"Burn-out": Wenn die Mensch-Maschine streikt

Burnout Bereits Prophet Elias
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Das "Burn-out" gilt als eine Modekrankheit. Das Erschöpfungsphänomen - vor allem in Zusammenhang mit Arbeit - gibt es aber schon viel länger.

Kaum ein Tag vergeht ohne Burn-out-Meldungen. "Profil" macht seine aktuelle Ausgabe mit Strategien gegen Burn-out auf. "Burnout: Grüner Landesrat Anschober nimmt Auszeit", lautete auch in der "Presse" vor zwei Wochen eine Schlagzeile. Wenige Tage zuvor war der Tatsachenroman "Schularbeit. Die Leiden eines Lehrers" erschienen, in dem der Wiener AHS-Lehrer Frank Huss über sein Burn-Out berichtet (siehe auch "Wenn Lehrer (an Burn-out) leiden"). Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat beruflichen Stress sogar zu einer der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Eine Folge: Burn-out-Ratgeber und -Trainings boomen.

Ärgerlich an der Burn-out-Welle sei aber nicht unbedingt, dass manche Experten ein Geschäft machen möchten, schrieb Kurt Obermülner dazu in einem "Presse"-Gastkommentar vor einer Woche. "Wirklich ärgerlich ist, dass sich durch das Marktgeschrei und die Betroffenheitssuderei wirklich Bedürftige mitunter nicht bemerkbar machen können", warnte er. Und Obermülner führt an, dass es auch schon früher gesellschaftliche Umbrüche gab, die zu einem Anstieg von Verunsicherung und Erkrankungen führten. Er wehrt sich dagegen Burn-out als eine zeitgeistige Modeerscheinung zu sehen.

"Das erledigt man in 24 Stunden"

Um das zu verdeutlichen, zitiert Obermülner aus dem bereits 1893 erschienenen "Handbuch der Neurasthenie": Franz Carl Müller schrieb: "Seit bald 50 Jahren, also kurz nach den Ereignissen des Jahres 1848, ist ein ungeahnter Fortschritt auf allen Gebieten wahrnehmbar: Die Verkehrsmittel sind in einer Weise verändert, wie sie sich ein am Anfang unseres Jahrhunderts lebender Mann nie hätte träumen lassen; der Telegraph, das Telephon wurde erfunden, die allgemeine Wehrpflicht und der Schulzwang eingeführt. Wozu man früher acht Tage brauchte, das erledigt man jetzt in 24 Stunden."

»Haste oft und raste nie, dann haste' Neurasthenie.«

Sprichwort

Bereits 1869 hatte der New Yorker Nervenarzt George Miller Beard (1839-1883) laut TV-Sender "WDR" "übermäßige Reizbarkeit, die Unfähigkeit sich zu entspannen, anhaltende Kraftlosigkeit, Schwindelgefühle, Appetitlosigkeit, Kopfschmerz, Freudlosigkeit und Schlafstörungen" unter dem bereits oben erwähnten Begriff "Neurasthenie" zusammengefasst. Auslöser waren dafür die sich rasant verändernden Arbeits- und Lebensbedingungen der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts.

"Burn-out" taucht erstmals 1974 auf

Auch der deutsche Neurologe Wilhelm Erb (1840-1921) schrieb 1893 "Ueber die wachsende Nervosität unserer Zeit". Er sprach von einer "gewaltige Werthe producirenden Industrie" und der "Schaffung mächtiger, von Proletariern erfüllten Centren der Industrie". Diese würden die "unklaren Köpfe der Masse" verwirren und einen schädigenden Einfluss auf das Nervensystem haben.

Der Begriff "Burn-out" selbst wurde erstmals 1974 in einem wissenschaftlichen Aufsatz des deutsch-amerikanischen Psychoanalytikers Herbert J. Freudenberger verwendet. Freudenberger bezog sich dabei laut WDR-Bericht vor allem auf helfende Berufe wie Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer. Er beschrieb mit dem Begriff Zustände der körperlichen und geistigen Erschöpfung. Diese hatte er nach belastenden 18-Stunden-Tagen bei sich und Kollegen beobachtet, die sich ehrenamtlich für Drogenabhängige und Prostituierte in New York einsetzten.

Die "Elias-Müdigkeit"

Doch das Phänomen des "Ausbrennens" ist weit älter, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Bereits im Alten Testament findet sich ein frühes Zeugnis dafür. Nachzulesen ist das im 1. Buch der Könige. Demnach litt der ausgelaugte Prophet Elias unter den Folgen seines Wunderwirkens. Präzise werden Symtome der Erschöpfung beschrieben: Er flüchtet in die Wildnis und verfällt in Verzweiflung, in tiefen Schlaf "und bat, dass seine Seele stürbe". Der Begriff der "Elias-Müdigkeit" ist darauf zurückzuführen.

Im 17. Jahrhundert gelang dem Britischen Empire der Aufstieg zur Weltmacht. Mit den Zeiten wachsender Wirtschaft und sich beschleunigender Arbeitsprozesse ging aber auch eine andere Erscheinung einher. Vor allem gebildete Bürger und Adelige hatten es laut WDR-Bericht "an den Nerven". Der schottische George Cheyne (1671-1743) fasste die Neurosen schließlich unter dem Begriff "die englische Krankheit" zusammen.

Literatur und Erschöpfung

Dem deutschen Literaten Johann Wolfgang von Goethe wird während seiner Zeit als Minister des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach ein Burn-out zugeschrieben. Als er drohte, "dichterisch auszutrocknen", nahm sich Goethe eine Auszeit und unternahm von einem Tag auf den anderen seine zweite Italienreise (1786-88). Nach seiner Rückkehr sprach er von einer "Wiedergeburt".

1961 schrieb der britische Schriftsteller Graham Greene in seinem Werk "Ein ausgebrannter Fall" (eng. "A Burn Out Case") über Querry, einen international gefeierten Architekten, der sich von der Sinnlosigkeit seines Lebens nach Afrika flüchtet.

Telefonistinnen als "human machines"

Und vor 100 Jahren entstand dann ein neues Berufsfeld: Die Arbeit der Telefonistinnen. Sie standen immer unter Druck, befanden sich immer im Stress. Schlecht bezahlt waren sie sowieso. Die Telefonie galt als eine Hauptverursacherin der Neurasthenie. Behandelt wurden die betroffenen Telefonistinnen oft als hysterische Patientinnen. Doch ein medizinisches Komitee stellte 1911 fest: "Die Telefonistinnen mussten häufig hin- und herspringen, um Kabel ein- und auszustöpseln, sie mussten ununterbrochen einen schweren elektrischen Kopfhörer tragen, sie bekamen manchmal Stromschläge durch den Kopfhörer, und sie mussten sich oft durchgängig mit einem ungeduldigen Publikum befassen." Das beschreibt Anthony Enns in seinem Aufsatz "Telepathie - Telefon -Terror". Nicht grundlos wurden Telefonistinnen demnach in der Presse auch als "human machines" bezeichnet, zumal sie in ihrer Ausbildung darauf trainiert wurden, nicht zu denken. Sie hatten die Anrufe zu beantworten und die Forderungen der Kunden auszuführen.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden ebenfalls Burn-out-ähnliche Phänome von Siegbert Schneider unter dem Titel "Lehrerkrankheiten" als eine für Lehrer typische Nervenkrankheit beschrieben. Die Symptome gleichen laut der Dissertation "Das Phänomen Burnout am Arbeitsplatz Schule" von Sylvia C. Körner jenen des heutigen Burn-outs: Schlafstörungen, Überempfindlichkeit von Haut, Gehör und Augen, Kopfschmerzen, Ermüdung, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Verringerung der Leistungsfähigkeit, Niedergeschlagenheit oder Übererregbarkeit, Appetitstörungen und Arbeitsunfähigkeit.

"Romantisierung der Vorindustrialisierung ist falsch"

Heute werden vor allem Internet, Smartphones und Soziale Netze für die permanente Reizüberflutung verantwortlich gemacht. Die ständige Erreichbarkeit macht einer aktuellen Studie zufolge jedem Fünften zu schaffen. Eine andere Studie zeigt: Jeder dritte Beschäftigte erhält regelmäßig Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit.

Für Professor Robert Jütte, Medizinhistoriker und Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, ist die Sache aber nicht so einfach. "Belastende Sinnreize gab es schon immer", sagte er im Interview mit der "Berliner Zeitung". "Die Romantisierung der Vorindustrialisierung als ruhiges Zeitalter ist schlicht weg falsch. Damals fühlten sich die Menschen von anderen Dingen gestört. Dem Läuten der Kirchturmglocken beispielsweise". Von tatsächlichen Erkrankungen sprach man aber erst mit dem Beginn der Industrialisierung.

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