Kosovo: Regierungschef als Boss von Organhandel-Ring

Hashim Thaci
Hashim Thaci(c) AP (Darko Bandic)
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Entsetzliche Enthüllung: Eine "Mafia-ähnliche" Organisation von Thaci soll Serben Organe entnommen und am Schwarzmarkt verkauft haben. Der Westen ignorierte die Verbrechen, heißt es in einem Bericht des Europarats.

Wenige Tage nach der Parlamentswahl im Kosovo sorgt eine Enthüllung für Entsetzen: Regierungschef Hashim Thaci soll der Chef eines Organhandel-Rings sein. Seine "Mafia-änliche" Organisation soll Morde und Misshandlungen angeordnet haben. Das ist das Ergebnis einer zweijährigen Untersuchung des Europarats, der sich auf Erkenntnisse des FBI stützt.

Der Untersuchungsbericht enthält auch starke Kritik am Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft. Sie habe die serbischen Verbrechen im Kosovo verurteilt und deswegen die UCK-Verbrechen ignoriert, "um kurzfristige Stabilität zu erreichen". Deshalb sei die internationale Staatengemeinschaft mitschuldig, schreibt Europaratsabgeordneter und Sonderberichterstatter Dick Marty in dem Untersuchungsbericht.

Thaci war nach Angaben Martys regionaler Anführer der Rebellengruppe "Befreiungsarmee des Kosovo" (UCK) in Drenica. Als solcher soll er auch die Entführungen von Menschen und gesetzwidrigen Organhandel organisiert haben. Die Organe seien dann in einer Klinik im Norden Albaniens entnommen worden und am Schwarzmarkt an ausländische Krankenhäuser verkauft worden.

Thaci nutzte "Chaos" nach Kosovo-Krieg aus

Laut Marty begann der Organhandel gleich nach dem Ende des Kosovo-Kriegs im Juni 1999 und damit noch bevor internationale Sicherheitskräfte die Kontrolle über die unter UNO-Verwaltung gestellte südserbische Provinz übernommen haben. Thacis Organisation  habe das "Chaos" nach dem Kosovo-Krieg ausgenützt. Die Aktivitäten setzten sich bis heute fort.

Der Schweizer Liberale verwies auf Ermittlungen der EULEX-Mission über Organhandel, der vor einer Privatklinik in Pristina (Prishtina) im Jahr 2008 betrieben wurde. Sieben ehemalige Mitarbeiter der Klinik, darunter ein Funktionär des kosovarischen Gesundheitsministeriums, wurden inzwischen angeklagt. Laut dem Belgrader Sender B-92 heißt es in dem Europarats-Bericht, dass zahlreiche Zeugen der Ereignisse nach dem Kosovo-Krieg getötet worden seien, "während die noch lebenden aus Angst nicht aussagen wollen".

Die geheimen Gefängnisse der Drenica-Gruppe

Die Drenica-Gruppe soll auch geheime Gefängnisse in Albanien betrieben haben, um dort im Kosovo entführte Zivilisten festzuhalten. Neben Thaci werden im Bericht auch drei seiner engen Vertrauten, der derzeitige Transportminister Fatmir Limaj, PDK-Spitzenfunktionär Azem Syla und Xhavit Haliti genannt. Die EULEX-Mission ermittelt derzeit gegen Limaj wegen Organisierter Kriminalität. Syla steht im Verdacht, nach Kriegsende Morde an politischen Gegnern der Demokratischen Partei Thacis organisiert zu haben.

Laut Marty wurden Thaci und seine Mitarbeiter in den vergangenen zehn Jahren auch in vertraulichen Berichten von Behörden zur Bekämpfung des Drogenhandels in mindestens fünf Staaten als jene Gruppe bezeichnet, die den Heroin- und sonstigen Drogenhandel mit Gewalt kontrolliere. Er habe verschiedene und umfangreiche Berichte mit dem Gefühl der Bestürzung und der moralischen Schande gelesen, stellte der Sonderberichterstatter fest.

Der Ausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats für Rechtsfragen und Menschenrechte wird sich am Donnerstag in Paris mit dem Bericht Marys befassen. Seine Annahme durch die Parlamentarische Versammlung soll am 25. Jänner erfolgen.

Thacis Partei: Vorwürfe sind "Lügen"

Thacis Demokratische Partei (PDK) bezeichnete am Dienstag in einer Erklärung die Vorwürfe Martys als "Lügen", die auf "unbewiesenen und erfundenen Tatsachen" beruhten. Das Ziel des Berichts sei es, die UCK und ihre Führer zu schädigen. Die Partei kündigte an, "alle möglichen und notwendigen Schritte zu unternehmen, um Martys Lügen zu begegnen, einschließlich rechtlicher Schritte".

"Sieg im Ringen um Wahrheit"

Serbien nimmt den Bericht des Europarats zum angeblichen Organhandel durch kosovarische Rebellenführer hingegen mit Genugtuung auf. Es handle sich um einen Sieg Serbiens im "Ringen um die Wahrheit und Gerechtigkeit", erklärte der serbische stellvertretende Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrechen, Bruno Vekaric, für den TV-Sender B-92. Den Familien der Opfer, Entführten und Vermissten sei damit "die Hoffnung zurückgegeben" worden.

Anlass für die Europarats-Ermittlungen ist ein Buch der früheren UNO-Chefanklägerin Carla del Ponte aus dem Jahr 2008. In dem Buch mit dem Titel "Im Namen der Anklage - Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit" (italienischer Originaltitel: "La Caccia") hatte die Schweizer Juristin berichtet, dass sich die Tribunalsanklage 2004 auch mit dem angeblichen Handel mit Organen serbischer Zivilisten in Albanien befasst habe.

300 Serben verschleppt

In dem Kapitel über den Kosovo-Krieg schrieb Del Ponte über die Verschleppung von rund 300 Serben durch Mitglieder der UCK nach Nordalbanien im Jahr 1999. Dort hätten UCK-Mitglieder den Gefangenen Organe entnommen und sie anschließend ermordet. Wegen fehlender Beweise wurden von Anklägern des UNO-Tribunals allerdings nie Ermittlungen eingeleitet. Die kosovarischen Behörden hatten die Vorwürfe Del Pontes zurückgewiesen.

(APA)

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