Als Österreicher in Brasilien eine Parallelgesellschaft gründeten

Zweig, Leopoldina und Dreizehnlinden - Österreicher in Brasilien
Zweig, Leopoldina und Dreizehnlinden - Österreicher in Brasilien(c) APA/EDGAR SCH†TZ (EDGAR SCH†TZ)
  • Drucken

1825 wanderten die ersten Österreicher nach Brasilien aus. Kaiserin Leopoldina und der Schriftsteller Stefan Zweig zählen zu den prominentesten Emigranten.

71 Österreicher rittern ab morgen bei den Olympischen Spielen in Rio um Medaillen. Die Geschichte der Österreicher in Brasilien geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Mit der Flucht des portugiesischen Königshauses vor den Truppen Napoleons nach Brasilien wurden 1808 die Häfen der damaligen Kolonie Brasilien auch für Nicht-Portugiesen geöffnet. Fortan rührte die österreichische Erzherzogin Leopoldina, ab 1817 Ehefrau des ersten brasilianischen Kaisers Pedro, in den deutschsprachigen Landen die Werbetrommel für Brasilien, um die Landwirtschaft zu forcieren und die Grenze zur Banda Oriental (heute Uruguay) durch Besiedelung besser zu sichern. So kamen 1825 Tiroler ins Land, die auch als erste jenen Landstrich bewohnten, wo später die Stadt Petropolis als Sommerresidenz der portugiesischen Könige errichtet wurde.

Dem Bevölkerungsaustausch lagen einerseits die ärmlichen Lebensbedingungen in den ruralen Gebieten Europas zugrunde, anderseits sollten europäische Billigarbeiter auch jene Löcher stopfen, die im brasilianischen Arbeitsalltag durch das Verbot der Einfuhr afrikanischer Sklaven entstanden waren.

Wie viele "Untertanen des Kaiserhauses" bis Ende des 19. Jahrhunderts ihr Glück in Brasilien suchten, ist laut der Südamerika-Forscherin Ursula Prutsch von der Universität München nur noch schwer nachvollziehbar. Einerseits fehlte es an Statistiken, andererseits kamen die Auswanderer aus allen Teilen der Monarchie. Eine "ethnische Zuordnung" ist heute nicht mehr möglich.

Arbeitslos gewordene k.u.k-Soldaten hofften auf schnellen Reichtum

Manche brasilianische Staaten - wie Sao Paulo - verfolgten damals eine geradezu aggressive Einwanderungspolitik. Auch tausenden Österreichern wurden die Reisekosten vorgestreckt und Starthilfen für landwirtschaftliche Existenzgründungen gegeben. Dokumentarisch belegt ist, dass 1919 nach dem Zerfall der Monarchie 850 arbeitslos gewordene k.u.k-Soldaten - darunter zahlreiche in der neu ausgerufenen Republik ihres Standes verlustig gegangene Offiziere - unter der Leitung von Rittmeister a. D. Othmar Gamillscheg nach Brasilien übersetzten, weil sie hofften, auf einer ihnen überlassenen Kaffeehazienda schnell zu Reichtum zu kommen.

Die Träume der agrarisch nicht geschulten Glücksritter verflüchtigten sich so schnell wie sie selbst. Die "Aktion Gamillscheg" zerstreute sich. Die meisten der ehemals enthusiastischen Mitglieder zogen in die Metropole Sao Paulo, wo sie als Lehrer, Pianisten oder Gastwirte ihr Durchkommen fanden.

(c) APA/EDGAR SCH†TZ (EDGAR SCH†TZ)

Einer machte jedoch Karriere: Walther von Schuschnigg, Cousin des späteren Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg, avancierte zum österreichischen Konsul. Er stellte auch die Weichen dafür, dass zwischen 1933 und 1938 fast 800 Österreicher - vor allem aus Tirol und Vorarlberg - im südlichen Bundesstaat Santa Catarina die Kolonie "Dreizehnlinden" ("Treze Tilias") besiedelten. Der ehemalige Landwirtschaftsminister Andreas Thaler aus der Wildschönau sicherte sich mit Schuschniggs Fürsprache auch die finanzielle Unterstützung von Ständestaat-Kanzler Engelbert Dollfuß zu.

Ganz im Sinne der Österreich-Ideologie des Ständestaates wurde in "Dreizehnlinden" das katholische Österreich-Bewusstsein hochgehalten, auch als Abgrenzung zu den in der Region bereits existierenden deutschen Kolonien. Österreichisches Brauchtum wurde und wird in "Treze Tilias" bis heute gepflegt.

Nicht wenige der Auswanderer waren Veteranen des Ersten Weltkriegs, die angesichts des neuerlich dräuenden Schlachtens einem Einberufungsbefehl entgehen wollten. Dieser wurde ihnen zwar nach dem "Anschluss" nach "Dreizehnlinden" nachgeschickt, einen Zugriff auf die Männer hatte das Deutsche Reich aufgrund diplomatischer Differenzen mit Brasilien freilich nicht. "Der Vater hat die Briefe gleich verbrannt. Er ist ja nicht deppert und geht zurück, um in den Krieg zu ziehen, hat er g'sagt", erzählte die hochbetagte Sofie Kandler, die im Alter von neun Jahren nach "Dreizehnlinden" gekommen war.

Juden flüchteten nach Brasilien

Während des Nationalsozialismus gab es einen Exodus jüdischer Flüchtlinge nach Brasilien. Der Schriftsteller Stefan Zweig war dabei am bekanntesten. Während der Schriftsteller am Exil zerbrach und sich das Leben nahm, etablierten sich andere Emigranten federführend im wissenschaftlichen und kulturellen Leben in Brasilien. Sie prägten Brasilien als vielschichtiges, multikulturelles Land. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich Brasilien für einen UNO-Beitritt Österreichs und eine Beschleunigung der Staatsvertragsverhandlungen ein.

Auf den Straßen von "Treze Tilias" kann man immer noch Tirolerisch hören, auch wenn längst nicht mehr nur Nachfahren österreichischer Einwanderer in dem 7000-Einwohner-Ort leben. Man lebt vom Fremdenverkehr und profitiert maßgeblich von der örtlichen Architektur im Stil eines Tiroler Skiortes. Hier ist außerdem der Molkerei-Konzern "Tirol" ansässig, eine der größten in Brasilien.

Aber es gibt auch andere rot-weiß-rote Farbtupfer. Der Oberösterreicher Herwig Gangl etwa betreibt in Belo Horizonte seit zwanzig Jahren eine Brauerei. Glaubt man brasilianischen Bierfreunden, ist die Cerveja "Austria" durchaus eine Bereicherung der kulinarischen Vielfalt Brasiliens. Und eigentlich ist Österreich im ganzen Land allgegenwärtig. Die Farbe Gelb in der gelb-grünen Staatsfahne stammt nämlich von den Habsburgern.

(APA/Red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.