Der Wiener Bürgermeister sieht keine "ausreichende inhaltliche Schnittmenge" zwischen SPÖ und FPÖ. Sollte sich die Frage nach einer Koalition stellen, bräuchte es eine Urabstimmung. Kanzler Kern nannte Häupl einen "g'scheiten Bursch'".
Der Wiener Bürgermeister und SPÖ-Landesvorsitzende Michael Häupl hat am Dienstag seine Ablehnung einer SPÖ-FPÖ-Regierung bekräftigt. Sollte es doch dazu kommen, könnte es die Roten zerreißen, so seine Warnung: "Das kann bis zu einer Parteispaltung gehen." Überhaupt sehe er keine "ausreichende inhaltliche Schnittmenge" zwischen den beiden Parteien: "Meine Haltung in dieser Frage hat sich nicht geändert." So ganz apodiktisch ausschließen wollte Häupl eine rot-blaue Zusammenarbeit dann aber doch nicht, denn: "Vielleicht ergeben die Sondierungsgespräche ja etwas ganz anderes. Würde mich wirklich und echt überraschen, wenn dem so wäre."
Sollte sich die Frage stellen, sprach sich der Wiener Stadtchef jedenfalls für eine Urabstimmung unter den SPÖ-Mitgliedern aus. Ob es dabei eine Mehrheit für Rot-Blau gebe? "Ich glaube nicht." Der "allerwahrscheinlichste Fall" sei aber sowieso eine rasche Einigung zwischen ÖVP und FPÖ, mutmaßte der Bürgermeister. Sollte doch Rot-Blau kommen, werde er jedenfalls nicht aus der Partei austreten, unterstrich er.
Häupl sagt "nicht a priori Nein" zu Schwarz-Rot
Er sage im Übrigen "nicht a priori Nein" zu einer Koalition mit der ÖVP - wobei den Roten diesmal freilich nur die Rolle des kleinen Regierungspartners bliebe. Angesprochen auf die tiefen Verwerfungen im Wahlkampf, meinte Häupl: "Politik ist kein Rehabilitationszentrum." Es habe zwischen Sozialdemokraten und Konservativen schon tiefere Gräben gegeben. Und die SPÖ sei ja "nicht genuin eine Oppositionspartei".
Weiters räumte Häupl ein, dass sich die SPÖ derzeit in einer Zwickmühle befinde. Sollte man Teil einer Koalition sein, müsse man das inhaltlich ordentlich begründen. Den selben Rechtfertigungsdruck sieht der Bürgermeister auch beim Gang in die Opposition. Denn immerhin sei man angetreten mit dem Ziel, Schwarz-Blau zu verhindern. Ein "Kernianer" sei er jedenfalls nach wie vor, beteuerte Häupl auf Nachfrage: "Weil ich meine, dass der wirklich gute Arbeit leistet, ein g'scheiter Bursch' ist und wenn er mit mir zusammen ist, ist er sogar witzig."
Zehn Jahre als Politiker hat Christian Kern für sich vorgesehen. Das sagte er bei seinem Einzug ins Bundeskanzleramt im Mai 2016 – und er wiederholte es bis zuletzt. Wie es aussieht werden es deutlich weniger. Nach dem Rückzug von der SPÖ-Spitze wollte er zuerst als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl für die SPÖ kandidieren. Diese Pläne dürfte er jedoch verworfen haben. Am Wahlabend im Oktober 2017 war von ihm noch zu hören: "Ich will Verantwortung übernehmen." Nachdem die SPÖ den ersten Platz räumen musste, stellt sich aber Frage, wie genau diese aussehen soll. Die Presse
Seine ersten offiziellen Schritte am heimischen Polit-Parkett tat Kern im Mai 2016, als er Werner Faymann nicht nur als SPÖ-Bundesparteichef, sondern auch als Bundeskanzler beerbte. Zuvor hatte er sich als Manager bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) einen Namen gemacht, insbesondere, als er während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 die Beförderung Tausender organisierte – und scharfe Kritik an der Bundesregierung geübt hatte. So sagte er damals u.a. in einem "Presse"-Interview: "Wenn die Hilfsorganisationen ähnlich agiert hätten wie manche Behörden, dann hätten wir weit größere Probleme gehabt." APA/ROLAND SCHLAGER
Als Kern letztlich zusagte, die SPÖ zu führen, galt er so manchem Genossen als eine Art Heilsbringer – und das, obwohl er für Positionen eintritt, für die sein Vorgänger wohl mit Rücktrittsaufforderungen überhäuft worden wäre. Stichwort: Studienplatzbeschränkungen oder Arbeitszeitflexibilisierung. Auch, dass er rasch nach seinem Amtsantritt einem Treffen sowie einer öffentlichen Diskussion mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zusagte, gehörte bis dahin nicht unbedingt zum Kanon der österreichischen Sozialdemokratie. GEORG HOCHMUTH / APA / picturede
Zur anfänglichen positiven Stimmung beigetragen hat sicherlich auch das Talent zur Inszenierung des gebürtigen Wieners. So mag sein Ausflug als „Pizzaboy“ im Schnitzelland Österreich manchen ein wenig aufgesetzt gewirkt haben, funktioniert hat die Aktion aber, wie sich an den Zugriffszahlen zum Begleitvideo leicht ablesen lässt. Die Parteilinke erfreute er wiederum mit einer Rede bei der Regenbogen-Parade. APA/HANS PUNZ
Sein "Plan A", der inhaltlich einige rote Zöpfe abschneidet, war so gut getimet (und medienwirksam in der Messehalle Wels vorgestellt), dass Kern der ÖVP in der Folge sogar eine Reform des Regierungsabkommens abtrotzen konnte, freilich mit auffällig vielen tendenziell schwarzen Inhalten. APA/BARBARA GINDL
Im Verlauf des Sommers 2017 wurde der Plan zum offiziellen 209-seitigen Wahlkampfprogramm der SPÖ aufgewertet. Einige Eckpunkte: Für Unternehmen sollen die Lohnnebenkosten um 500 Euro sinken, Löhne bis 1500 Euro sollen steuerfrei sein, Kürzungen der Pensionen soll es nicht geben, dafür verschärfte Steuerregeln für Konzerne, ebenso eingeführt werden soll eine Erbschaftssteuer ab einer Million Euro. Dazu gab es einen provokanten Slogan (am entsprechenden Plakat illustriert mit Kern in Uncle-Sam-Manier): "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht." APA/HANS KLAUS TECHT
Eher ungeschickt agierte Kern dagegen am internationalen Parkett. Zuerst befeuerte er den parteieigenen Widerstand gegen das Handelsabkommen Ceta sogar mit einer Art Urabstimmung, ließ eine Blockade auf EU-Ebene dann aber doch flott sein. Eigenwillig war auch Kerns Blockade der Aufnahme jugendlicher Flüchtlinge, die er europäischen Vorgaben geschuldet ebenfalls rasch aufgeben musste. APA/ROLAND SCHLAGER
Generell gilt Kern als pragmatisch, aber auch als jemand, der gerne die Kontrolle behält. Zugestanden wird ihm von Weggefährten außerdem, dass er zuhören könne. Der gebürtige Simmeringer, der eher so spricht, als wäre er auf Schloss Schönbrunn groß geworden, könne sich auf Gesprächspartner gut einstellen und sei ein versierte Netzwerker, heißt es. Er selbst beschreibt sich als Optimisten, wie zuletzt im Ö3-Sommergespräch: "Ich neige dazu, negative Emotionen nicht vor mir herzutragen, sondern Leute zu motivieren." Und: "Ich bin jemand, der mit seinem Schicksal im Reinen ist." (Bild: Kern mit Ehefrau Eveline Steinberger-Kern am Villacher Kirchtag) APA/GERT EGGENBERGER
Aufgewachsen ist Kern in den 1960er-Jahren in einem eher unpolitischen Haushalt als Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs im Arbeiterbezirk Wien-Simmering, wie der Fußballfan auch in einem eigens produzierten Wahlkampf-Video verriet. "Es gab viel Liebe und wenig Geld", schilderte er darin - private Fotos inklusive. Kern wurde jung Vater und zog seinen ersten Sohn einige Jahr alleine auf. Mittlerweile ist er Vater dreier Söhne und einer Tochter. APA/SPÖ
Bald fand Kern, der einst Schulsprecher an jenem Gymnasium war, das auch Viktor Klima und Thomas Klestil besucht hatten, dann über den VSStÖ zur SPÖ. Dort wurde der studierte Kommunikationswissenschafter und Absolvent eines postgradualen Lehrgangs im Schweizer St. Gallen Büroleiter und Pressereferent für den damaligen Beamten-Staatssekretär und späteren Klubobmann Peter Kostelka. APA/HERBERT NEUBAUER
Pressesprecher sollte aber nicht Kerns Lebensaufgabe werden. Er wechselte in den Verbund als nach Eigendefinition "siebenter Zwerg von links", turnte sich aber von Funktion über Funktion bis hinauf in den Vorstand. Von dort weg engagierte ihn die damalige Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) als ÖBB-Sanierer. Dass er den Job erledigte, dankte ihm seine Mentorin jedoch eher weniger. Die enge Vertraute von Ex-Kanzler Faymann befand 2014 in einem Interview, dass Kern wohl ein "nicht so guter Politiker" wäre. APA/ROLAND SCHLAGER
Privat ist Kern in zweiter Ehe mit der früheren Verbund-Kollegin Eveline Steinberger verheiratet. Er geht zur Jagd, ist begeisterter Läufer, Tennisspieler sowie Mountain-Biker - und bespielt nebenher auch die sozialen Netzwerke Facebook, Twitter und Instagram. Seine fußballerische Leidenschaft ist die Wiener Austria, in deren Kuratorium er auch sitzt – wie auch (FSG-und Austria-Chef) Wolfgang Katzian, (Wiens Ex-Bürgermeister) Michael Häupl und (Pensionisten-Chef) Karl Blecha. APA/HANS KLAUS TECHT
Nach dem Ende seiner Kanzlerschaft fand Kern nicht richtig in seine Oppositionsrolle und geriet auch in einen Richtungsstreit mit dem künftigen burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Außer dem 12-Stunden-Tag war es der SPÖ kaum gelungen Themen zu setzen - in diesem Fall ebenso vergebens. Nach einem Jahr in der Opposition regelte Kern nun also seine Nachfolge an der Parteispitze und scheidet ganz aus der SPÖ aus. APA/ROBERT JAEGER
Zur Person: Christian Kern, geboren am 4. Jänner 1966 in Wien. Vier Kinder aus zwei Ehen. Studierter Kommunikationswissenschaftler. Ab 1991 Assistent des damaligen Staatssekretärs Kostelka, ab 1994 dessen Büroleiter als Klubobmann. 1997 Wechsel in den Verbund, ab 2007 dort Vorstandsmitglied. Ab Juni 2010 Chef der ÖBB sowie ab 2014 Vorsitzender der Gemeinschaft europäischer Bahnen. Seit 17. Mai 2016 Bundeskanzler, seit 25. Juni 2016 SPÖ-Vorsitzender. Seit Herbst 2017 als Oppositionsführer im österreichischen Parlament. APA/EXPA/SEBASTIAN PUCHER
Christian Kern: Der Ex-''Slim-Fit-Kanzler'' hängt die Politik an den Nagel
Auswirkungen auf die anstehende Nachfolge-Debatte im Amt des Wiener Bürgermeisters und SPÖ-Chefs will Häupl im Ergebnis der Nationalratswahl nicht erkennen. Dass durch die Zugewinne in Wien - bei gleichzeitigen Verlusten in den Flächenbezirken - der linke Flügel der Wiener Partei gestärkt worden sei, sei ein "Vollholler": Mit "links" und "rechts" sei das allein sowieso nicht erklärbar. "Wenn es ausschließlich um inhaltliche Auffassungsunterschiede gehen würde, würde ich mir viel leichter tun. Weil mit inhaltlichen Differenzen kann ich ganz gut umgehen. Womit ich nicht so gut umgehen kann, ist mit diesen diffusen persönlichen Animositäten. Damit habe ich ein Problem."
Zum Ausscheiden der Grünen aus dem Nationalrat ließ sich der Wiener SPÖ-Chef angesichts der vielen Grün-Wähler, die diesmal vor allem in der Hauptstadt den Roten ihre Stimme gegeben haben, kein Schuldbekenntnis abringen. "Ich bin nicht Schuld. Da müssen sich die Grünen schon bei wem anderen bedanken, der jahrelang in ihren eigenen Reihen gearbeitet hat", spielte er auf Peter Pilz an. Abgesehen davon: "Dort, wo man Stimmen kriegen kann, holt man sie sich. Das ist so in einem Wahlkampf."
Nationalratswahl 2017
Detailergebnisse zu Bundesländern, Bezirken und Gemeinden sowie Wahlbeteiligung, Mandatsverteilung, Koalitionsrechner und Wählerstromanalyse finden Sie im "Presse"-Wahlcenter.
Alle Reaktionen, Kommentare, Reportagen und Analysen zur Nationalratswahl 2017 auf www.diepresse.com/wahl17
Österreich "drohen drastische Einsparungen" durch die sich anbahnende Koalition von ÖVP und FPÖ, warnen die Sozialdemokraten und werben um neue (Gast-)Mitglieder.
Wiens Wohnbaustadtrat stellt sich „gegen falsche Interpretationen“ des Wahlergebnisses und einen fliegenden Koalitionswechsel in Wien – trotz grüner Turbulenzen.