Das Schicksal des Euro entscheidet sich

Sarkozy und Merkel vor schweren Entscheidungen
Sarkozy und Merkel vor schweren Entscheidungen(c) REUTERS (Pool)
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Die Währungsunion steht an der Kippe. Europas Führer haben die Krise unterschätzt und zeigen nun Nerven. Sie basteln an einem "ständigen Krisenmechanismus", um in Turbulenzen geratenen Staaten zu helfen.

Am Montagmorgen, zur Geisterstunde zwischen Mitternacht und ein Uhr mitteleuropäischer Zeit, wird sich das Schicksal des Euro entscheiden.

Denn dann, knapp vor Öffnung der Börse von Tokio, werden die japanischen Wertpapierhändler der weltgrößten Banken und Fondsgesellschaften im Tokioter Morgenverkehr auf ihre Blackberrys starren. Und sie werden ihr Urteil über die Stabilität der Gemeinschaftswährung anhand jenes Beschlusses fällen, den 27 europäische Finanzminister acht Zeitzonen weiter westlich in einer hastig einberufenen Krisensitzung am Sonntagabend getroffen haben. Eines Beschlusses, der verhindern soll, dass aus dem fiskalpolitischen griechischen Strohfeuer ein europaweiter Flächenbrand wird.

Der Notfallplan

Bei einer Sondersitzung in Brüssel wird am Sonntag ein Notfallfonds für Euro-Länder (Beginn: 15.00 Uhr) verhandelt. Darauf hatten sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten in der Nacht zu Samstag geeinigt. Mit dem Fonds könnten nach Griechenland auch andere hoch verschuldete Länder gerettet werden. In den vergangenen Tagen waren Spanien, Portugal und Italien an den Finanzmärkten stark unter Druck geraten.

Für den Notfallfonds könnte die EU-Kommission zinsgünstige Kredite an den Finanzmärkten aufnehmen. Diplomaten sprachen von bis zu 70 Milliarden Euro. Die Europäer erhoffen sich davon ein starkes Signal gegen Spekulanten, bevor am Montag die Märkte öffnen.

"Griechische Krankheit" eindämmen

Ob der Daumen der Trader nach oben oder nach unten zeigen wird, ob sie den Euro weiterhin als vertrauenswürdiges Investitionsmittel sehen oder ihn „shorten“ und ob als Folge ihrer Entscheidung, die im Lauf des Montags der Reihe nach in Shanghai und Hongkong und Singapur, in Frankfurt und Paris und London und schlussendlich an der New Yorker Wall Street nachvollzogen wird, die „griechische Krankheit“ eingedämmt wird oder nicht, hängt somit von europäischen Politikern ab, die viel zu spät den bitteren Ernst der Lage erfasst haben – und nun in Panik Nerven zeigen.

Ruhiges Dinner wurde Feuerwehreinsatz

Der Sondergipfel der 16 Staats- und Regierungschefs der Eurozone in der Nacht von Freitag auf Samstag war dafür bezeichnend. Als Dinnerdebatte über die Lehren aus der Schuldenkrise geplant, geriet er angesichts des massiven Abverkaufs portugiesischer, spanischer und anderer Euroanleihen im Verlauf der Woche zu einem finanzpolitischen Feuerwehreinsatz.

Der ging gründlich schief. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy trafen einander wie üblich vor Sitzungsbeginn, um die Marschrichtung vorzugeben. Doch dieses Mal knirschte es gehörig in der deutsch-französischen Achse. Merkel und Sarkozy hätten heftig gestritten, heißt es. Die Forderung des Franzosen, wonach die Europäische Zentralbank (EZB) die unter Angriff der Finanzinvestoren geratenen Staatsanleihen aufkaufen solle, war für Merkel inakzeptabel. Dass die EZB gleich zwei Tabus bricht, nämlich auf politischen Zuruf zu agieren und die Schuldenpolitik der Mittelmeerländer zu finanzieren: So etwas kommt für Helmut Kohls politische Nachlassverwalterin nicht infrage. Egal, ob am Sonntag in Nordrhein-Westfalen gewählt wird oder nicht. Und so saß man mit mehr als zwei Stunden Verspätung und bis weit nach Mitternacht über weißem und grünem Spargel und zartem Seefisch – gerüchteweise auch deshalb, um das Schließen der New Yorker Börse abzuwarten.

Chronologie der Krise

2001 wird Griechenland zwölftes Mitglied der Eurozone - allerdings mit frisierten Haushaltszahlen

2004 fällt Athen als Defizitsünder auf. Brüssel will Griechenland unter Kuratel stellen, verzichtet aber darauf.

2009 läuft das Staatsdefizit mit 13,6 Prozent des BIP aus dem Ruder. Athen gibt die jahrelangen Schwindeleien zu und bekommt zusehends Probleme, sich über Staatsanleihen zu finanzieren.

2010 ist die griechische Pleite perfekt. IWF und EU müssen mit 110 Milliarden Euro einspringen, um den Konkurs des Landes zu verhindern.

Grundsatzbeschluss äußerst vage

Denn der Grundsatzbeschluss, den die 27 EU-Finanzminister am Sonntag, in ihrer Krisensitzung in Brüssel konkretisieren sollen, ist äußerst vage. Es ist zu erwarten, dass die Finanzminister die Kommission dazu ermächtigen werden, einen Betrag von rund 70 Milliarden Euro an den Finanzmärkten aufzunehmen, für den alle 27 Mitgliedstaaten explizit und die EZB implizit haften.

Rechtsbasis dafür ist Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU. Er erlaubt der Union, einem Land Notkredite zu geben, wenn es „aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht“ ist.

Außerordentliche Ereignisse: Damit meinen die 16 Staatsführer die Finanzspekulation. In derselben Erklärung, die der Kommission die Gründung des Krisenfonds aufträgt, hielten sie fest: „Die Arbeit zur Bewertung der Frage, ob angesichts der jüngsten gegen staatliche Schuldner gerichteten Spekulationen weitere Maßnahmen erforderlich sind, muss beschleunigt werden.“

Spekulationen machen kleine Probleme groß

Die Ironie, dass man sich zur Rettung weiterer Sorgenkinder an jenen Märkten Kredit holen will, die man für die Misere verantwortlich macht, dürfte nicht nur dem österreichischen Bundeskanzler entgangen sein. So meinte Werner Faymann doch nach dem Gipfeltreffen: „Wenn man ein kleines Problem hat, schafft es die Spekulation, ein großes Problem daraus zu machen.“

Während Merkel flugs entschwand, um vor dem nordrhein-westfälischen Wahlkampffinale keine missverständlichen Fernsehbilder zu liefern, forderte Sarkozy eine „Generalmobilmachung“. „Der Euro, das ist die Union. Und die Union, das ist der Frieden“, sagte er sichtbar gereizt.

Bleibt abzuwarten, wie dieser Appell am Montag dort ankommt, wo über den Euro entschieden wird. Im Tokioter Frühverkehr zum Beispiel, wenn in Europa die Geisterstunde anbricht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2010)

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