baubescheid für den Semmering-Basistunnel enthält reichlich seltsame Daten.

Dass die öffentliche Hand mit Bescheiden für Großprojekte nun, sagen wir, ein bisschen locker umgeht, ist ja bekannt. Man kann das schön beim Großprojekt Semmering-Basistunnel beobachten, wo dem Infrastrukturministerium ein Bescheid nach dem anderen um die Ohren fliegt. Das Ministerium erlässt dann halt einfach einen neuen.

Und tut sich dabei relativ wenig an. Etwa beim im Juni ausgestellten Baubescheid für den Weiterbau. Der basiert auf einem sogenannten § 31a-Gutachten aus dem Jahr 2010, das die Basis für den damals ausgestellten (und unterdessen aufgehobenen) Baubescheid darstellte - und in wesentlichen Teilen unverändert übernommen wurde. Obwohl es ein paar zumindest hinterfragenswerte Daten enthält.

Basis sind beispielsweise Verkehrsprognosen, die einen Anstieg des Bahn-Güterverkehrs um 57 Prozent bis 2025 vorsehen, obwohl dieser seit 15 Jahren de facto stagniert. Basis ist weiter eine Kostenschätzung aus dem Jahr 2008, die von einem längst überholten Kostenrahmen von 2,15 Mrd. Euro ausgeht und worin die bei mindestens drei Mrd. Euro liegenden Finanzierungskosten gar nicht enthalten sind. Auf Basis dieser Kostenschätzung wird im Gutachten ein volkswirtschaftlicher Kosten-Nutzen-Effekt des Tunnels von 1 : 5,11 festgestellt. Soll heißen: Ein investierter Euro bringt 5,11 Euro Nutzen.

Diese Zahl hat zwar prominente Väter. Sie wurde im Auftrag der ÖBB von IHS, Wifo und Joanneum Research errechnet. Sie scheint aber, nichtsdestotrotz, Voodoo-Mathematik vom Feinsten zu sein. Einer der damals beteiligten Wissenschaftler hat im Gespräch mit der „Presse" unterdessen bestätigt, dass jeder Multiplikatoreffekt über zwei eine Art finanzielles Perpetuum mobile wäre: Man müsste nur möglichst viele Tunnel schuldenfinanziert bauen, und der Staat wäre saniert. Unterdessen sieht man die Sache bei der Bahn realistischer: ÖBB-Chef Kern hat kürzlich im "Presse" Interview erklärt, man habe sich die Sache noch einmal angeschaut und gehe jetzt von einem Multiplikatoreffekt von 0,9 bis 1,2 aus. Eine deutsche Studie spricht gar nur von maximal 0,44.

Beides ist jedenfalls ziemlich weit vom sagenhaften Faktor 5,11 aus dem Jahr 2010 entfernt. Trotzdem steht der Fantasiewert im eisenbahnrechtlichen Gutachten, auf dem der Baubescheid fußt. Wie nennt man das? Schlamperei? Ignoranz? Mir-san-mir-Mentalität?
Jedenfalls ist so etwas ein aufgelegter Elfer für Tunnelgegner. Der Wiener Rechtsanwalt Andreas Manak hat der Staatsanwaltschaft schon eine Sachverhaltsdarstellung gegen den Gutachter übermittelt, der den Teil „Verkehrswesen" im Gesamtgutachten verantwortet. Der Vorwurf: § 289 StGB (Falsche Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde).

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2014)

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