Unsere Schule ist wie ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf

Wir befinden uns im Jahre 2016 n.Chr. Das ganze Land ist von der großen Bildungsreform besetzt... Das ganze Land? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.

Das Schuljahr ist angelaufen und der Alltag hat Schüler wie Lehrer wieder fest in seinen Klauen: In den Klassenzimmern wird Kreidestaub aufgewirbelt und werden Sessel geschaukelt. Jahresplanungen werden durchgepeitscht und Ausflüge abgesagt. Schulhefte werden gefüllt und Pausenbrote verdrückt. Alles friedlich im gallischen Dorf – wie immer. Daran können auch die Römer nichts ändern, die in ihren Lagern mit klingenden Namen wie „Diuscholum“ (Ganztagsschule), „Duoannusnepiagogium“ (zwei Jahre Kindergarten), „Nonresideium“ (kein Sitzenbleiben), „Terrascholumconsilium“ (Landesschulrat), „Scholumautonomus“ (Schulautonomie) und „Integralisscholum“ (Gesamtschule) vor den Toren unserer Schulen ihre Messer wetzen und Schilder polieren.

Ein Büschel ausgerissener Haare

Ja, man glaubt es kaum, dass eine der umfassendsten Bildungsreformen seit Maria Teresia bereits zehn Monate lang vor unseren Schultoren lagert und darauf wartet, endlich ihren Siegeszug antreten zu können – beim Jupiter! Doch davon ist sie weit entfernt. Stattdessen schlägt sie ein kleines Scharmützel hier und eine kleine Plänkelei dort und kommt nicht wirklich in Fahrt. In diesem Schuljahr zum Beispiel in diesen Bereichen:

  • Im Kindergarten soll begonnen werden, die Entwicklung – vor allem die sprachliche – der Kinder im sogenannten Bildungskompass zu dokumentiert. Dieser soll bei der Anmeldung in der Volksschule eine Rolle spielen. Diese Überprüfung und Dokumentation ist momentan jedoch freiwillig. Natürlich haben Eltern Angst davor, dass ein nicht so toller Kompass zum Nachteil der Schüler gereichen könnte. Also lässt man es lieber bleiben.
  • In den ersten drei Volksschulklassen dürfen Lehrer (nach Beschluss der Schule) auf Noten und Schüler (auf Wunsch der Eltern und nach Beschluss der Lehrerkonferenz) auf Schuljahre verzichten. Wenn jemand besonders schnell ist, darf er überspringen, langsamere Kinder dürfen rückgestuft werden. Ohne Noten gibt es natürlicherweise auch kein Sitzenbleiben mehr. Davon waren letztes Jahr aber ohnedies nur 0,6% der österreichischen Volksschüler betroffen. Sitzenbleiben gibt es bei Dr. Roland und am bfi übrigens auch keines mehr. Möglich macht das ein neues Modulsystem. (Keine Noten? Meine Meinung hier. Kein Sitzenbleiben? Meine Meinung hier.)
  • Da immer mehr Eltern immer weniger Zeit für ihre Kinder haben, kann der mäßig erfolgreiche Bildhauer, Sportler oder Musiker ab heuer Karriere als „akademischer Freizeitpädagoge“ (das ist jetzt wirklich ein Beruf) machen und an einem der 15.000 zusätzlichen Ganztagesbetreuungsplätze nachmittags mit Lernzeiten und Freizeiten jonglieren.  Außerdem wird in der Ausbildung angehender Kindergartenpädagogen ein besonderer Schwerpunkt auf frühkindliche Förderung gelegt. (Rolle der Eltern? Meine Meinung hierund hier. Ganztagsschule? Meine Meinung hier.)
  • Auch die Hauptschule wird heuer munter weitergeschlachtet und ihr Ableben soll spätestens übernächstes Jahr besungen werden. Dazu wurden heuer 114 neue Standorte für die Neue Mittelschule geschaffen. Dass das Auswechseln der Etikette allerdings einen großen Unterschied in der Ausbildung unseres Nachwuchses macht, bezweifle ich.
  • Der PISA-Test bekommt Nachwuchs oder zumindest Nebenbuhler: den Wiener Lesetest und die Überprüfung der Bildungsstandards jeweils in der 4. und 8. Schulstufe. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn der Staat sich nicht auf das Bezahlen der Rechnungen für die Testungen beschränken würde sondern auch Konzepte aus der Analyse der Ergebnisse entwickeln würde, die das System verbessern. (PISA? Meine Meinung hier.)
  • Poltische Bildung wird als Pflichtmodul im Lehrplan des Fachs Geschichte eingeführt. Ob man dort lernt, wie man Kuverts nachhaltig verklebt oder Steuergelder aus dem Fenster wirft, wird noch abzuwarten sein. Ansonsten ist das eine durchaus begrüßenswerte Neuigkeit – wenn auch sie gar nicht so neu ist...
  • Sonst wurde noch geregelt, dass man künftig bis zum 18. Lebensjahr eine Ausbildung genießen müsse, dass Eltern mehr Freiheiten hätten, wenn es um die Suche nach einem Schulplatz ginge und, ach ja, fast hätte ich es vergessen: In zwei Wiener Schulen kann man jetzt in Bosnisch-Kroatisch-Serbisch maturieren. Tu Felix Austria!

Das war’s. Wie versprochen: keine große Schlacht, eben nur hier ein Büschel ausgerissener Haare, da ein Bluterguss, dort ein Kratzer und hier eine Bisswunde.

Jetzt könnte man sich fragen, warum nicht mehr geschehen ist seit der Besiegelung der Bildungsreform, also dem „High Five“ zwischen Heinisch-Hossek und Mahrer. Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, sagte unlängst in einem Interview mit dem Standard dazu: „Die Bundesregierung hat grundsätzlich ein echtes Umsetzungsproblem.“ (Industriellenvereinigung? Meine Meinung hier.)

Naja. Vielleicht befürchtet sie einfach nur, dass ihr der Himmel auf den Kopf fällen könnte. Und das muss ja wirklich unangenehm sein, wenn sogar die Gallier davor Angst haben – beim Teutates!

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