In Honduras soll ein zweites Hongkong entstehen

(c) Reuters (Oswaldo Rivas)
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Honduras hat die höchste Mordrate der Welt. Investoren halten sich von dem Land fern. Das soll sich ändern - mit Hilfe einer gewagten Idee.

Es ist eine gewagte Idee: In Entwicklungsländern sollen Wirtschaftsmetropolen aus dem Boden gestampft werden, um mit eigenen Gesetzen und Steuern für einen Wirtschaftsboom zu sorgen. Dafür sollen die armen Länder unbesiedelte Flächen zur Verfügung stellen und die reichen westlichen Länder die Gesetze liefern. Bislang war das alles nur die Vision eines US-Ökonomen. Noch vor zwei Jahren sprach Paul Romer davon, dass Guantanamo eine ideale Teststadt sein könnte ("DiePresse.com" berichtete). Für seinen Plan dieser sogenannten "Charter Cities" (mehr dazu...) gab er sogar seine Professur an der Stanford University in Kalifornien auf. Doch nun dürften seine Ideen erstmals umgesetzt werden: Zum Experimentierfeld wird Honduras. Dort sollen drei Stadtstaaten entstehen.

Die Regierung von Honduras hat mit einer Gruppe internationaler Investoren ein entsprechendes Memorandum unterzeichnet, berichtet "orf.at". Und es soll schnell gehen. Projektstart ist im Oktober. 5000 neue Jobs sollen geschaffen werden. "Wir glauben, dass dadurch viel mehr Vertrauen in Honduras geschaffen wird. Unser Land hat große Probleme mit Verbrechen und organisierter Kriminalität durch den internationalen Drogenhandel. Daher ist es notwendig, einen anderen Weg zu finden, um internationale Investitionen anzulocken und damit das Leben der Menschen hier zu verbessern", zitiert "tagesschau.de" Octavio Ruben Sanchez, der in der Regierung für das Projekt zuständig ist.

Hongkong als Vorbild

Als Vorbild für seine "Charter Cities" dient Romer Hongkong. Die Stadt stand bis 1997 unter britischer Verwaltung, ehe sie China als Testfall für die Marktwirtschaft nutzte. Auch die chinesische Sonderwirtschaftszone Shenzhen betrachtet er als ein erfolgreiches Beispiel. "Die Stadt war stets unter der Kontrolle Pekings, hat aber viele Ideen aus Hongkong kopiert. Mehr als zehn Millionen Menschen sind binnen weniger Jahrzehnte nach Shenzhen gezogen und haben dort einen Job gefunden", sagte er im Juni im "Zeit"-Interview.

Romer betrachtet Korruption und mangelnde Sicherheit als Hemmschuh für den wirtschaftlichen Aufschwung in Entwicklungsländern. Die Charter Cities sollen daher eine eigene Verfassung haben. Für deren Einhaltung sowie die Verwaltung sollen ausländische Demokratien sorgen. Romer will damit auch verhindern, dass die Menschen weiterhin in die USA flüchten. "Eine Stadt mit ähnlichen Bedingungen in Honduras würde automatisch für Menschen aus ganz Zentral- und Südamerika attraktiv, wenn nicht gar für Menschen aus der ganzen Welt", zitiert ihn "Die Zeit".

Das Land mit der weltweit höchsten Mordrate

Tatsächlich ist Honduras das Land mit der höchsten Mordrate der Welt. Alle 74 Minuten wird in Honduras ein Mensch ermordet, berichtete das "ZDF" erst vor wenigen Tagen. Die Zahl der Todesopfer hat sich binnen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Mit 82,1 Morden je 100.000 Einwohnern ist Honduras weltweit Spitzenreiter. "Die wenigen Reichen verschanzen sich hinter hohen Mauern. Die Armen müssen in Vierteln hausen, in die sich die Polizei oft gar nicht mehr hineintraut. Verzweiflung und Armut treiben die Menschen dort in die Arme der Kartelle, Gangs und Dealer. Eine kriminelle Karriere ist oft die einzige Überlebensperspektive", heißt es in dem Bericht.

Die Lage hat sich seit dem Militärputsch vor drei Jahren verschärft. Damals wurde der linksgerichtete Präsident Manuel Zelaya vom Militär gestürzt, weil er eine zweite Amtszeit in der Verfassung verankern lassen wollte. Honduras steht damit allerdings nicht allein. Nach Einschätzung der UNO wird die Bandenkriminalität in den Karibikstaaten immer schlimmer. Sie kostet die Volkswirtschaften Milliarden. Den Verlust an der Gesamtwirtschaft der Region beziffert ein entsprechender UN-Bericht laut "orf.at" mit vier Prozent des gesamten Volumens.

"Das ist purer Kolonialismus"

Der Widerstand in Honduras ist groß. Bürgerrechtler und das indigene Volk der Garifuna (mehr dazu...) lehnen das Projekt ab. Denn eine der drei Städte soll auf Garifuna-Gebiet errichtet werden. "Dieses Land gehört dem Garifuna-Volk und kann nicht einfach an ausländische Kapitalgeber übergeben werden. Das ist purer Kolonialismus", kritisiert Miriam Miranda, Präsidentin der "Fraternal Black Organisation" in Honduras.

Diese Kritik ist nicht neu, seit Jahren wird die Idee der Charter Cities von Gegnern als "Neokolonialismus" bezeichnet. Ein "Staat im Staat" würde geschaffen. Die Lage in den Charter Cities würde sich eher verschlimmern als verbessern, warnen sie. Sie weisen darauf hin, dass sich Regeln aus der jeweiligen Gesellschaft heraus entwickeln müssen und nicht einfach übergestülpt werden können. Das benötige Jahrzehnte. Man könne auch nicht einfach eine Rechtsordnung von einem Land auf ein anderes übertragen. "Der Unterschied zwischen revolutionär und verrückt ist nicht groß", zitierte "Financial Times Deutschland" William Easterly, einen renommierten Ökonomen der New York University. "Romer balanciert mit seiner Idee genau auf dieser Grenzlinie".

Vater der Charter Cities ausgebootet?

Ein Blick auf die Charter-Cities-"Homepage" zeigt, dass sich das von Romer initiierte Projekt in Honduras möglicherweise bereits verselbständigt hat. "Wir haben zahlreiche Anfragen erhalten, die Presseberichte über die Einigung mit Investoren über Sonderwirtschaftszonen in Honduras betreffen", ist in einem aktuellen Beitrag zu lesen. "Wir haben von dieser Einigung aus den Medien erfahren und wissen nichts über deren Bedingungen, daher können wir auch keinen Kommentar dazu abgeben".

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