Argentiniens Staatspleite, der IWF und der Kuckuck

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Vor zehn Jahren erklärte Argentinien die Zahlungsunfähigkeit. Kurz darauf jagte es den IWF zum Teufel. Was kann Griechenland davon lernen?

Es war der 23. Dezember 2001: Argentinien erklärte die Zahlungsunfähigkeit. Die Schulden des Landes betrugen 132 Milliarden US-Dollar. Das Land war mit mehr als 140 Prozent des Bruttoinlandprodukts verschuldet. Die Wut gegen die Politiker trieb die Menschen auf die Straßen und das Land an den Rand eines Bürgerkriegs. "Sie sollen alle abhauen", war zu hören. Zehn Jahre später gerät diese "Mutter aller Pleiten" angesichts der Griechenland-Krise wieder in den Fokus.

Der folgende Vergleich der beiden Länder soll zeigen, ob und was Griechenland von Argentinien lernen kann, welche Rolle der IWF dabei spielt und wie es um die Situation der Gläubiger bestellt ist.

Argentinien lebte über die Verhältnisse...

"Die Situation in Argentinien war unendlich viel dramatischer als in Griechenland", zitiert das "Handelsblatt" Roberto Lavagna, der von April 2002 bis November 2005 Wirtschaftsminister Argentiniens war. "Niemand kam an sein Geld, die Armut erfasste mehr als 50 Prozent der Bevölkerung, es lebte sogar wieder der Tauschhandel auf, an dem sich sechs Millionen Menschen beteiligten. Soweit ist es in Griechenland noch lange nicht". Dennoch lassen sich einige lehrreiche Parallelen zwischen dem südamerikanischen Land und Griechenland ziehen.

"Vergleichbar zwischen Argentinien damals und Griechenland heute ist, dass beide Länder über ihre Verhältnisse gelebt haben", sagt etwa Lavagna. In Argentinien lag die Hauptursache in der seit 1991 bestehenden Bindung des Peso an den Dollar, die auf Präsident Menem zurückging. Die Teuerung wurde damit nach unten gedrückt, die Kaufkraft der Bevölkerung wuchs. Das Problem: "Es wuchs nur der Konsum, aber nicht die Wirtschaftskraft", wie der Lateinamerika-Experte Walter Molana laut "Handelsblatt" sagt. Argentiniens Exporte wurden extrem teuer, die Wirtschaft war nicht mehr wettbewerbsfähig.

... wie auch Griechenland

Der griechische Krimi-Autor Petros Markaris nennt in einem "Spiegel Online"-Interview Gründe dafür, warum auch die Griechen über ihre Verhältnisse lebten. "Bis Ende der siebziger Jahre war Griechenland ein armes, aber sehr anständiges Land. Dann kam mit dem Beitritt in die EWG 1981 das viele Geld, und die Griechen konnten damit nicht umgehen. Die Menschen hatten kein Bewusstsein dafür, weder die Politiker noch die einfachen Bürger. Verschiedene Regierungen haben ein Leben auf Pump von da an offen unterstützt", sagt er.

Mit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft wurden quasi über Nacht die Gehälter von Beamten sowie die Pensionen erhöht. Noch ehe der Euro eingeführt wurde, wuchs der Schuldenberg dramatisch. Mit dem Start der Gemeinschaftswährung 2002 drehte sich die Schuldenspirale dann noch schneller. Die Finanzmärkte machten keinen Unterschied zwischen der Kreditwürdigkeit Athens und Berlins. Hohe Lohnsteigerungen waren nicht durch steigende Produktivität gedeckt. Die Wettbewerbsfähigkeit nahm ab, Haushalts- und Leistungsbilanz-Defizite zu. Hinzu kam ein nicht funktionierendes Steuersystem.

Erfolg ohne IWF

Auch was die Rolle des IWF betrifft, drängt sich der Vergleich zur Lage in Griechenland auf: "Der IWF schlug uns vor, Löhne und Renten zu senken und die Steuern zu erhöhen, um wieder einen Steuerüberschuss zu erzielen. All das, was Griechenland nun tun soll, wurde bereits 1999 auch von Argentinien verlangt. Mit dem eingesparten Geld wurden die Gläubiger bezahlt, dafür blutete die Bevölkerung finanziell aus", sagt Ex-Minister Lavagna. In einem "Deutschlandfunk"-Interview erklärt er, wie sein Land den Ausweg aus der Krise fand: "Ich habe dem IWF sofort mitgeteilt, dass Argentinien auf neue Kredite verzichtet und sich die Freiheit nimmt, sein eigenes Wirtschaftsprogramm zu gestalten". Dadurch konnte das Land eine eigenständige Wirtschaftspolitik machen.

Die Alternative zu den IWF-Konzepten: "Eine Umschuldung und die Investition des freigewordenen Geldes im eigenen Land, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Damit hatten wir Erfolg", so Lavagna. Und 2002 gab der IWF sogar zu, im Fall Argentinien falsch agiert zu haben.

Die Drohung mit dem Kuckuck

Argentinien verhinderte die Kapitalflucht in Dollar. Menschen konnten nur kleine Beträge abheben und ohne Genehmigung durfte niemand mehr als tausend Dollar ins Ausland schaffen. Viele Leute verloren bis zu drei Viertel ihres Besitzes. Der Peso wurde gegenüber dem Dollar abgewertet. Mit seinen internationalen Gläubigern verfuhr das Land allerdings beinhart. Nur der IWF wurde ausbezahlt. Im Juni 2004 bot Staatspräsident Nestor Kirchner den ausländischen Gläubigern an, dass sie auf 75 Prozent ihres eingesetzten Kapitals verzichten sollten. Das sei besser als gar nichts. Der Zorn vieler Investoren kochte hoch, drei Viertel der Gläubiger fügten sich aber.

Als Kirchner im Oktober des Jahres ankündigte, nach Deutschland zu reisen, drohten daher betroffene deutsche Anleger mit dem "Kuckuck" - der Pfändung der Präsidentenmaschine. Kirchner ließ "Tango 01" im Hangar und verzichtete auf den Besuch. Statt ihm reiste Vizepräsident Daniel Scioli an - per Linienflugzeug.

Griechenland verhandelt noch mit Gläubigern

Griechenland wählt einen weniger radikalen Weg. Das erklärt sich auch damit, dass das Land Mitglied in einem mächtigen Wirtschaftsbündnis ist, während Argentinien international isoliert war. Athen steckt momentan in zähen Verhandlungen mit privaten Gläubigern über einen Schuldenschnitt. Dieser soll Griechenlands Schulden um rund 100 Milliarden Euro drücken.

Ein endgültiger Erfolg ist aber noch keineswegs sicher. Unklar bleibt, wie viele Investoren mitziehen - und um wie viel die Schulden tatsächlich reduziert werden. Als einer der größten Gläubiger will auch die EZB bisher nicht bei dem Schuldenschnitt mitmachen.

Hohe Inflation überschattet Argentinien-Boom

Fest steht: Es gibt ein Leben nach der Staatspleite. Heute sind die Einkaufszentren in Buenos Aires wieder voller Kunden. Der Konsum wurde nach Angaben von Ex-Minister Lavagna zum Motor, der die Gesundung des Landes vorantrieb. Auch klassische Exportgüter wie Soja und Rindfleisch hatten einen großen Anteil am Aufschwung. Und die Wirtschaft wächst beständig. Heuer sollen es vier Prozent Wachstum sein, 2013 ebenfalls.

Doch es ist ein Erfolg mit Schattenseiten. Problematisch ist im heutigen Argentinien vor allem die hohe Inflationsrate. Sie liegt derzeit bei 20 Prozent. Aufgrund der Teuerung lohnt sich Sparen nicht, die Argentinier flüchten sich in den Konsum, notfalls auch auf Kredit. Und das Land ist bisher nicht auf den Kapitalmarkt zurückgekehrt. Investoren würden wohl bis zu zwölf Prozent Zinsen für argentinische Staatsanleihen verlangen.

Argentinien als Blaupause für Griechenland?

Wollte man das Erfolgsrezept Argentiniens als Blaupause für Griechenland umlegen, so wäre ein radikaler Schritt notwendig: ein massiver Schuldenschnitt gepaart mit einer Abwertung der Währung. Auf Griechenland umgelegt würde das allerdings den Austritt aus der Eurozone bedeuten. Nur so könnte das Land seine Produkte und Dienstleistungen wieder preiswerter anbieten und seine Wettbewerbsfähigkeit zurück erlangen.

Ob dieser Schritt zu empfehlen ist, sei dahin gestellt. Denn an dem staatskapitalistischen Kurs von Präsidentin Kirchner gibt es auch Kritik. Das Land ist weiterhin isoliert. Vor allem die USA bemäkeln, dass sich Buenos Aires nicht an die Spielregeln der internationalen Wirtschaftswelt halte. Kein Wunder: Immer noch warten Gläubiger von damals - viele davon sind US-Hedgefonds - auf ihr Geld. "Wenn das alle täten, kollabierte das ganze System", sagt Anwalt Fernando Mantilla Serrano, der mehrere Fälle gegen den argentinischen Staat betreut, wie "Die Welt" berichtet.


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